„Richte immer die Gedanken... - Adolf-Reichwein-Verein
„Richte immer die Gedanken... - Adolf-Reichwein-Verein
„Richte immer die Gedanken... - Adolf-Reichwein-Verein
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
eichwein forum Nr. 17/18 Mai 2012<br />
45<br />
Lehrerstelle bei Berlin behilflich war<br />
und ihn zu einer Selbstdarstellung<br />
aufforderte.<br />
In dem Kapitel „Die platonische Provinz“,<br />
Unterkapitel „Ein begnadetes<br />
Leben“, das sich vor allem mit C.H.<br />
Becker beschäftigt, geht Ulrich Raulff<br />
auf den Seiten 443 bis 446 zum vierten<br />
Mal, und <strong>die</strong>smal ausführlicher<br />
auf <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>, seine Biografie<br />
und Persönlichkeit ein. Dabei betont<br />
Raulff natürlich besonders <strong>die</strong> Rolle<br />
der Georgeaner in <strong>Reichwein</strong>s Leben<br />
und erwähnt zuerst Friedrich Wolters<br />
und Ernst Robert Curtius. Dazu<br />
schreibt Raulff: „Die Bekanntschaft<br />
von Curtius und <strong>Reichwein</strong> ging zurück<br />
auf <strong>die</strong> Marburger Zeit um 1920,<br />
als Curtius an der Philipps-Universität<br />
Romanistik lehrte und <strong>Reichwein</strong> bei<br />
Friedrich Wolters stu<strong>die</strong>rte, bei dem<br />
er eines Tages auch George kennen<br />
lernte.“(S.444 f.) Für <strong>die</strong>se letzte Mitteilung<br />
gibt Raulff zwar keine Quelle<br />
an, sie stammt aber von Harro Siegel<br />
und ist schon in der ersten Briefausgabe<br />
in einer Anmerkung von Ursula<br />
Schulz auf S. 305 abgedruckt. Dann<br />
fährt Raulff mit einem Curtius-Zitat<br />
fort: “Von Marburg aus schleppte ich<br />
ihn (<strong>Reichwein</strong>) auf eine Volksbildungstagung<br />
nach Weilburg mit, <strong>die</strong><br />
mein Schwager Picht leitete. So ist er<br />
dann in das Ministerium gekommen.“<br />
Das Zitat entstammt einem Brief von<br />
Curtius an Arthur von Machui aus<br />
dem Jahr 1945/46, der in der ersten<br />
Briefausgabe auf S. 274 f. abgedruckt<br />
ist. Gemeint sind hier das Preußische<br />
Kultusministerium und der Schwager<br />
Werner Picht, der um 1920 einer von<br />
drei Referenten in der von C.H. Becker<br />
1919 gegründeten Abteilung<br />
Volksbildungswesen im Ministerium<br />
war. Ein zweiter Referent in der gleichen<br />
Abteilung war damals Robert<br />
von Erdberg, der vermutlich ebenfalls<br />
in Weilburg anwesend war, und tatsächlich<br />
hat <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> seine<br />
erste Anstellung als Geschäftsführer<br />
des „Ausschusses der deutschen<br />
Volksbildungsvereinigungen“ beim<br />
preußischen Kultusminsterium im Dezember<br />
1921 auf Betreiben bzw. unter<br />
der Leitung von Erdbergs, also<br />
nicht bei Werner Picht, angetreten.<br />
(Die gleiche Tagung im Jahr 1921 in<br />
Weilburg wird übrigens auch von Otto<br />
Suhr, der offenbar ebenfalls dort<br />
war, am Anfang seiner „Erinnerungen<br />
an <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>“ erwähnt,<br />
<strong>die</strong> Suhr 1953 verfasst hat und <strong>die</strong> ich<br />
in meinen Beitrag „<strong>Reichwein</strong> im<br />
Warthegau“ berücksichtigt habe.)Die<br />
dann folgenden Mitteilungen Raulffs<br />
über <strong>Reichwein</strong> an <strong>die</strong>ser Stelle bieten<br />
für uns nichts Neues mehr.<br />
Die fünfte und letzte Mitteilung Raulffs<br />
über <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> findet sich<br />
auf S. 475 und stammt aus einem<br />
Brief des bereits erwähnten Staatsrechtlers<br />
Ernst Rudolf Huber, dem<br />
Schüler und Assistenten von Carl<br />
Schmitt, an Hellmut Becker vom<br />
8.7.1950, in dem er auf sein letztes<br />
Gespräch mit <strong>Reichwein</strong> im Mai 1944<br />
in Straßburg eingeht: „Wir sprachen<br />
über <strong>die</strong> bevorstehende Invasion, er<br />
sagte, darüber zu reden sei eigentlich<br />
sinnlos, da vorher etwas Entscheidendes<br />
geschehen werde. Da ich begriff,<br />
was er meinte, war meine sofortige<br />
Gegenfrage: Wer soll denn <strong>die</strong> Staatsgewalt<br />
übernehmen ? Antwort: Ein<br />
Direktorium von Männern aus den<br />
verschiedensten Richtungen. Ich:<br />
Dann müssten außer Goerdeler-Beck<br />
auch Sozialisten beteiligt sein. Er: dafür<br />
ist gesorgt; man muss aber auch<br />
<strong>die</strong> Kommunisten heranziehen. Darüber<br />
dann längeres Gespräch.“ Diese<br />
Mitteilung war, so weit ich sehe, bisher<br />
unbekannt. Sie belegt, dass<br />
<strong>Reichwein</strong> schon im Mai 1944 von<br />
den Attentats- und Staatsstreichplänen<br />
der Offiziere um Claus von Stauffenberg<br />
wusste und dass <strong>die</strong>se eigentlich<br />
vor der erwarteten Invasion in der<br />
Norman<strong>die</strong> (am 6. Juni 1944) ausgeführt<br />
werden sollten. Zwei weitere<br />
Bestätigungen für <strong>Reichwein</strong>s frühe<br />
Kenntnis des militärischen Umtsurzplans<br />
stammen vom 7. Juni aus einem<br />
Gespräch mit Werner Heisenberg in<br />
Berlin und vom 13. Juni aus einem<br />
Gespräch mit Walter und Grete Dexel<br />
in Braunschweig, abgedruckt im ersten<br />
Briefband in den Anmerkungen<br />
von Ursula Schulz auf S. 362 f.. Heisenberg<br />
schrieb 1970 an Frau Schulz:<br />
„<strong>Reichwein</strong> hatte mir damals, als wir<br />
in meiner Dachkammer im Harnack-<br />
Haus allein waren, über Pläne zur Beseitigung<br />
Hitlers erzählt, und ich mußte<br />
ihn <strong>immer</strong> wieder zum Leisesprechen<br />
und zur Vorsicht mahnen.“ Und<br />
Frau Dexel schrieb 1970 an Frau<br />
Schulz: „Er erzählte damals (übrigens<br />
zum 1. Mal) von der bevorstehenden<br />
Verschwörung und davon, dass er den<br />
Auftrag hätte, mit den Kommunisten<br />
Fühlung aufzunehmen, da ja das Volk<br />
insgesamt an der Sache beteiligt werden<br />
müsse.“ Hier ist, wohlgemerkt,<br />
von einem Auftrag <strong>die</strong> Rede. Vom<br />
wem der Auftrag kam, der bekanntlich<br />
im „Kreisauer Kreis“ umstritten<br />
war, wissen wir nicht. (Eine vierte Bestätigung<br />
steht übrigens am Ende der<br />
von Otto Suhr 1953 verfassten „Erinnerungen<br />
an <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>“, <strong>die</strong> ich<br />
in meinem Beitrag „<strong>Reichwein</strong> im<br />
Warthegau“ behandelt habe.)Seiner<br />
Frau Romai hat <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> anscheinend<br />
nicht von den militärischen<br />
Plänen berichtet, denn sie war,<br />
soweit ich mich erinnern kann, <strong>immer</strong><br />
unsicher darüber, ob er schon vor seiner<br />
Verhaftung am 4. Juli 1944 von<br />
den Attentatsplänen gewusst habe.<br />
Zurück zu Stefan George und dem<br />
George-Kreis. Bei der Lektüre des Buches<br />
von Raulffs sind mir vor allem<br />
drei Dinge aufgefallen:<br />
Das eine ist, dass <strong>die</strong> homoerotische<br />
bzw. homosexuelle Komponente des<br />
George-Kreises, <strong>die</strong> natürlich von Stefan<br />
George selber ausging, in dem<br />
Buch von Ulrich Raulff eigentümlich<br />
unterbelichtet bleibt. So wie man im<br />
George-Kreis damit umgegangen ist –<br />
man wusste davon, aber man redete<br />
nicht darüber - , so geht auch Ulrich<br />
Raulff damit um. Er erwartet offenbar,<br />
dass auch der heutige Leser seines<br />
Buches, ein halbes Jahrhundert<br />
später, darüber Bescheid weiß und<br />
man nicht darüber schreiben muss. In<br />
dem ganzen dicken Buch erfährt „der<br />
geneigte Leser“ nicht, wer von den<br />
zahlreichen Mitgliedern, Anhängern<br />
und Sympathisanten Georges und des<br />
George-Kreises nun homosexuell war