„Richte immer die Gedanken... - Adolf-Reichwein-Verein
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eichwein forum Nr. 17/18 Mai 2012<br />
13<br />
Die Arbeit des Musikheims<br />
Einige Sätze aus der Einweihungsrede<br />
Götschs zeigen <strong>die</strong> Richtung, <strong>die</strong> er mit<br />
dem Musikheim verfolgte, zeigen auch<br />
seine etwas bizarre Denkweise:<br />
"Alle Volksschichten haben Sehnsucht<br />
nach mehr Musik. Alle fühlen, dass ihr<br />
Leben im Begriff ist, zu trocken, gedanken-<br />
und willenstarr zu werden...<br />
<strong>die</strong> große und elementare Rückwendung<br />
unseres Volkes von der Intellektualisierung<br />
des ganzen Lebens wird in<br />
seinem neu erwachten Hunger nach<br />
Musik besonders deutlich... Wird <strong>die</strong><br />
Musik wieder im deutschen Volke beheimatet,<br />
so bekommt ein guter Teil<br />
seines Wesens wieder Wurzel... ich<br />
weiß keinen anderen Namen für unsere<br />
Gründung als "Musikheim". Weder<br />
"Schule" noch "Hochschule" noch "Anstalt"<br />
oder gar "Institut" treffen das,<br />
was heute not tut... Das Musikheim<br />
hat sein deutliches Vorbild in den<br />
Volkshochschulheimen... Seine Aufgabe<br />
ist Ergänzungsbildung, Erwachsenenbildung."<br />
Wissenschaftliche Fun<strong>die</strong>rung<br />
eines Konzepts sieht gewiss<br />
anders aus.<br />
Carl Heinrich Becker war häufig Gast<br />
und Vortragender im Unterricht des<br />
Musikheims, dessen Arbeit sehr ähnlich<br />
gestaltet war, wie wir sie bereits<br />
vom Boberhaus her kennen gelernt<br />
haben. Allerdings stand hier <strong>die</strong> musische<br />
Betätigung im Vordergrund. Für<br />
<strong>die</strong> Volksschullehrer im Lande Brandenburg<br />
war es Pflicht, einmal im Jahr<br />
zu Weiterbildungsmaßnahmen im<br />
Musikheim anzutreten, und wäre<br />
<strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> zu <strong>die</strong>ser Zeit bereits<br />
Volksschullehrer in Tiefensee gewesen,<br />
hätten wir ihn mit Sicherheit im<br />
Musikheim angetroffen.<br />
Das Veranstaltungsprogramm umfasste<br />
staatliche Lehrgänge in Form von<br />
Vierteljahreskursen für deutsche und<br />
volksdeutsche Lehrer, gewissermaßen<br />
<strong>die</strong> Pflichtaufgabe des Hauses. Dann<br />
<strong>die</strong> von Götsch besonders bevorzugten<br />
Arbeitslager der Jungmannschaft,<br />
deren Höhepunkt das „Convivium Viadrinum"<br />
im Wintersemester 1931/32<br />
war. Daneben weitere Veranstaltungen<br />
mit musischem Schwerpunkt, Musikschulunterricht,<br />
nach der Machtergreifung<br />
auch achtwöchige Kurse für<br />
Landjahr- und Arbeits<strong>die</strong>nstführerinnen.<br />
Die Kurse gliederten sich nicht<br />
nach Fächern, denn Sprache, Musik<br />
und Bewegung wurden als Einheit<br />
aufgefasst. So gab es eine lockere,<br />
wenn auch gut geplante Folge von Lesungen,<br />
Diskussionen, Gruppentänzen,<br />
Laienspiel, Chorgesang, Melo<strong>die</strong>und<br />
Harmonielehre, körperlicher Arbeit,<br />
Wanderungen, Fahrten und Festen.<br />
Die wenigen 3-4 Jahre, <strong>die</strong> das Musikheim<br />
überhaupt unbehelligt von den<br />
Zwängen des Nationalsozialismus arbeiten<br />
konnte, waren für <strong>die</strong> Beteiligten<br />
eine große Zeit, von der sie mit<br />
Verklärung und Begeisterung berichten.<br />
Nach 1933 musste das Musikheim<br />
dann zunehmend Zugeständnisse in<br />
seinem Programm machen und<br />
Götsch versuchte sich - sicher auch<br />
mit Hilfe seines Parteibuchs - mit<br />
ständig abnehmender Mitarbeiterzahl<br />
ab Kriegsbeginn, so lange wie möglich<br />
durchzulavieren. Im Dezember 1940<br />
wurde das Musikheim dennoch von<br />
den Nazis geschlossen.<br />
Götsch kränkelt seitdem merklich und<br />
zunehmend und schlägt sich als Musiklehrer<br />
an Heimschulen durch. Nach<br />
dem Kriege beteiligte er sich noch an<br />
kleineren Lehrgängen und publizierte<br />
eine große Anzahl von Aufsätzen. Er<br />
wird 1956 auf dem Stadtfriedhof in<br />
Friedrichshafen in Anwesenheit vieler<br />
Wegbegleiter zu Grabe getragen, darunter<br />
auch seine erste Frau Kitty und<br />
beider Tochter, Elisabeth. Die Abschiedsworte<br />
am Grabe spricht für <strong>die</strong><br />
alten Bündischen der einstige Jugendführer<br />
Hans Dehmel.<br />
Das Musikheim <strong>die</strong>nte nach dem Kriege<br />
dem Kleist-Theater als Spielstätte<br />
und stand dann lange ungenutzt. In<br />
jüngster Zeit gibt es Bestrebungen im<br />
Rahmen der Kirchenmusik, das Haus<br />
wieder für <strong>die</strong> Musikerziehung nutzbar<br />
zu machen in Anlehnung an Konzepte<br />
Götschs. 17<br />
17 s. http://www.frankfurter-kinder-undjugendkantorei.de<br />
Beispiel 3: Mutter Erde und der Genius<br />
Loci in Fantasialand - Gore Farm /<br />
Springhead<br />
Wir kommen zum dritten Teil <strong>die</strong>ses<br />
Beitrags, in dem zwei englische Einrichtungen<br />
beschrieben werden, <strong>die</strong> in<br />
einer Reihung von Boberhaus und Musikheim<br />
stehen – <strong>die</strong>smal eine rein<br />
private Aktivität.<br />
Die hier maßgebliche Person ist der<br />
bereits mehrfach erwähnte Rolf Gardiner.<br />
Er taucht an vielen Orten Mitteleuropas<br />
auf, an denen sich <strong>die</strong> Jugendbewegung<br />
trifft. Ich lasse ihn<br />
gleich selbst seine Einrichtungen beschreiben,<br />
daher ein kurzer Blick auf<br />
<strong>die</strong>se zwiespältige Persönlichkeit, damit<br />
Sie seine Sprache verstehen.<br />
Henry Rolf Gardiner, der sich wegen<br />
seiner Sympathien zu Deutschland nur<br />
Rolf nennt, wird 1902 in England geboren,<br />
verbringt aber den größten Teil<br />
seiner ersten 10 Lebensjahre vorwiegend<br />
in Berlin, da sein Vater, Alan<br />
Gardiner, ein berühmter Ägyptologe,<br />
in Berlin am Kaiser-Wilhelm-Museum<br />
(heute Bode-Museum) tätig ist, um<br />
dort Hieroglyphen zu entziffern und<br />
ein Buch zu schreiben.<br />
Der 1948 zum Ritter geschlagene Sir<br />
Alan nahm damals regen Anteil an der<br />
Berliner Gesellschaft und hatte Kontakt<br />
zum George-Kreis. Da seine Frau<br />
Mitglied in der englischen Volkstanz-