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„Richte immer die Gedanken... - Adolf-Reichwein-Verein

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eichwein forum Nr. 17/18 Mai 2012<br />

21<br />

und mitteleuropäischen” und den<br />

“slavischen Juden”; letztere seien “oft<br />

ruhelose Ahasvere ohne Boden- und<br />

Handwerkstradition” (S. 15) und dabei<br />

“intellektualistisch, analytisch, individualistisch”<br />

(S. 16). Die “Unterdrückung”<br />

der Juden durch <strong>die</strong> Nationalsozialisten<br />

werde aber deren Gegendruck<br />

bewirken (vgl. S 16). Er verweist<br />

auch darauf, dass “viele Juden im<br />

höchsten Sinne Deutsche und Europäer”<br />

(S. 17) seien. Er wendet sich gegen<br />

Deutschlands Isolierung in Europa;<br />

<strong>die</strong>se bringe das deutsche Volk dazu,<br />

sich gegen <strong>die</strong> “ganze Welt” “behaupten<br />

zu müssen” (S. 17). Kein Land in<br />

Europa habe “eine ähnliche geistige<br />

Lebenskraft wie Deutschland”; es<br />

könne daher “das Herz und <strong>die</strong> Seele<br />

eines neuen Europa” (S. 18) werden.<br />

Die “ganze germanische Welt soll am<br />

Segen <strong>die</strong>ser Wiedergeburt teilhaben”;<br />

alle brauchten “<strong>die</strong> Zucht der<br />

Bindung” (S.18).<br />

Gardiner hat <strong>die</strong> neue NS-Regierung<br />

und das NS-Regime 1933 mit Enthusiasmus<br />

begrüßt. Er verteidigte <strong>die</strong><br />

Deutschen in der “Times” gegen <strong>die</strong><br />

Proteste in England wegen der<br />

“´Verfolgung`” (persecution) der Juden;<br />

<strong>die</strong>se Proteste seien ein Angriff<br />

auf <strong>die</strong> “neuen sozialen Prinzipien”,<br />

mit denen <strong>die</strong> Deutschen ihr Leben<br />

verändern wollten. Die “jüdischen Geschmäcker”<br />

hätten “<strong>die</strong> Deutschen<br />

von ihrer eigenen Tradition entfremdet”<br />

(in: Stone 2011, S. 157). In einem<br />

Brief an Goebbels vom 25.April 1933<br />

schreibt er als “Führer einer jungen<br />

englischen Generation” und drückt im<br />

Namen seiner “Kameraden” <strong>die</strong><br />

“Freude über <strong>die</strong> Erneuerung des<br />

deutschen Volkes und über <strong>die</strong> Wiederherstellung<br />

der deutschen nationalen<br />

Würde” aus. Er verspricht, dass sie<br />

das “Werk der Erneuerung der germanischen<br />

Werte in allen Ländern um <strong>die</strong><br />

Nord- und Ostsee mit neuer Kraft” (S.<br />

159) verfolgen werden.<br />

Im Frühjahr 1934 nahm Gardiner Kontakt<br />

zu Rudolf Heß auf; angesichts der<br />

Attacken auf das Musikheim Frankfurt/Oder<br />

und seiner Infragestellung<br />

und der damit verbundenen Schwierigkeiten<br />

für Götsch machte sich Gardiner<br />

für das Musikheim und für<br />

Götsch stark. Heß versprach, sich um<br />

das Musikheim zu kümmern (vgl. Gardiner<br />

1948, S. 187f.); es wurde jedoch<br />

im Dezember 1940 geschlossen. An<br />

<strong>die</strong>sem und dem folgenden Beispiel<br />

zeigt sich <strong>die</strong> teilweise Desillusionierung<br />

Gardiners durch <strong>die</strong> Realität des<br />

Dritten Reiches und seine zunehmende<br />

Enttäuschung über <strong>die</strong> Entwicklung<br />

in Deutschland.<br />

Als Landwirt und Landschaftsplaner<br />

war Gardiner an den Zielen und Aktivitäten<br />

des deutschen Reichsnährstandes<br />

interessiert. Er berichtet darüber,<br />

dass er – nachdem ihn im Sommer<br />

1936 eine Gruppe von Offiziellen des<br />

Reichsnährstandes in Springhead besucht<br />

hatte – Anfang Oktober 1936 am<br />

Erntefest auf dem Bückeberg und im<br />

November dann am Reichsbauerntag<br />

in Goslar teilgenommen hat. Ihm<br />

schien <strong>die</strong> Reorganisation der deutschen<br />

Landwirtschaft durch den<br />

Reichsnährstand “das beste Ding, das<br />

der Nationalsozialismus hervorgebracht<br />

hat” (1948b, S. 191). Er schätzte<br />

Walther Darré, den Reichsbauernführer,<br />

und glaubte, dass <strong>die</strong>ser<br />

“ernsthaft wünschte, dem Landvolk<br />

einen ehrenhaften Platz in der deutschen<br />

Gesellschaft zurückzugeben” (S.<br />

192), geht aber davon aus, dass <strong>die</strong><br />

Nazis ihn vereinnahmt hätten. Die<br />

Vorträge und Ansprachen von Seiten<br />

des Reichsnährstandes in Goslar haben<br />

ihm weitgehend gefallen. Ihn<br />

störte allerdings entschieden, dass<br />

“<strong>die</strong> kompromisslose Kampfansage<br />

gegen den jüdischen Weltbolschevismus”<br />

(S. 196) herausgestellt wurde.<br />

Besonders unangenehm war ihm <strong>die</strong><br />

abschließende Ansprache Hermann<br />

Görings, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Teilnehmer allerdings<br />

begeisterte; Göring forderte dabei<br />

“den deutschen Boden dem bevorstehenden<br />

Bedarf einer Kriegswirtschaft<br />

zu unterstellen” (S. 199). Gardiners<br />

Meinung nach waren <strong>die</strong> Widersprüche<br />

bei den Deutschen und <strong>die</strong><br />

Machtbestrebungen einer zum Äußersten<br />

entschlossenen Clique<br />

“schändliche Sünden” (heinous sins)<br />

(S. 198).<br />

Gardiners Einstellung gegenüber dem<br />

Nationalsozialismus und dem Dritten<br />

Reich hat sich also seit 1933/34 gewandelt.<br />

So berichtete Gardiner über<br />

<strong>die</strong> erschrockene Reaktion vieler Mitglieder<br />

des Springhead-Ringes auf das<br />

Bekenntnis Götschs zum “neuen<br />

Deutschland” und auf dessen NSDAP-<br />

Zugehörigkeit (seit 1937) sowie auf<br />

dessen Ansinnen, <strong>die</strong> Chorfahrt des<br />

Ringes durch Deutschland 1939 müsse<br />

den “politischen Gegebenheiten<br />

Rechnung tragen” (Gardiner 1969b, S.<br />

248). Während des Zweiten Weltkrieges<br />

hat Gardiner sich politisch zurückgehalten;<br />

seine Sympathie für <strong>die</strong><br />

Deutschen und für <strong>die</strong> Einheit Nordeuropas<br />

blieben jedoch erhalten. Nach<br />

1945 spricht er deutlich von “Hitlers<br />

Machtpolitik” (S. 245) und vom “Alptraum<br />

des Hitlerkrieges” (1945, S.<br />

113). Er verweist darauf, dass ihm<br />

1946 <strong>die</strong> Einreise in <strong>die</strong> britische Besatzungszone<br />

verwehrt worden sei<br />

wegen seiner “früheren Verbindungen<br />

zur bündischen Jugend”, seiner “Aussagen<br />

zur Verteidigung des Musikheims<br />

und des Boberhauses” und seiner<br />

“idealistischen Hoffnungen auf eine<br />

Durchdringung des `Dritten Reiches´mit<br />

dem Geist der Pionierleistungen<br />

der Jugendbewegung” (1969c, S.<br />

262).<br />

In den fünfziger Jahren engagierte sich<br />

Gardiner in einem Entwicklungsprojekt<br />

in Njassaland (Mittelafrika); hier<br />

versuchte er seine Erfahrungen in<br />

Springhead auf ein “sehr großes Unternehmen”<br />

mit Tee- und Tungölplantagen<br />

und mit ca. 800 Stück Vieh und<br />

zusammen mit etwa 4000 dort lebenden<br />

Menschen anzuwenden (vgl. Gardiner<br />

1967b, S. 294f.). Er gründete auf<br />

Burg Fürsteneck den “Europäischen<br />

Arbeitskreis für Landschaftspflege”;<br />

<strong>die</strong>ser Arbeitskreis traf sich seit 1963<br />

in Deutschland und England. Am<br />

18.10.1971 erhielt er vom Präsidenten<br />

des “Internationalen Kuratoriums des<br />

Europa-Kreises für Landschaftspflege”,<br />

Graf Lennart Bernadotte, <strong>die</strong> Peter-<br />

Joseph-Linné-Medaille für sein Wirken<br />

als Landschaftspfleger und Umweltschützer<br />

(vgl. Bernadotte 1973; S. 6ff).<br />

Einen Monat später, am 26.11.1971,<br />

ist Rolf Gardiner gestorben.

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