„Richte immer die Gedanken... - Adolf-Reichwein-Verein

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eichwein forum Nr. 17/18 Mai 2012 52 thes und Alexander von Humboldts.(3) Diese Gemeinsamkeiten bedingen und ermöglichen es, so meine ich, vom Standpunkt der Gegenwart aus in undogmatischem Rückgriff auf das sich ergänzende Wagenschein/ Reichwein-Erbe den Lehrkunstweg im Bewusstsein eines erweiterten Traditionshorizontes erfolgreich weiter zu beschreiten. 1) Dieser Band enthält die zur weiteren Erprobung einladenden Lehrstücke: · Linnes Wiesenblumen, frei nach Rousseau · Faradeys Kerze · Pythagoras, frei nach Wagenschein u.a. · Kanonschatz Der heimatliche Sternenhimmel, sehr frei nach Wagenschein · Aesop Fabeln, frei nach Lessing · Gombrichs Kurze Weltgeschichte für junge Leser · Teich als Lebensgemeinschaft , nach Junge · Griechentänze mit Homer, nach Bernhard Wosien und Walter Jens UAZ – Unsere Abendzeitung 2) Hans Christoph Berg: Die Werkdimension im Bildungsprozess. Das Konzept der Lehrkunst (= Lehrkunstdidaktik, Band 1 hep, Bern 2009 · Wolfgang Klafki: Kategoriale Bildung. Zur bildungstheoretischen Deutung der modernen Didaktik, 1959. In: Klafki, Wolfgang: Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Weinheim:Beltz 1963 · Karl Christoph Lingelbach: Vom laufenden Band der Geschichte. Zum verborgenen Lehrplan in: Reichweins Schulmodell Tiefensee. In: Jahrbuch für Pädagogik 1997. Frankfurt a. M. 1997, S. 219-230 · Adolf Reichwein: Schaffendes Schulvolk – Film in der Schule. Die Tiefenseer Schulschriften – Kommentierte Neuausgabe. Herausgegeben von ---Wolfgang Klafki, Ullrich Amlung, Hans Christoph Berg, Heinrich Lenzen, Peter Meyer, Wilhelm Wittenbruch. Beltz, Weinheim 1993, 22009. [Erstausgabe 1937; 1938] · Heinz Schernikau: Tiefensee – ein Schulmodell aus dem Geist der deutschen Klassik: Reformpädagogik am Beispiel Adolf Reichweins. Beltz, Weinheim 2009. · Martin Wagenschein: Verstehen Lehren. Genetisch – Sokratisch – Exemplarisch. Mit einer Einführung von Hartmut von Hentig und einer Studienhilfe von Hans Christoph Berg. Weinheim, Beltz 42008 [Erstausgabe 1968]. · Martin Wagenschein: Naturphänomene sehen und verstehen. Genetische Lehrgänge. Das Wagenschein-Studienbuch. Herausgegeben von Hans Christoph Berg. (= Lehrkunstdidaktik, Band 4). Bern, hep 42009 [Erstausgabe 1980]Susanne Wildhirt: Lehrstückunterricht gestalten. „Man müsste in die Flammehineinschauen können“ (= Lehrkunstdidaktik, Band 2). hep, Bern 2008.3) Vgl. Heinz Schernikau: Tiefenee – ein Schulmodell aus dem Geist der deutschen Klassik …, S. 281
eichwein forum Nr. 17/18 Mai 2012 53 Reichweins reformpädagogische Goethe-Schule in Tiefensee Ein Dank 41 an Heinz Schernikau für seinen tiefgründigen und hellsichtigen Reichwein-Aufschluss in seinem Buch: Tiefensee – ein Schulmodell aus dem Geist der deutschen Klassik. Reformpädagogik am Beispiel Adolf Reichweins (2009) Hans Christoph Berg Einleitung mit einem Überblick über Reichweins Schulbericht und einer Leseprobe aus Schernikaus Buch darüber 2 1. Adolf Reichwein hat 1937 seinen zweihundertseitigen Bericht über seine vierjährige Arbeit in Tiefensee vorgelegt: „Schaffendes Schulvolk"; anschaulich und gedankenreich, traditionskundig und aussichtsreich, zupackend und feinfühlig geschrieben – zugleich ein journalistisch gekonnter Schulreport wie ein pädagogischliterarisches Meisterstück, eines der paar Dutzend klassischen Meisterwerke der Pädagogik, in Art und Rang 41 Es ist nach 25 Jahren ein zweiter Dank: „Zwar hat endlich Schernikau (1981) Herders Weltgeschichte und Humboldts Kosmos als curriculare Leitschriften des 19. Jahrhunderts dargestellt; aber meine drei Dauerfragen nach Lehrstücken und Lehrregeln im Traditionsstrom an meine Kollegen von der herrschenden Didaktik sind erst dann positiv beantwortet, wenn diese beiden Werke didaktisch kommentiert und sachlich novelliert in unsere Lehrerbildung eingebracht werden.“ (Berg: Lehrkunst im Traditionsstrom – dank Wagenschein, 1986). 2 In dieser Einleitung übernehme ich im Abschnitt 1 die Einleitung aus meinem Nachwort zur Reichwein-Neuedition (1993, 2 2009, mit dem Präludium Berg/Amlung 1988), und im Abschnitt 2 die Ankündigung meiner Schernikau-Rezension im Reichwein-Forum Nr. 15/Juni 2010. benachbart Pestalozzis Stanser Brief, Tolstojs Jasnaja Poljana und Neills Summerhill. Von den vier Kapiteln bringt das erste – „Von der Gestaltung" – die Grundlinien oder den Satz der siebenteiligen Regel, die sich in Analogie zur „Odenwald-Ordnung" (Wagenschein 42008) und zur „Salemer Regel" (Hahn 1986) vielleicht als „Tiefensee-Regel" zusammenfassen lassen. Die sieben Teilregeln sind: Selbsthilfe (1) und Gegenseitige Hilfe (2), Einleben in den natürlichen Kreislauf der Dinge (3) und Aneignung des maßgeblichen kulturellen Grundstocks (4), Sparsame Beschränkung (5) und Sachlichkeit (6), und alles gerichtet auf Werkschaffen (7). Beispielhaft kommt seine fünfte Regel – Sparsame Beschränkung: ‚mach' möglichst viel aus möglichst wenig’ – in einem seiner Unterrichtsprojekte zum Ausdruck: „Das Glasdach stellte wieder neue eigenartige Anforderungen: viel Glas und wenig Holz war die Parole. Sämtliche Hausböden wurden durchstöbert, alles erreichbare Glas zusammengetragen, geschnitten, gefügt. Es gab nach Größe und Qualität der Stücke buntes Mosaik. Wir holten aus einem entfernten Dorfe Fenster, die bei der Erneuerung des Pfarrhauses überzählig geworden waren, wir suchten im Keller der Gärtnerei nach abgelegtem Bruch von Mistbeeten, kurz, wir bemühten uns um den Beweis, dass eine einsame, ländliche Schulgemeinschaft auch ohne fremde Geldhilfe, wenn sie nur erfinderisch ist, fast aus dem Nichts ihre Arbeitsmittel selbst gestalten und dabei vieles lernen kann, wofür ihr sonst die aus eigener Arbeit gewonnene Anschauung fehlte." ( Reichwein 22009, S. 66; im Folgenden: R 66) Das zweite, umfangreichste Kapitel – „Wie wir es machen" – beschreibt die sieben großen Vorhaben (oder Unterrichtsprojekte), so wie sie sich auch nach Jahrzehnten in der Erinnerung seiner Schüler an ihre schöne und ergiebige Schulzeit erhalten haben mögen: Bau eines Gewächshauses, Bau und Beobachtung eines Bienenstockes, Hausbau von der Steinzeit bis heute, Erdkunde (besonders Afrika) im Fliegen, Weihnachtsspiel, schließlich die beiden großen Fahrten nach Ostpreußen und nach Schleswig- Holstein. In diesen Vorhaben lässt er seine ganze Lehrkunst spielen: „Wir machen in unserer ländlichen Schulgemeinschaft aus der Not des Beieinanders aller Altersstufen eine Tugend. Es ist die Tugend des neuen, vom Kind und seiner Sache und nicht mehr aus der Zerrissenheit der Fächer bestimmten Unterrichts" (R 57). „Das Instrument aber zu spielen, ist eine Kunst, die mit dem Orgelspiel vergleichbar ist, wenn dieser gewiss mangelhafte Vergleich überhaupt erlaubt ist..." (R 58). Im dritten Kapitel – „Von den Einfachen Formen" – legt nun der meisterliche Unterrichtshandwerker, der Schulmeister Reichwein Rechenschaft darüber ab, wie er die schulische Kleinarbeit in die großen Vorhaben des Lehrkünstlers Reichwein eingebaut hat. Denn „...Aus dem Gefüge der Orgelpfeifen Musik zu gestalten, ist im hohen Sinne nur dem Künstler gegeben. Also wird unser Erzieher etwas vom Künstler haben müssen. Und doch steckt in diesem Spiel ein handwerkliches Können, das übertrag- und lernbar ist. So wie es wenige Künstler auf der Orgel gibt, wird es nur selten Künstler des Erziehens geben, „geborene Erzieher", und die übrigen werden sich bescheiden, handwerklich geübt, geschult, gewissenhaft das ihnen anvertraute Instrument zu beherrschen“ (R 58). Und hier sind nun die traditionellen Kapitel der Didaktik über Unterrichtsformen, Unterrichtsprinzipien und dergleichen so eingebracht und angewandt wie die Bautechnik in der Baubeschreibung eines ingenieurkundigen Architekten. Diese vorbereitende und stetig begleitende Kleinarbeit wird deutlich aus folgen-
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