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„Richte immer die Gedanken... - Adolf-Reichwein-Verein

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eichwein forum Nr. 17/18 Mai 2012<br />

16<br />

Ein Trommler mit einem sonoren<br />

Gong weckte das Camp aus dem<br />

Schlaf. Jeder (oder fast jeder) kam aus<br />

den Zelten und nahm am Morgenlauf<br />

teil, unter der Leitung eines der Lagerhäuptlinge.<br />

Der Lauf endete in einem<br />

Kreis am zentralen Flaggenmast; <strong>die</strong><br />

Flagge wurde gehisst, der Ring schloss<br />

sich und jeder wünschte jedem einen<br />

guten Morgen. 27<br />

Nach dem Frühstück, wie alle Mahlzeiten<br />

in der Scheune eingenommen,<br />

wurden Arbeitsgruppen im Innenhof<br />

gebildet und gingen mit ihren Vorarbeitern<br />

an ihre Aufgaben. Nach der<br />

Arbeit, <strong>die</strong> bis Mitte des Nachmittags<br />

dauerte, gab es eine Pause und dann -<br />

erfrischt durch einen Becher Tee - versammelten<br />

sich alle in der Scheune<br />

zum Singen. Musik war <strong>die</strong> Seele aller<br />

unserer Lager, und es war eine musikalische<br />

Art von Disziplin, <strong>die</strong> wir in allen<br />

Dingen einzuhalten<br />

trachteten. Musik spielte daher<br />

eine bedeutende Rolle in<br />

unserem Programm, nicht so<br />

sehr als eine spezielle Form<br />

der Erholung, als vielmehr<br />

unentbehrliche Begleitung<br />

jeder Art von Aktivitäten. Die<br />

Arbeitsgruppe sang auf ihrem<br />

Marsch auf das Feld,<br />

beim Abendessen sang man<br />

ein Tischgebet, und der Tag<br />

wurde beschlossen mit einem<br />

gemeinsamen Choral.<br />

Es wuchsen ein Stil und eine Tradition,<br />

für <strong>die</strong> es kein Hindernis war, wenn<br />

Gruppen von Bergleuten später an Arbeitslagern<br />

in Springhead teilnahmen,<br />

durch Schlesien oder Brandenburg<br />

reisten, oder [ihre Tänze] in Hamburg<br />

und bei den Olympischen Spielen in<br />

27 etwas drastischer beschreibt es Chris Bearman:<br />

“at sunrise the men of the Guild emerged,<br />

stripped naked except for North American Red<br />

Indian leather Gee-strings, to stand with upraised<br />

arms in silent meditation, before moving<br />

in a follow-my-leader run to the sound of a tomtom.”<br />

zit. nach: Bearman, Chris: The Sorcerer's<br />

Apprentice: Mary Neal & Rolf Gardiner<br />

In: The Morris Dancer, Volume 4.2009 H. 1, S. 25<br />

Berlin [1936] vorführten.“ 28<br />

Auch Carl Heinrich Becker war 1928<br />

Gast der Gore Farm. Gardiner beschreibt<br />

einmal, wie er Arm in Arm mit<br />

ihm über das abendliche Land schreitet.<br />

Springhead dagegen hat Becker<br />

nicht mehr kennenlernen können.<br />

Springhead<br />

Von den Höhen der Gore-Farm blickt<br />

man herunter auf eine Ansammlung<br />

von Gebäuden nahe dem Dorfe Fontmell<br />

Magna, <strong>die</strong> sich Springhead<br />

nennt. Oft wünschte sich Gardiner<br />

damals, auch <strong>die</strong>ses Anwesen in seinen<br />

Besitz zu bringen, hätte es ihm<br />

doch als Wohnsitz <strong>die</strong>nen können und<br />

<strong>die</strong> Gelegenheit geboten, hier in Verbindung<br />

mit Gore Farm eine ganzheitliche<br />

Bildungsabeit entwickeln zu können,<br />

<strong>die</strong> über <strong>die</strong> Erntelager auf Gore<br />

Farm hinausreichte.<br />

Mit Hilfe seines Onkels Balfour wurde<br />

schließlich auch Springhead 1933 erworben<br />

und wieder ein Freundeskreis<br />

gegründet, der Springhead Ring.<br />

Dazu sagt Gardiner: „Springhead war<br />

keine Kolonie oder ein kommunales<br />

Zentrum; es war ein kleines privates<br />

Anwesen und das Zuhause zweier jung<br />

verheirateter Menschen 29 , meiner<br />

Frau und mir. Aber unser Ziel war es,<br />

<strong>die</strong>ses Anwesen für gewisse soziale<br />

28 EH, S. 38. Anm.: Es haben nicht nur englische<br />

Tänzer bei der Nazi-Olympiade getanzt, sondern<br />

Gardiner hat auch deutsche Tänzer für <strong>die</strong>se<br />

Veranstaltung geschult.<br />

29 Er heiratete 1932 Mariabella („Marabel“)<br />

Honnor Hodgkin, aus ebenfalls begütertem<br />

Haus. Sie hatten später drei Kinder, eine Tochter<br />

und zwei Söhne, darunter der heute berühmte<br />

Dirigent Sir John Elliot Gardiner.<br />

und kooperative Aktivitäten zu nutzen.<br />

Wir hatten ein Jahresprogramm<br />

von Aktivitäten, das den Besuch wechselnder<br />

Gruppen von Männern und<br />

Frauen für Lager und Sommerschulen<br />

einschloss... Wir haben das in einem<br />

Papier skizziert mit dem Titel "Über<br />

<strong>die</strong> Funktionen einer ländlichen Universität"<br />

... [<strong>die</strong>] entwickelt werden<br />

sollte aus den Möglichkeiten von Gore<br />

Farm und Springhead. 30 “<br />

„Wir führten in Wessex zwei Serien<br />

von Arbeitslagern 1934 - 36 und 1938<br />

- 40 durch. Sie waren Teil eines entschiedenen<br />

Versuchs, <strong>die</strong>se Landschaft<br />

mit einem neuen Elan zu versehen<br />

und ein beispielhaftes regionales<br />

Zentrum bürgerlicher Inspiration zu<br />

schaffen. ... Niemand, der an <strong>die</strong>sen<br />

Arbeitslagern teilnahm, ob nun ein arbeitsloser<br />

Arbeiter, [...] ein Akademiker<br />

aus London, ein deutscher Student,<br />

ein schlesischer Bergmann,<br />

oder der Sohn eines<br />

Kleinbauern, wird je <strong>die</strong>se<br />

goldenen Erntetage im Hügelland<br />

von Wessex 31 vergessen.“<br />

Aus der Liste von Aktivitäten<br />

zwischen 1933 und 40 seien<br />

nur zwei exemplarische Jahre<br />

als Beispiel zitiert, <strong>die</strong> sich im<br />

Programm praktisch jährlich<br />

wiederholten:<br />

1936: Osterfestival der örtlichen Sänger<br />

und Tänzer in Springhead. Wintersonnenwendtreffen<br />

und Maifeier.<br />

Tour der deutschen Sänger durch<br />

Nord- und Westengland. Zweite<br />

Springhead Sommerschule. Drittes<br />

Erntelager auf der Gore Farm. Konferenz<br />

über regionale Rekonstruktion in<br />

Springhead. Tour von Harro Siegels<br />

30 EH, S. 61-62<br />

31 Bemerkenswert und typisch für Gardiners Eigenarten<br />

ist, dass er mediaevalisierend beharrlich<br />

von "Wessex" redet, wenn er Dorset meint.<br />

In Wirklichkeit gab es Wessex schon seit 900<br />

Jahren nicht mehr. Ein Phantasieland, einst ein<br />

im Süden Englands gelegenes Königreich, das bis<br />

zum 10. Jahrhundert bestand und neben Dorset<br />

einige heutige Grafschaften im englischen Süden<br />

umfasste. Auch der englische Autor<br />

Thomas Hardy (1840-1928) verwendet Wessex<br />

als fiktive Grafschaft in der viele seiner Romane<br />

spielen.

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