„Richte immer die Gedanken... - Adolf-Reichwein-Verein
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eichwein forum Nr. 17/18 Mai 2012<br />
23<br />
letantisch, wurde auch von manchen<br />
von uns mit halb belustigter, halb unlustiger<br />
Skepsis betrachtet”(1969, S.<br />
299f.). Die Jugendbewegung war für<br />
Gardiner auch wichtig im Hinblick auf<br />
den Umweltschutz. Sie war – schreibt<br />
er 1970 in einem Brief – der “erste<br />
Aufstand, <strong>die</strong> natürliche Ordnung, auf<br />
der unser Planet beruht, wieder herzustellen”<br />
(Brief vom 26.1.1970, in:<br />
Jefferies/Tyldesley 2011b, S. 175).<br />
Begegnungen der Freunde<br />
Die kulturelle, soziale und politische<br />
Neugestaltung der Gesellschaft durch<br />
<strong>die</strong> Jugendbewegung spielte also für<br />
beide, für <strong>Reichwein</strong> und Gardiner, eine<br />
wichtige Rolle; <strong>die</strong>s wird auch deutlich<br />
bei den Begegnungen der beiden<br />
Freunde. Auf der Grundlage des “Lebensbildes<br />
in Briefen und Dokumenten<br />
(1914 – 1944)” von <strong>Reichwein</strong>, eines<br />
Briefes von Gardiner an Rosemarie<br />
<strong>Reichwein</strong> (24.12.1962) sowie Aufsätzen<br />
von ihm lassen sich mehrere Begegnungen<br />
zwischen den beiden ausmachen.<br />
Dabei ist nicht auszuschließen,<br />
dass sie sich häufiger begegnet<br />
sind; denn Gardiner war häufig in<br />
Deutschland, wie der “Zeittafel” für<br />
Georg Götsch zu entnehmen ist (vgl.<br />
1969, S. XX – XXIII), nur dass es eben<br />
nicht dokumentiert ist.<br />
Die erste Begegnung der beiden fand<br />
Anfang August 1923 in Hellerau statt.<br />
<strong>Reichwein</strong> berichtete seinem Vater in<br />
einem Brief vom 30.8.1923 von einer<br />
“Jugendtagung” in Hellerau (30.7. -<br />
5.8.), an der “etwa 400 Deutsche und<br />
200 Ausländer” (LBD 1999, S. 55) teilgenommen<br />
hätten (“Tagung deutscher,<br />
nordischer, englischer und amerikanischer<br />
Jugend”), bei der er über<br />
“Politik” (S. 310) referiert hatte. Gardiner<br />
war einer der englischen Teilnehmer.<br />
Er und Friedrich Vorwerk haben<br />
“im Winter” nach <strong>die</strong>ser Tagung<br />
eine “Erkundungs- und Werbereise<br />
durch Thüringen, Westfalen und<br />
Hamburg im Auftrage des Lauensteiner<br />
Kreises” gemacht. <strong>Reichwein</strong>,<br />
Günter Keiser, Erich Trummler und<br />
Heinrich Becker als Mitglieder des<br />
Kreises waren auch beim Treffen in<br />
Hellerau (vgl. S. 311). Gardiner hatte<br />
vorgeschlagen, dass <strong>die</strong>se Gruppe im<br />
Sommer 1924 nach Südengland kommen<br />
sollte, um sich dort mit “Führern<br />
der jungen Generation” (S. 311) zu<br />
treffen. In einem Brief vom 1.2.1924<br />
teilte <strong>Reichwein</strong> Gardiner mit, dass er<br />
wohl im Sommer zwei Monate Urlaub<br />
habe, sodass einer Reise nach England<br />
“nichts im Wege” stehe; er freue sich<br />
auf das “Zusammensein mit Euch englischen<br />
Kameraden” (S. 58). Offensichtlich<br />
ist es aber nicht zu <strong>die</strong>ser Reise<br />
<strong>Reichwein</strong>s gekommen.<br />
Gardiner berichtet in seinem Ausatz<br />
über “<strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>. Ein Vorkämpfer<br />
eines neuen Europa” (1949), dass<br />
er ihn im Winter 1923/24 in Jena besucht<br />
habe; <strong>Reichwein</strong> war hier Geschäftsführer<br />
der Volkshochschule<br />
Thüringen. Gardiner schreibt, dass<br />
<strong>Reichwein</strong> “zum Sozialismus” neigte<br />
und “seine Hoffnungen auf <strong>die</strong> jungen<br />
Proletarier” setzte. Er stritt sich mit<br />
ihm, weil <strong>Reichwein</strong> “intellektuelle<br />
Formulierungen und Analysen für<br />
wichtig hielt” (1949, S. 20). In einem<br />
Brief vom 24.12.1962 an Rosemarie<br />
<strong>Reichwein</strong> teilt er ihr mit, dass er<br />
<strong>Reichwein</strong> 1924 zweimal in Jena besucht<br />
habe; er schreibt: “ich sehe noch<br />
wie er vom Berg kommend auf mich<br />
zu herunter sprang, mildäugig und lachend,<br />
und mir auf <strong>die</strong> Schulter heftig<br />
schlug...” (BBF -Archiv, Nachlass RR)<br />
Im März 1928 (14. - 31.3.) haben<br />
<strong>Reichwein</strong>, Gardiner und Götsch an<br />
der 1. Schlesischen Woche im Boberhaus/Löwenberg<br />
teilgenommen,<br />
<strong>Reichwein</strong> dabei mit drei Jungarbeitern<br />
aus dem Jenaer Volkhochschulheim.<br />
Neben der praktischen Arbeit<br />
am Vormittag spielten <strong>die</strong> täglichen<br />
Vorträge und <strong>die</strong> Aussprachen darüber<br />
eine wichtige Rolle. Die eine Vortragsreihe<br />
wurde jeweils am Morgen von<br />
Rosenstock-Huessy zum Thema “Das<br />
Wesen der Stände innerhalb der historischen<br />
Arbeitsverfassungen” gehalten,<br />
eine zweite Vortragsreihe jeweils<br />
am Nachmittag von <strong>Reichwein</strong> zum<br />
Thema “Deutsche und schlesische<br />
Probleme im weltwirtschaftlichen Zusammenhang”<br />
(.Greiff 1985, S. 21, vgl.<br />
<strong>Reichwein</strong> 1928, Amlung 1999, S.<br />
204ff.). Nach Aussagen Gardiners hat<br />
<strong>Reichwein</strong> dabei “sehr klar und prophetisch”<br />
referiert; er kritisierte ihn allerdings<br />
“wegen seiner Methode, `das<br />
Volk` mit Statistiken zu erschrecken”<br />
(LBD 1999, S. 323). Gardiner selbst hat<br />
im Rahmen <strong>die</strong>ses Arbeitslagers an einem<br />
Abend “seine alten schottischen<br />
Tänze” (<strong>Reichwein</strong> 1928, S. 187) vorgeführt;<br />
Götsch hat <strong>die</strong> Musik “gestaltet”.<br />
<strong>Reichwein</strong> lernte bei <strong>die</strong>sem Arbeitslager<br />
mit Helmuth James von<br />
Moltke, Carl Dietrich von Trotha und<br />
Horst von Einsiedel drei Mitglieder des<br />
späteren Kreisauer Kreises kennen.<br />
Im Zeitraum von 1927 bis 1929 ist <strong>die</strong><br />
Gründung des Musikheims in Frankfurt/Oder<br />
geschehen; es ist anzunehmen,<br />
dass sich <strong>Reichwein</strong> und Gardiner<br />
bzw. Götsch in <strong>die</strong>sem Zeitraum<br />
auch aus Anlass der Gründung des<br />
Musikheims begegnet sind. Wahrscheinlich<br />
ist es auch aus Anlass der<br />
Besetzung der Direktorenstelle an der<br />
Pädagogischen Akademie in Frankfurt/Oder<br />
1929 zu einer Begegnung<br />
der beiden gekommen. Es ging darum,<br />
ob Ernst Buske, der “Führer der Deutschen<br />
Freischar”, Direktor der Pädagogischen<br />
Akademie wird, wie es Gardiner<br />
und Götsch wünschten. In seiner<br />
“Rezension” der <strong>Reichwein</strong>-Biographie<br />
von James L. Henderson (1958) nennt<br />
Gardiner drei Männer der deutschen<br />
Jugendbewegung, <strong>die</strong> seiner Meinung<br />
nach nach dem 1. Weltkrieg “von geschichtlicher<br />
Bedeutung hätten sein<br />
können”: Ernst Buske, Georg Götsch<br />
und <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>. Angesichts der<br />
vorliegenden Literatur über <strong>die</strong>se drei<br />
fragt er provokativ: “Warum ver<strong>die</strong>nt<br />
<strong>Reichwein</strong> ruhmreichere Aufmerksamkeit<br />
als <strong>die</strong> anderen beiden Kameraden?”<br />
(1960, S. 2). In Bezug auf<br />
<strong>Reichwein</strong> hebt er hervor, dass <strong>die</strong>ser<br />
ein “radikaler Aktivist” war, der <strong>die</strong><br />
Welt “verwandeln” und nicht nur “interpretieren”<br />
wollte (S. 3). Als besondere<br />
Anliegen <strong>Reichwein</strong>s nennt er<br />
“<strong>die</strong> Erziehung der Massen zum politischen<br />
Volk” und <strong>die</strong> Entwicklung einer<br />
“Volkskultur” (S. 4f.). Bei allem Lob für<br />
<strong>Reichwein</strong> kritisiert er ihn aber doch<br />
deutlich im Hinblick auf <strong>die</strong> Besetzung<br />
des Direktorpostens der Pädagogischen<br />
Akademie in Frankfurt/Oder. Er