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„Richte immer die Gedanken... - Adolf-Reichwein-Verein

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eichwein forum Nr. 17/18 Mai 2012<br />

59<br />

auf Belege aus dem Tiefenseer<br />

Schulmodell der Hitlerzeit mit ihrer<br />

Zensurpraxis, sondern auf betriebs-,<br />

volks- und weltwirtschaftliche Stu<strong>die</strong>n<br />

aus der Weimarer Zeit mit ihrer Handlungs-<br />

und Publikationsfreiheit.<br />

Schernikau stützt sich auf v. Koerber<br />

(1981). Gleichwohl bleibt <strong>die</strong>se Aussage<br />

ein wichtiger Hinweis. Die Entsprechungs-Hinweise<br />

zum klassischen<br />

Weltbild, <strong>die</strong> in den Ausführungen<br />

zum „Jahresplan“(Sch 231-239) zu<br />

finden sind, beschränken sich auf <strong>die</strong><br />

für Geographie/Erdkunde, Volkskunde<br />

und Geschichte bedeutsamen Bezüge<br />

zum Herder/Ritter-Topos vom<br />

„Wohnhaus“ der Erde bzw. auf Herders<br />

„Philosophie der Erde“. Offenkundig<br />

wird zugleich, daß <strong>die</strong> Themenkreise<br />

geprägt sind „vom Respekt<br />

vor der Eigenwirklichkeit der Weltdinge<br />

im Geiste der Bildungsontologie<br />

Goethes“ (Sch 234). Bei der Sommer/Winter-Untergliederung<br />

zeigt<br />

sich über<strong>die</strong>s „eine Vertiefung im<br />

Geiste (des) ökologisch-systemischen<br />

Denkens von Herder, Goethe, Humboldt<br />

und Capra“. Aber ob <strong>Reichwein</strong>s<br />

Geschichtsfries („Das laufende Band<br />

der Geschichte“) hintergründig von<br />

Herder inspiriert ist, und warum keine<br />

an Humboldts Kosmos orientierte<br />

Weltkarte erwähnt wird? <strong>Reichwein</strong><br />

schweigt, Schernikau auch. Fündig<br />

wird Schernikau dagegen bei der<br />

Querdimension der Formenkunde:<br />

„An Goethes ‚Schule des morphologischen<br />

Sehens’ erinnert das Zeichnen<br />

nach der Natur, das nicht den Sinn des<br />

Kopierens habe, sondern dem Nachempfinden<br />

einer gewachsenen Form<br />

<strong>die</strong>nt, einer ‚geprägten Form, <strong>die</strong> lebend<br />

sich entwickelt’“ (Sch 241),<br />

Grundlage auch für <strong>die</strong> Wahrnehmung<br />

des Symbolcharakters der Dinge,<br />

gemäß „der nahen inneren Verwandtschaft<br />

der Natur- und Kunstformen“,<br />

wie sie Goethe <strong>immer</strong> wieder<br />

dargestellt hat (vgl. Sch 244). Unter<br />

dem Zwischentitel „Der goethische<br />

Aspekt“ resümiert Schernikau:<br />

„Daher ist <strong>die</strong> ‚Formenkunde’ <strong>Reichwein</strong>s<br />

letztlich darauf angelegt, das<br />

Bild einer Welt zu vermitteln, das<br />

nicht von Kontingenz bestimmt ist,<br />

dem vielmehr eine Seinsordnung im<br />

Sinne der vormodernen Kosmostheorie<br />

zugrunde liegt.“ (Sch 244).<br />

4.2 <strong>Reichwein</strong>s Lehrkunst auf dem<br />

Weg zur morphologischen Methode<br />

„<strong>Reichwein</strong>s Lehrkunst wurde zunächst<br />

unter dem Lehrplan-Aspekt als<br />

klassisches Beispiel einer exemplarischen<br />

Lehre gewürdigt, <strong>die</strong> auf Erschließung<br />

weniger kategorialer<br />

Grundeinsichten in der Tiefendimension<br />

einer durch Werktätigkeit ermöglichten<br />

oder unterstützten Lebenskunde<br />

angelegt ist. Sodann haben wir den<br />

Lehrkünstler in seiner Funktion als interaktiven<br />

Lehrer und Gestalter von<br />

Unterricht auf den unterschiedlichen<br />

Ebenen von Unterrichtsplanung und -<br />

verwirklichung betrachtet. Es blieb<br />

aber bisher eine bedeutsame Dimension<br />

didaktischer Könnerschaft außer<br />

Betracht: <strong>die</strong> spezifische Gestaltung<br />

sinnerschließender und zugleich sinnklarer<br />

Bauformen der Vorhaben.“ (Sch<br />

263). Dieser Frage gilt der nächste<br />

Doppelschritt zu den Bauformen und<br />

zur Methode des Unterrichts. Beide<br />

Fragen stellen sich im Rahmen der<br />

von Willmann auf aristotelischontologischem<br />

Fundament aufgebauten<br />

„organisch-genetischen“ Unterrichtsmethode:<br />

Schernikau zitiert aus<br />

Willmans „Didaktik als Bildungslehre“<br />

(der anderen ‚Großen Didaktik’ neben<br />

der von Comenius) punktgenau den<br />

zentralen Leitsatz: „Die Gliederung<br />

des Lehrstoffes entspricht ihrer Aufgabe<br />

noch nicht, wenn sie eine didaktisch<br />

technische ist, sondern erst,<br />

wenn sie den Charakter einer organisch-genetischen<br />

Gestaltung hat.<br />

Diesen aber gewinnt sie, wenn sie im<br />

Ganzen <strong>die</strong> Macht des gestaltenden<br />

Prinzips, welches <strong>die</strong> betreffende<br />

Wissenschaft oder Kunst ins Leben<br />

gerufen hat, welches ihre Entwickelung<br />

leitet und darum auch ihre Überlieferung<br />

regeln soll, an dem mannigfaltigen<br />

Stoffe aufweist, und wenn sie<br />

im Einzelnen solche Partien, in denen<br />

ein Ganzes als herrschend und in den<br />

Teilen reflektiert erscheint, und solche,<br />

welche ein Wachsen, Werden,<br />

Entwickeln in überschaulichem Umkreise<br />

aufweisen, zur Geltung bringt;<br />

d. h. wenn sie <strong>die</strong> organischen Einheiten<br />

und <strong>die</strong> genetischen Reihenfolgen<br />

hervorzieht und zu Mittelpunkten für<br />

das übrige macht“ (Willmann 7 1957,<br />

S. 461, nach Sch 272).<br />

Erstens zeigt Schernikau, „daß <strong>Reichwein</strong>s<br />

Bauformen des Unterrichts<br />

oftmals durch – mit Goethe gesagt –<br />

‚Folge’ zu charakterisieren sind, durch<br />

eine Reihenfolge der nacheinander in<br />

mehreren Sequenzen behandelten<br />

Phänomene: Bei näherer Betrachtung<br />

ist festzustellen, dass sich <strong>die</strong>se Phänomene<br />

hinsichtlich ihrer Erscheinungsform<br />

einerseits in bestimmter<br />

Weise gleichen, andererseits aber<br />

auch unterscheiden, und dass sie zugleich<br />

ein Zusammenhang innerer<br />

Identität in stringenter Weise zu einer<br />

Reihe verbindet. ‚Alle Gestalten sind<br />

ähnlich und keine gleichet der anderen<br />

und so deutet der Chor auf ein geheimes<br />

Gesetz’“, – und setzt mit <strong>die</strong>sem<br />

Zitat aus Goethes Elegie auf <strong>die</strong><br />

Metamorphose der Pflanzen den argumentativen<br />

Schlußstein (vgl. Sch<br />

266).<br />

Zweitens sucht Schernikau Hinweise<br />

auf eine morphologische Unterrichtsmethode<br />

<strong>Reichwein</strong>s. Hierzu<br />

zeigt er exemplarisch, daß und wie<br />

<strong>Reichwein</strong> den Prinzipien der vergleichenden<br />

Morphologie Goethes (nach<br />

v. Weizsäcker 1994, vgl. Sch 269).<br />

Bei aller Methodenpraxis geht es<br />

<strong>Reichwein</strong> aber darum, „dem Kind das<br />

Wesen der Dinge zu erschließen“<br />

(<strong>Reichwein</strong>, nach Sch 273). Schernikau<br />

verweist auf <strong>die</strong> Verwandtschaft <strong>die</strong>ser<br />

Formel mit der organischgenetischen<br />

Bildungsdidaktik Willmanns,<br />

mit den Unterrichtsexempeln<br />

und der Unterrichtsmethode Wagenscheins<br />

und mit der aus der Deutschen<br />

Klassik geschöpften kategorialen<br />

Bildungsdidaktik Klafkis: „Das<br />

‚Wesen’ der Person bildet sich nur in<br />

der wechselseitig erschließenden Begegnung<br />

mit ‚wesentlichen’ Gehalten.“<br />

5. Das politische Vorzeichen: <strong>Reichwein</strong><br />

im Zwiespalt<br />

<strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> als authentischer nationaler<br />

Sozialist im frühen Widerspruch<br />

(und späteren Widerstand)

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