Wirtschaftswoche Ausgabe vom 2014-04-19 (Vorschau)
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Politik&Weltwirtschaft<br />
BERLIN INTERN | Beim politischen Wünsch-dir-Was<br />
sind die Wähler gern dabei – die Kosten ignorieren<br />
sie. In der Schweiz führt die Mitsprache der Bürger zu<br />
sparsamer Politik. Von Henning Krumrey<br />
Fruchtloser Baum<br />
FOTOS: WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, LAIF/KEYSTONE SCHWEIZ<br />
Denkt er an Deutschland, fühlt<br />
sich Klaus-Peter Schöppner<br />
zurückversetzt in Weimarer<br />
Zeiten. Die Staaten taumelten<br />
durch die Weltwirtschaftskrise, doch in<br />
den Salons der Hauptstadt spielten die<br />
Kapellen den Charleston einfach etwas<br />
lauter. „Das ist wie im Berlin der Zwanzigerjahre:<br />
Wir merken, dass um uns<br />
herum durch Finanzkrise und Staatsschulden<br />
alles bröckelt und machen noch einmal<br />
richtig Party.“ Der Mann, der 22 Jahre<br />
Auf der Bremse anstehen Die Schweizer<br />
reden mit – und verzichten auf <strong>Ausgabe</strong>n<br />
lang als Meinungsforschungs-Geschäftsführer<br />
„Mister emnid“ war und jetzt sein<br />
eigener Herr im Beratungsinstitut Mente-<br />
Factum ist, sieht eine Tragik: Statt das<br />
Wohlstandsparadies zu retten, nähmen<br />
die Wähler lieber noch mit, was geht.<br />
„Das Wünschenswerte dominiert das<br />
Realistische“, ist Schöppners Erfahrung mit<br />
dem Bürger und der politischen Klasse, die<br />
er seit Jahrzehnten berät. Die Unfinanzierbarkeit<br />
der Rentenreform, der Kostenwahnsinn<br />
der Energiewende, das Arbeitsplatzrisiko<br />
des Mindestlohns, die Zeitbombe der<br />
Staatsverschuldung – alle Langfristrisiken<br />
würden überdeckt durch Konjunktur, Exportrekorde,<br />
den Ruhm als EU-Musterland.<br />
Natürlich wollen die Deutschen keine<br />
höheren Steuern, Schulden und Sozialversicherungsbeiträge.<br />
Aber sie wollen höhere<br />
Renten, bessere Straßen, mehr Bildung. Sie<br />
wollen die Energiewende, aber nicht so viel<br />
teureren Strom. Die Widersprüche fallen ihnen<br />
nicht auf, weil sie nicht danach gefragt<br />
werden. Denn, so MenteFactum-Mann<br />
Schöppner: „Es sind ja nicht wir, die Bürger,<br />
die etwas verursachen, es sind immer<br />
die Politiker.“ So sprächen sich die Wähler<br />
von jeder Verantwortung frei. Der Baum der<br />
Erkenntnis, er trägt nicht einmal Früchte.<br />
In der Schweiz geht das so einfach nicht.<br />
Ab einer bestimmten <strong>Ausgabe</strong>nsumme entscheidet<br />
das Volk. Und das handelt kostenbewusst.<br />
So stoppten die Bürger der Stadt<br />
Zürich im vergangenen September mit<br />
knapper Mehrheit einen Kredit über 216<br />
Millionen Euro für den Bau eines Fußballstadions.<br />
Der FC Zürich und die Grashoppers<br />
sollten sich gefälligst eine private<br />
Finanzierung organisieren. Auf allen staatlichen<br />
Ebenen ist das Volk gefragt, wenn es<br />
um die Steuern geht. 2008 beschloss eine<br />
Mehrheit, die Mehrwertsteuer von 7,6 auf<br />
8 Prozent zu erhöhen, um die Invalidenversicherung<br />
besser auszustatten. Um<br />
einen dauerhaften Aderlass zu vermeiden,<br />
wurde der Zuschlag zeitlich begrenzt.<br />
„Die Erfahrung in der Schweiz zeigt, dass<br />
die direkte Demokratie eine effizientere<br />
Politik und sparsamere <strong>Ausgabe</strong>n hervorbringt“,<br />
hat Lars Feld festgestellt, der<br />
Direktor des Walter Eucken-Instituts in Freiburg.<br />
„Teure Prestigeprojekte werden<br />
vermieden, aber notwendige Infrastrukturprojekte<br />
scheitern nicht.“ Der Eisenbahn-<br />
Alpentransversale haben die Schweizer<br />
nach einer deutlichen Kostensteigerung<br />
sogar ein zweites Mal zugestimmt.<br />
Auch Feld berät seit Jahren die Politiker<br />
in Berlin. In Deutschland gibt es direkte Mitsprache<br />
der Bürger nur auf Länderebene,<br />
dort seien die Ergebnisse „gemischt, weil<br />
die Länder keine echte Steuerhoheit haben<br />
und weil es in Deutschland so viele Mischfinanzierungen<br />
gibt. Wenn ein anderer zahlt<br />
– beispielsweise die EU mit Zuschüssen<br />
oder die anderen Bundesländer über den<br />
Länderfinanzausgleich –, dann ist der Bürger<br />
auch bei den <strong>Ausgabe</strong>n großzügiger.“<br />
Von der großen Koalition wünscht sich<br />
Feld vor allem eines: Untätigkeit. „Unterlassen<br />
wäre derzeit wichtiger als Handeln.<br />
Denn Mindestlohn und Rente mit 63 drehen<br />
erfolgreiche Reformen wieder zurück.“<br />
Die Vertreibung aus dem Paradies, sie fand<br />
bei der Bundestagswahl eine Mehrheit.<br />
WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 41<br />
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