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Wirtschaftswoche Ausgabe vom 2014-04-19 (Vorschau)

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Geld&Börse | Geldwoche<br />

KOMMENTAR | Dem Druck von<br />

Kunden und EU halten Lebensversicherer<br />

nur mit mehr Transparenz<br />

stand. Von Heike Schwerdtfeger<br />

Rückrufaktion<br />

Schaulaufen<br />

Kanzlerin Merkel<br />

auf Stippvisite<br />

in Athen<br />

Bescheiden haben<br />

viele heutige Versicherungsriesen<br />

einst<br />

angefangen – als<br />

Sterbekassen. Witwen und<br />

Waisen waren froh über jeden<br />

Groschen, der ihnen beim Tod<br />

des Ernährers blieb. Heute stehen<br />

den geschickt in Lebensversicherung<br />

umtitulierten Kassen<br />

keine hilflosen, sondern<br />

streitbare Kunden gegenüber,<br />

die die Auszahlung immer öfter<br />

erleben. Zum Glück.<br />

Doch ausgerechnet langjährigen<br />

Kunden, die dem Ziel ihrer<br />

Sparbemühungen sehr nahe<br />

kommen, will die Versicherungsbranche<br />

etwas wegnehmen: Sie<br />

versucht, sich beim Gesetzgeber<br />

mit der Forderung durchzusetzen,<br />

Kunden den Anteil an bestimmten<br />

Überschüssen zu kürzen,<br />

Bewertungsreserven<br />

genannt. Dabei geht es je nach<br />

Vertragsumfang um einige Hundert<br />

bis einige Tausend Euro.<br />

Der Eingriff zerstört das Vertrauen<br />

der Versicherten, denn sie<br />

könnten auch nicht einfach folgenlos<br />

ihre Prämie reduzieren.<br />

Jahrzehnte wurde ihnen vorgegaukelt,<br />

sie müssten nichts<br />

<strong>vom</strong> Kapitalmarkt verstehen.<br />

Doch genau das wird jetzt von<br />

ihnen verlangt, wenn es in der<br />

Diskussion um die Unterschiede<br />

zwischen Buchwerten und Zeitwerten<br />

bei Anleihen geht, die als<br />

Reserve ausgeschüttet werden.<br />

Statt mit offenen Karten zu spielen<br />

und Kunden ordentlich über<br />

die angehäuften Reserven und<br />

Anteile aus anderen Überschusstöpfen<br />

aufzuklären, werden<br />

sie wie Bittsteller mit unvollständigen<br />

Zahlen abgefertigt.<br />

Dass für Versicherte Manna <strong>vom</strong><br />

Himmel fällt, egal, was an den<br />

Märkten passiert, glaubt künftig<br />

niemand mehr.<br />

Die Reservediskussion ist wie<br />

die Rückrufaktion eines Autoherstellers<br />

– ein Eingeständnis,<br />

dass Fehler gemacht wurden.<br />

Beim Kunden bleibt hängen,<br />

dass ihm in die Tasche gegriffen<br />

wird, wenn etwas schiefläuft. Die<br />

Geldanlage ist seit jeher ein<br />

Kerngeschäft der Versicherer,<br />

und da ist es üblich, dass Reserven<br />

angezapft werden müssen.<br />

Wer sich damit verschätzt, sollte<br />

<strong>vom</strong> Markt verschwinden. Und<br />

bevor jetzt zwischen Überschüssen,<br />

Schlussgewinnen und Reserven<br />

umverteilt wird, sollten<br />

die Versicherer den Mumm haben,<br />

den Garantiezins für Neukunden<br />

<strong>vom</strong> Gesetzgeber weiter<br />

senken zu lassen – wenn nötig,<br />

auf null. Eine Änderung bei<br />

den Reserven allein macht ihre<br />

Zukunft nicht rosiger.<br />

KEIN VERSTECK MEHR<br />

Denn auch in Brüssel bei der EU<br />

dringt die Versicherungslobby<br />

nicht mehr mit Extrawünschen<br />

durch. In spätestens drei Jahren<br />

bekommen auch Lebensversicherungskunden<br />

die Basisinformationsblätter<br />

für verpackte Anlageprodukte<br />

ausgehändigt, so<br />

hat es das EU-Parlament beschlossen.<br />

Damit werden erstmals<br />

Kosten, Renditechancen<br />

und Risiken mit denen von<br />

Fonds und Zertifikaten vergleichbar.<br />

Ein Riesenfortschritt!<br />

Deshalb ist es gut, dass alle Versuche,<br />

die Lebensversicherer<br />

von der Transparenz zu entbinden,<br />

in Brüssel bislang ins Leere<br />

gelaufen sind. Behauptet ein Anbieter<br />

künftig, er sei günstig,<br />

können Anleger die Fakten überprüfen.<br />

Bis dahin hält sich das<br />

Gerücht, dass die Unternehmen<br />

mit den Lebenspolicen mehr<br />

verdienen als mit Fonds – und<br />

deshalb so an ihnen hängen.<br />

TREND DER WOCHE<br />

Nächster Akt einer Farce<br />

Die Rückkehr Griechenlands an den Kapitalmarkt ist<br />

der vorläufige Gipfel einer surrealen Entwicklung.<br />

Am Freitag vorvergangener Woche<br />

reiste Bundeskanzlerin Angela<br />

Merkel für sechs Stunden<br />

nach Athen und hat, wie üblich,<br />

die Griechen für ihre angeblichen<br />

Fortschritte bei der Krisenbewältigung<br />

gelobt. Dabei<br />

ist die Rettung Griechenlands<br />

schon lange eine Farce. Die<br />

durchschnittliche Laufzeit der<br />

Kredite aus dem Euro-Rettungsfonds<br />

beträgt 30 Jahre, der<br />

Zins liegt im Schnitt bei 1,5 Prozent.<br />

Zinsen zahlt Athen wegen<br />

eines zehnjährigen Zinsmoratoriums<br />

aber keine, getilgt wird<br />

erst in den 2<strong>04</strong>0er-Jahren. Konditionen<br />

für einen Pleitestaat,<br />

der nicht pleitegehen darf.<br />

Der Gipfel der surrealen Entwicklung<br />

ist jetzt die Rückkehr<br />

des Landes an den Kapitalmarkt.<br />

Platziert wurde eine<br />

fünfjährige Staatsanleihe über<br />

drei Milliarden Euro mit<br />

4,75 Prozent Kupon (ISIN<br />

GR0114028534). Es gingen<br />

Kaufaufträge über 20 Milliarden<br />

Euro ein. Natürlich wissen die<br />

Käufer – ein Drittel ging an<br />

meist angelsächsische Hedgefonds<br />

–, dass Griechenland mit<br />

Schulden in Höhe von 177 Prozent<br />

der Wirtschaftsleistung<br />

weder 4,75 Prozent Zinsen zahlen<br />

noch die Schulden tilgen<br />

kann. Aber irgendwer wird<br />

schon zahlen, so ihre Logik. Die<br />

Anleihe wurde nach britischem<br />

Recht begeben, was einen erzwungenen<br />

Forderungsverzicht<br />

gegen den Willen der Gläubiger<br />

ausschließt. Wer also zahlt letztlich<br />

4,75 Prozent Zins und rettet<br />

die Hedgefonds? Richtig, der<br />

europäische Steuerzahler.<br />

Trends der Woche<br />

Entwicklung der wichtigsten Finanzmarkt-Indikatoren<br />

Stand: 15.4.<strong>2014</strong> / 18.02 Uhr aktuell seit einer Woche 1 seit einem Jahr 1<br />

Dax 30 9173,71 –3,3 +18,9<br />

MDax 15661,85 –3,6 +18,8<br />

Euro Stoxx 50 3091,52 –2,7 +17,8<br />

S&P 500 1820,30 –1,7 +17,3<br />

Euro in Dollar 1,3803 +0,2 +5,5<br />

Bund-Rendite (10 Jahre) 1 1,51 –0,05 2 +0,27 2<br />

US-Rendite (10 Jahre) 1 2,65 –0,06 2 +0,94 2<br />

Rohöl (Brent) 3 108,76 +2,3 +9,8<br />

Gold 4 1298,00 –0,9 –7,0<br />

Kupfer 5 6630,00 –0,3 –6,9<br />

1<br />

in Prozent; 2 in Prozentpunkten; 3 in Dollar pro Barrel; 4 in Dollar pro Feinunze,<br />

umgerechnet 939,42 Euro; 5 in Dollar pro Tonne; Quelle: vwd group<br />

FOTOS: BERT BOSTELMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, ACTION PRESS, BLOOMBERG/ARDIAN<br />

92 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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