Herwig Wolfram - Die Germanen.pdf - DIR
Herwig Wolfram - Die Germanen.pdf - DIR
Herwig Wolfram - Die Germanen.pdf - DIR
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
losen, um ihr Heiligtum versammelten Marser und die Gefangennahme<br />
Thusneldas im Hause ihres Vaters. Beides waren<br />
Neidingstaten, Beispiele für unehrenhaftes Handeln, das nach<br />
Rache rief und die weitgehende Einigung der vorher keineswegs<br />
auf eine konsequente antirömische Haltung festgelegten<br />
Stammesgruppen und Stämme bewirkte.<br />
Wenn die Ehre intakt ist, heilt sie, strahlt sie Heil aus. Je<br />
vornehmer die Familie, desto stärker kann dieses Heil sein,<br />
das von den Göttern stammt. Das größte Stück Heil besitzen<br />
die Könige. <strong>Die</strong> Goten hätten nach einem entscheidenden Sieg<br />
ihre amalische Königsfamilie, „aus deren Glück sie zu siegen<br />
pflegten, nicht mehr als einfache Menschen, sondern als<br />
A(n)sen, das heißt als Halbgötter akklamiert“ (Jordanes, Getica78ff.).<br />
Große Bedeutung besaß in einer solchen Welt der „Glücksvergleich“,<br />
das heißt, es wird ausprobiert, welches Heil stärker<br />
ist. Wer dabei klug ans Werk ging, konnte sogar kommerziellen<br />
Erfolg erringen: Ein Mann hatte nur Pech; alles,<br />
was er begann, ging schief. Schließlich entschloß er sich, sein<br />
letztes Geld zusammenzukratzen und mit dem König folgendes<br />
Geschäft zu machen: Er wollte noch ein Schiff ausrüsten<br />
und heischte dafür vom König dessen Glück. Dafür würde er<br />
die Hälfte des Gewinns an den König abführen. Selbstverständlich<br />
hatte der bisherige „Unglücksmann“ sich von nun<br />
an um seinen Erfolg nicht mehr zu sorgen; mit dem Königsglück<br />
im Rücken war er bald ein gemachter Mann.<br />
Ehre und Heil waren Motive historischen Handelns, nicht<br />
dieses selbst. In der archaischen Welt waren sie wirksam; man<br />
soll sie dort, wo sie hingehören, als solche anerkennen, im<br />
übrigen aber in dieser Umgebung belassen.<br />
Überlegungen zum modernen <strong>Germanen</strong>bild<br />
<strong>Die</strong> historisch-archäologische Beschäftigung mit den <strong>Germanen</strong><br />
wurde im 19. Jahrhundert vom philologischen Interesse<br />
am Gegenstand noch übertroffen. So ging die Einteilung in<br />
Westgermanen, Ostgermanen und Nordgermanen von der<br />
22