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Wirtschaftswoche Ausgabe vom 2014-04-19 (Vorschau)

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Im Zuge der Argentinien-Krise verdreifachte<br />

sich die Zahl neuer Investitionsschutzklagen<br />

gegen das Land auf gut zehn<br />

pro Jahr. Auch deutsche Unternehmen gingen<br />

gegen Argentinien vor Schiedsgerichten<br />

vor, darunter Siemens, der Öl- und<br />

Gasproduzent Wintershall sowie Daimler<br />

Financial Services.<br />

In Berlin blenden Politiker bei der Diskussion<br />

aus, dass auch deutsche Unternehmen<br />

häufig auf Schiedsverfahren zurückgreifen.<br />

27 Fälle, in denen sie Staaten verklagt<br />

haben, sind bekannt. Das macht die<br />

Deutschen zur viertaktivsten Klägergruppe<br />

hinter Amerikanern, Briten und Niederländern<br />

(siehe Grafik Seite 46).<br />

Der Infrastruktur-Fonds der Deutschen<br />

Bank etwa wäre wohl kaum gegen Spanien<br />

vorgegangen, hätten die Frankfurt Banker<br />

nicht schon einmal ein internationales<br />

Schiedsverfahren gewonnen. 2012 sprach<br />

ICSID der Deutschen Bank 60 Millionen<br />

Dollar Schadensersatz zu, weil Sri Lanka<br />

vorzeitig ein Hedging-Geschäft aufkündigte.<br />

Der Fall erregte in der Fachwelt Aufsehen,<br />

weil Sri Lanka der Deutschen Bank<br />

zusätzlich fast acht Millionen Dollar Anwaltskosten<br />

ersetzen musste.<br />

Die meisten Verfahren schaffen es allerdings<br />

nicht in die deutsche Presse. So<br />

nahm kaum jemand davon Notiz, dass die<br />

Deutsche Telekom im vergangenen September<br />

Indien bei der ICSID verklagt hat,<br />

weil die Regierung 2011 einen öffentlichen<br />

Auftrag zurückgezogen hatte.<br />

Das indische Start-up Devas Multimedia,<br />

an dem die Telekom mit 20 Prozent beteiligt<br />

ist, hatte eine Ausschreibung gewonnen,<br />

um entlegene Gegenden via Satellit mit<br />

Breitband-Internet zu versorgen. Der damalige<br />

Telekom-Chef René Obermann sah<br />

in Indien einen vielversprechenden Markt.<br />

Er kannte den Wankelmut der Regierung<br />

noch nicht. Die argumentierte plötzlich,<br />

dass die staatlichen Satelliten ausschließlich<br />

für „strategische Bedürfnisse“ wie Verteidigung<br />

zur Verfügung stehen müssten,<br />

und zog den Auftrag zurück. Die Telekom<br />

verlangt nun Schadensersatz in unbekannter<br />

Höhe, die beiden US-Investoren Columbia<br />

Capital und Telecom Ventures fordern<br />

eine Entschädigung von 1,6 Milliarden<br />

Euro.<br />

LANGE VERFAHRENSDAUER<br />

Volten bei der Auftragsvergabe sind ein<br />

häufiges Problem für Investoren im Ausland.<br />

So gab 2007 Algerien dem Gelsenkirchener<br />

Versorger Gelsenwasser den Zuschlag,<br />

um die Infrastruktur für Trink- und<br />

Streitfall<br />

DEUTSCHE TELEKOM<br />

gegen<br />

INDIEN<br />

Mit der Beteiligung<br />

an dem Startup<br />

Devas wollte<br />

die Telekom in<br />

den indischen<br />

Markt einsteigen.<br />

Doch die Regierung<br />

zog den<br />

Auftrag zurück,<br />

entlegene Gegenden<br />

mit Breitband-Internet<br />

zu versorgen.<br />

Im gleichen Fall fordern<br />

zwei Co-Investoren 1,6<br />

Milliarden Dollar.<br />

Abwasser für eine Million Menschen in<br />

den Regionen Annaba und El Tarf zu organisieren.<br />

Vorstandschef Manfred Scholle<br />

jubelte damals über die Internationalisierung<br />

seines Unternehmens.<br />

Doch die Regierung brach den über fünfeinhalb<br />

Jahre geschlossenen Vertrag schon<br />

drei Jahre vor dem Ende ab. Den Deutschen<br />

fehle es an Fachkenntnissen, hieß es<br />

zur Begründung. Nun treffen sich die beiden<br />

Parteien vor dem Schiedsgericht der<br />

Weltbank in Washington wieder.<br />

Gelsenwasser wird sich allerdings in Geduld<br />

üben müssen. Denn Fälle wie Fraport<br />

und Walter Bau belegen, wie sich die Verfahren<br />

in die Länge ziehen können. Seit<br />

2003 streitet Fraport mit den Philippinen<br />

bei ICSID um Terminal 3 des Hauptstadtflughafens<br />

in Manila. Die Frankfurter hatten<br />

den Zuschlag für Bau und Betrieb erhalten,<br />

2002 verfügte die damalige Präsidentin<br />

Gloria Macapagal Arroyo aber die<br />

Enteignung, weil ausländische Investoren<br />

nicht über Beteiligungen in die heimische<br />

Versorgungswirtschaft gelangen sollten.<br />

Fraport fordert eine Entschädigung von<br />

425 Millionen Dollar.<br />

Einen noch längeren Atem beweist der<br />

Insolvenzverwalter des Augsburger Bauunternehmens<br />

Walter Bau, der seit 20 Jahren<br />

um eine Entschädigung für Bau und<br />

Betrieb einer Mautautobahn zum Flughafen<br />

Bangkok streitet. Die erhofften Erträge<br />

blieben aus, weil Thailand parallel eine<br />

mautfreie Straße baute.<br />

FLUGZEUG GEPFÄNDET<br />

ICSID hat dem Kläger mehr als 35 Millionen<br />

Euro plus Zinsen zugesprochen.<br />

„Doch seit fast zehn Jahren versucht Thailand<br />

mit allen möglichen Mitteln, aus der<br />

Zahlungsverpflichtung herauszukommen“,<br />

sagt der Insolvenzverwalter von Walter<br />

Bau, Werner Schneider.<br />

Als einziger deutscher Schiedsfall schaffte<br />

es diese Auseinandersetzung bis in die<br />

Klatschspalten der „Bunte“: Schneider ließ<br />

2011 einen Jet der Royal Thai Air Force in<br />

München pfänden, die der thailändische<br />

Kronprinz als sein persönliches Eigentum<br />

ansah. Um die Maschine zurückzubekommen,<br />

hat Thailand inzwischen eine Bankbürgschaft<br />

als Sicherheit für die schuldigen<br />

Millionen hinterlegt.<br />

Wie die meisten Investoren hat Schneider<br />

versucht, die Regierung in Bangkok<br />

zum Einlenken zu bringen, ehe er zum<br />

Schiedsverfahren griff. Leichtfertig lässt<br />

sich kein Unternehmen darauf ein, schon<br />

allein wegen der Verfahrenskosten: Die beziffert<br />

die Welthandelskonferenz Unctad<br />

auf durchschnittlich acht Millionen Dollar.<br />

Oft entscheiden sich Investoren auch erst<br />

für ein Schiedsverfahren, wenn sie sich aus<br />

einem Land ohnehin zurückziehen wollen.<br />

Es ist dann ein Schlussstrich unter eine<br />

schwierige Beziehung.<br />

Meist haben Unternehmen schon mehrere<br />

Eskalationsstufen hinter sich, bevor sie<br />

ein Schiedsverfahren anstreben. Auf die<br />

ersten Verhandlungen folgt ein formalisiertes<br />

Verfahren, wie die Schadensersatzansprüche<br />

aus der Welt zu schaffen seien. Oft<br />

gelingt es in den Vorstufen, den Streit beizulegen.<br />

Alleine die Androhung eines<br />

Schiedsverfahrens kann dabei helfen.<br />

Oder Investoren erleben, dass ein<br />

Schiedsverfahren Bewegung in verfahrene<br />

Gespräche bringt, weil ihr Anliegen plötzlich<br />

zur Chefsache wird. „Auf einmal sind<br />

Außen- und Wirtschaftsministerium da-<br />

»<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 49<br />

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