„Richte immer die Gedanken... - Adolf-Reichwein-Verein
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eichwein forum Nr. 17/18 Mai 2012<br />
31<br />
seine Argumente vor, auf <strong>die</strong> Schernikau<br />
natürlich korrigierend reagieren<br />
musste.<br />
Damit könnte man <strong>die</strong>sen Dissens eigentlich<br />
als erledigt betrachten und<br />
ad acta legen. Indessen wird hier noch<br />
einmal ein Problem artikuliert, das<br />
seit der Hohmann-Dissertation und<br />
dem Vortrag von Stefan Vogt in Halle<br />
in unserem <strong>Verein</strong> <strong>immer</strong> noch nicht<br />
ausreichend diskutiert und geklärt erscheint:<br />
In welchem Sinne hat <strong>Adolf</strong><br />
<strong>Reichwein</strong> einerseits sozialistisch und<br />
andererseits national gedacht, wie<br />
konnte er <strong>die</strong>sen scheinbaren Gegensatz,<br />
<strong>die</strong>sen paradoxen Widerspruch<br />
verbinden und was hat das für sein<br />
politisches (und pädagogisches) Handeln<br />
vor und nach 1933 bedeutet ?<br />
2.<br />
Mittlerweile dürfte es ziemlich klar<br />
und unstrittig sein, dass <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong><br />
Ende der 20er Jahre zu den national<br />
gesinnten „jungen Rechten“ der<br />
Sozialdemokratie bzw. in <strong>die</strong> breite<br />
Strömung des „nationalen Sozialismus“<br />
jener Jahre gehörte, zumal er<br />
sich selbst einmal als „nationaler Sozialist“<br />
bezeichnet hat. (Brief an Frl.<br />
Walther) Ich bin in <strong>die</strong>sem Punkt inzwischen<br />
etwas dezi<strong>die</strong>rter, als ich<br />
das im Herbst 2007 war. Heinz<br />
Schernikau hat <strong>die</strong>sen Umstand in<br />
sein Tiefensee-Buch bereits eingearbeitet,<br />
während Karl Christoph Lingelbach<br />
und mancher andere sich<br />
noch dagegen wehrt. (vgl. auch<br />
K.Ch.Lingelbach: Ein sozialdemokratischer<br />
„junger Rechter“ und ein „nationaler<br />
Sozialist“? rf, Nr. 13 (Dez.<br />
2008), S. 40 - 50) Aber was bedeutet<br />
das im konkreten Fall ? Wie konnte<br />
<strong>Reichwein</strong> national gesinnt sein und<br />
zugleich marxistisch denken und aus<br />
welchen Gründen ging er als „nationaler<br />
Sozialist“ nach 1933 in den politischen<br />
Widerstand gegen den herrschenden<br />
Nationalsozialismus ? Das<br />
erscheint mir <strong>immer</strong> noch erklärungsbedürftig.<br />
In <strong>die</strong>sem Zusammenhang finde ich<br />
<strong>die</strong> „Denkfigur“ von Heinz Schernikau<br />
ganz plausibel und hilfreich. Der rechte,<br />
nationale Sozialismus entstand<br />
demnach in Deutschland nach der Katastrophe<br />
des 1. Weltkriegs aus der<br />
„doppelten Frontstellung“ einerseits<br />
gegen den liberalistischen Kapitalismus<br />
und andererseits gegen den<br />
doktrinären Marxismus mit seiner<br />
Klassenkampfstrategie. Beide hatten<br />
sich im 1. Weltkrieg gründlich blamiert,<br />
<strong>die</strong> Nation, der Nationalismus<br />
hatte sich als <strong>die</strong> dritte Kraft erwiesen,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> beiden anderen überwältigte.<br />
Das ist weniger eine „These“ -<br />
schon gar nicht eine über <strong>die</strong> politischen<br />
Auffassungen <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>s,<br />
wie Lingelbach meint -, als vielmehr<br />
eine Beschreibung der damaligen politischen<br />
Problemkonstellation, ein<br />
Problemaufriss, der sich nach dem 1.<br />
Weltkrieg in Deutschland entfaltete<br />
und <strong>immer</strong> mehr in den politischen<br />
Vordergrund drängte, bis er schließlich<br />
<strong>die</strong> zweite Hälfte der 1920er Jahre<br />
beherrschte und <strong>die</strong> „Weimarer Republik“<br />
in den Abgrund führte.<br />
Man könnte in <strong>die</strong>sem Zusammenhang<br />
an ein politisches Kräfteparallelogramm<br />
denken, das dem „pädagogischen<br />
Parallelogramm“ <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>s<br />
im „Schaffenden Schulvolk“ auf<br />
der politischen Ebene ähnelt. Auf der<br />
einen Achse verläuft der liberale Kapitalismus,<br />
auf der anderen Achse der<br />
klassenkämpferische Marxismus, und<br />
dazwischen sucht sich der „nationale<br />
Sozialismus“ (oder der „soziale Nationalismus“?)<br />
seinen diagonalen „dritten<br />
Weg“, der sich von den beiden<br />
anderen Achsen absetzt, zu beiden in<br />
Opposition geht. Der Liberalismus des<br />
Konkurrenz- und Profitkapitalismus,<br />
der sich mit seinen technischen Mitteln<br />
als destruktiv erwiesen hatte,<br />
sollte unter eine politische, planwirtschaftliche,<br />
sozialistische Kontrolle<br />
gebracht werden. Und der doktrinäre,<br />
klassenkämpferische Marxismus erschien<br />
nicht mehr als <strong>die</strong> Strategie,<br />
mit der <strong>die</strong> Einheit und Stärke des<br />
deutschen Volkes, der Nation wieder<br />
hergestellt werden konnte. Es musste<br />
etwas dazwischen geben, einen dritten<br />
Weg, und das war für viele der<br />
„nationale Sozialismus“, in dem Volk<br />
und Nation, <strong>die</strong> „Volksgemeinschaft“<br />
im Mittelpunkt stehen und <strong>die</strong> Richtlinien<br />
der Politik bestimmen sollte.<br />
Das war auch nach dem 1. Weltkrieg<br />
<strong>immer</strong> noch eine Legitimationsbasis,<br />
von der aus man sowohl gegen den liberalen<br />
Kapitalismus als auch gegen<br />
autoritäre Auswüchse der marxistischen<br />
Klassenkampfstrategie argumentieren<br />
und vorgehen konnte.<br />
Ich meine, dass auf <strong>die</strong>se Weise <strong>die</strong><br />
Position und Richtung des nationalen<br />
Sozialismus im Deutschland der<br />
1920er Jahre, in der „Weimarer Republik“<br />
ganz gut umrissen werden<br />
kann und dass er sich deshalb nicht<br />
nur außerhalb des herkömmlichen<br />
Parteienspektrums, vor allem in der<br />
NSDAP, durchsetzen konnte, sondern<br />
sich auch innerhalb einiger herkömmlicher<br />
Parteien, z.B. in der SPD, in der<br />
„jungen Rechten“ ansiedeln konnte.<br />
Welche Rolle dabei <strong>die</strong> durch den 1.<br />
Weltkrieg hindurchgegangene Jugendbewegung<br />
gespielt hat und wie<br />
sie in den damaligen Konflikten auseinander<br />
gerissen wurde, ist ein Thema<br />
für sich. Und ich meine auch, dass der<br />
junge <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> <strong>die</strong>sem dritten<br />
Weg des nationalen Sozialismus im<br />
weitesten Sinne zugeordnet werden<br />
kann.<br />
3.<br />
Im Falle <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>s sind aber<br />
auch einige Einschränkungen und<br />
Spezifizierungen nötig. Er war selbstverständlich<br />
kein Nationalist, der Nationalismus<br />
hatte ja gerade erst <strong>die</strong><br />
Katastrophe des 1. Weltkriegs herbeigeführt,<br />
und ihm lag überhaupt nichts<br />
daran, <strong>die</strong>se Tragö<strong>die</strong> fortzusetzen<br />
oder gar zu wiederholen. Er war aber<br />
doch ein Patriot, der das deutsche<br />
Volk, den jungen deutschen Nationalstaat<br />
als den kulturellen Nährboden<br />
verstand, auf dem pädagogisches und<br />
politisches Handeln in Deutschland<br />
überhaupt nur möglich war und von<br />
dem aus andere politische, gesellschaftliche<br />
und technischzivilisatorische<br />
Kräfte in ihre Grenzen<br />
verwiesen werden konnten und mussten.<br />
Volk und Nation (als Kulturnation) waren<br />
für ihn also eine Identitätsbasis,<br />
eine Basis für nationales Selbstbewußtsein,<br />
von dem aus es erst möglich<br />
war, eine über <strong>die</strong> Nation hinausgehende<br />
Verständigungs- und Frie-