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Wirtschaftswoche Ausgabe vom 2014-04-19 (Vorschau)

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Deutschlands Schuldenberg<br />

beträgt alles in allem bereits<br />

5000 Milliarden Euro<br />

re Sozialkassen zu sprengen – oder ist die Altenrepublik<br />

nicht eine frohe Botschaft für den Arbeitsmarkt?<br />

In den nächsten zwei Jahrzehnten gehen die geburtenstarken<br />

Jahrgänge in Rente; die Unternehmen<br />

werden Fachkräfte suchen und die Grundschüler von<br />

heute sich gute Jobs aussuchen können. Höhere Löhne,<br />

mehr Produktivität, bessere Produkte, steigende<br />

Rentenbeiträge: Auch im Paradies kann man sich die<br />

Zukunft immer noch paradiesischer vorstellen.<br />

So geht das schon seit 40 Jahren. Die Politik redet<br />

sich das Land schön und bringt desto mehr Dünger<br />

im Garten Eden aus, je weniger es auf naturökonomischem<br />

Wege in ihm wächst und gedeiht. Denn tatsächlich<br />

sind die Quellen des Paradieses seit den Siebzigerjahren<br />

vergiftet – seit Deutschland nicht mehr im<br />

Schwellenland-Tempo wächst und die Finanzmärkte<br />

zum Vehikel einer Politik verkommen sind, die nicht<br />

Wohlstand aus erwirtschaftetem Kapital, sondern<br />

Wohlstandsillusionen aus Schulden generiert. In der<br />

vergangenen Dekade ist die deutsche Wirtschaft um<br />

durchschnittlich ein Prozent „gewachsen“ – auf Kosten<br />

von mehr als 300 Milliarden Euro Neuverschuldung.<br />

Drückt ein solches „Wachstum“ wirklich noch<br />

ökonomische Gesundheit aus? Allein die Verbindlichkeiten<br />

des Bundes betragen mittlerweile rund 1300<br />

Milliarden Euro. Zu ihrer Tilgung überweisen die<br />

Deutschen den Banken jährlich 30 Milliarden – bei<br />

historisch niedrigen Zinsen, wohlgemerkt. Stiege der<br />

Preis des Geldes auch nur um einen mickrigen Prozentpunkt<br />

an, schlüge das im Haushalt mit 13 Milliarden<br />

zu Buche – und Schäuble könnte seinen ausgeglichenen<br />

Etat wieder einpacken. Und das ist noch der<br />

angenehmste Teil der Schulden-Wahrheit. Rechnet<br />

man die Obligationen der Bundesländer, die künftigen<br />

Pensions- und Rentenansprüche der geburtenstarken<br />

Jahrgänge sowie die steigenden Gesundheitsund<br />

Pflegekosten mit ein, belaufen sich Deutschlands<br />

Schulden nach Projektionen des Finanzwissenschaftlers<br />

Bernd Raffelhüschen bereits auf 5000 Milliarden<br />

Euro. Geht noch dazu der Euro zu Bruch, kann Schäuble<br />

nach Berechnungen des ifo Instituts weitere 374<br />

Milliarden Minus einbuchen.<br />

Angesichts solcher Zahlen davon zu sprechen,<br />

Deutschland könne sich das „Rentenpaket“ der großen<br />

Koalition leisten, ist mindestens frivol. Noch viel<br />

frivoler ist, dies im Namen der sozialen Gerechtigkeit<br />

zu tun. Bereits als der damalige Wirtschaftsminister<br />

Otto Graf Lambsdorff (FDP) <strong>19</strong>82 den Vorschlag<br />

machte, ein paar besonders ausladende Zweige des<br />

Sozialstaates zu stutzen, schwante ihm, dass eine solche<br />

Politik „als unsozial diffamiert“ würde. Dabei gäbe<br />

es heute wie damals keine sozialere Politik als die,<br />

die sich ernsthaft einer Lösung der öffentlichen Finanzierungsprobleme<br />

verschreiben würde. Die<br />

auf steigende Zinsen und restriktive Geldpolitik setzt<br />

und mit dem vorsichtigen Umbau eines Sozialstaates<br />

beginnt, der nicht mehr alle Lebensrisiken absichert,<br />

wohl aber den Aufbau von Eigentum prämiert:Eigentum,<br />

das seinen Besitzern nicht nur materiellen<br />

Schutz bietet, sondern ihnen auch als mentale Kraftquelle<br />

nützlich ist. Es ist schließlich kein Naturgesetz,<br />

dass der Sozialstaat unsere Gesundheit (300 Milliarden<br />

Euro) und unser Alter (250 Milliarden Euro) absichert<br />

und Familien mit Kindergeld und Elterngeld<br />

(knapp 50 Milliarden Euro) dafür beschenkt, Familien<br />

zu sein. Der Riesenregenschirm wird schrumpfen<br />

müssen. Sonst werden sich am Ende nicht mal mehr<br />

die Invaliden von ihm beschützt fühlen, die tatsächlich<br />

von seiner Protektion abhängig sind – und für die<br />

er heute gerade mal 60 Milliarden Euro lockermacht.<br />

PROBLEME VERTAGT UND VERSCHOBEN<br />

Wird die Politik die Kraft dazu aufbringen – und das<br />

Paradies zukunftsfest machen? Wenig spricht dafür.<br />

Schließlich hat sie sich exakt das Geschäftsmodell zu<br />

eigen gemacht, für das sie die Finanzmärkte zu Recht<br />

kritisiert: So wie in Frankfurt Kredite nicht mehr zurückgezahlt,<br />

sondern verbrieft, verbreitet und versteckt<br />

werden, werden in der Politik Finanzprobleme<br />

nicht mehr gelöst, sondern verschoben, vertagt, zum<br />

Verschwinden gebracht – bis sie dereinst durch die<br />

normative Kraft des Faktischen auf der Tagesordnung<br />

landen. Die umlagefinanzierte Rente etwa ist faktisch<br />

längst bankrott. Die „stabilen Beiträge“ werden einerseits<br />

durch einen jährlichen Steuerzuschuss (Ökosteuer,<br />

Mehrwertsteuer) in Höhe von rund 80 Milliarden<br />

Euro erzielt, andererseits durch ein sinkendes<br />

Rentenniveau, das einem Durchschnittsrentner nach<br />

45 Beitragsjahren 2030 nur noch 43,7 Prozent seines<br />

Einkommens sichert (<strong>19</strong>84: 58,1 Prozent). Auch die<br />

Schuldenproblematik ist praktisch nicht mehr in den<br />

Griff zu bekommen. Graf Lambsdorff hat in den Achtzigerjahren<br />

vielleicht noch darauf hoffen dürfen, mit<br />

Steuersenkungen ein Wirtschaftswachstum zu ent-<br />

»<br />

Niedrige Zinsen<br />

Der Anteil der Zinsausgaben<br />

am Bundeshaushalt<br />

ist bis<br />

zur Jahrtausendwende<br />

rasant gestiegen.<br />

Der anschließende<br />

Rückgang ist in<br />

erster Linie das Ergebnis<br />

der Niedrigzinspolitik<br />

der EZB.<br />

Zinsausgaben des Bundes in<br />

Prozent des Bundeshaushalts<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0 <strong>19</strong>70 2013<br />

Quelle: BMF<br />

Schulden<br />

Die Geldschöpfung<br />

der Banken aus dem<br />

Nichts hat es dem<br />

Staat erlaubt, immer<br />

mehr Schulden<br />

aufzunehmen. Die<br />

Zinsen dafür müssen<br />

künftige Generationen<br />

bezahlen.<br />

Staatsschulden in Prozent<br />

des BIPs<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0 <strong>19</strong>70 2013<br />

Quelle: BMF<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 21<br />

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