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Wirtschaftswoche Ausgabe vom 2014-04-19 (Vorschau)

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Unternehmen&Märkte<br />

»<br />

Seit Investorenschutz und Schiedsverfahren<br />

Teil des TTIP werden sollen, ist die<br />

Meinungsfreude allerdings schlagartig angestiegen.<br />

Nichtregierungsorganisationen (NGOs)<br />

wie die Lobbykritiker von Corporate Europe<br />

Observatory (CEO) in Brüssel stellen die<br />

Investor-Staat-Klagen als Angriff auf die<br />

Demokratie dar, die Steuerzahlern Entschädigungszahlungen<br />

in Milliardenhöhe<br />

aufbürden und gleichzeitig den Aktionsradius<br />

der Politik stark einengen. Denn jeder<br />

Politikwechsel könnte teure juristische<br />

Auseinandersetzungen vor Schiedsgerichten<br />

nach sich ziehen. „Die internationalrechtliche<br />

Zementierung der Konzernherrschaft<br />

ist in vollem Gange“, befürchtet<br />

CEO-Frontfrau Pia Eberhardt.<br />

Die Kritik von CEO und anderen Globalisierungsgegnern<br />

findet in der Politik Widerhall.<br />

So sagt Umweltministerin Barbara<br />

Hendricks (SPD) über den Investitionsschutz<br />

im TTIP: „Ein solches Schlupfloch<br />

würde die Errungenschaften von 150 Jahren<br />

Arbeiterbewegung, 100 Jahren Frauenbewegung<br />

und 50 Jahren Umweltbewegung<br />

mit einem Federstrich zerstören.“ Ihr<br />

Parteifreund, Bundeswirtschaftsminister<br />

Sigmar Gabriel, plädiert dafür, den Investorenschutz<br />

ersatzlos aus TTIP zu streichen.<br />

Wegen der harschen Kritik hat EU-Handelskommissar<br />

Karel de Gucht die Verhandlungen<br />

mit den USA zum Investorenschutz<br />

ausgesetzt. Um die öffentliche Meinung<br />

zu drehen, hat er eine Anhörung begonnen,<br />

bei der alle Interessierten Stellung<br />

nehmen können. In Brüssel herrscht die<br />

Überzeugung, dass Deutschland mit einem<br />

Bestand von mehr als 1,144 Billionen<br />

Euro Direktinvestitionen im Ausland viel<br />

zu verlieren hätte, würde der Investorenschutz<br />

geschwächt.<br />

Streitfall<br />

DEUTSCHE BANK<br />

gegen<br />

SPANIEN<br />

Die Regierung Rajoy<br />

kürzte radikal<br />

die auf 25 Jahre<br />

angelegte Förderung<br />

erneuerbarer<br />

Energien. Eine<br />

Deutsche-Bank-<br />

Tochter, die 400<br />

Millionen Euro in<br />

zwei Solaranlagen investierte,<br />

sieht ihre<br />

Rendite wegbrechen.<br />

Auch RWE erwägt eine<br />

Klage wegen schlechterer<br />

Förderbedingungen.<br />

DIE UNTERNEHMEN SCHWEIGEN<br />

Doch die Wirtschaft meldet sich nur zögerlich<br />

zu Wort. Der Bundesverband der<br />

Deutschen Industrie (BDI) weist in einem<br />

Positionspapier darauf hin, dass Investor-<br />

Staats-Schiedsverfahren „unabkömmlich“<br />

seien, um „Investitionen im Ausland angemessen<br />

zu schützen“. Die großen Unternehmen<br />

und ihre Juristen bleiben dagegen<br />

erschreckend still. „Im Einzelfall mag ein<br />

Schiedsverfahren überlebenswichtig für<br />

ein Unternehmen sein“, sagt Christoph Benedict,<br />

Syndikus des Anlagenbauers Alstom<br />

in Deutschland, der in seiner Laufbahn<br />

schon zwei Verfahren begleitet hat.<br />

„Aber es ist ungefähr so, als wollte man<br />

Yachtbesitzer für eine Debatte über Rettungsinseln<br />

begeistern. Die reden lieber<br />

über Regatten.“<br />

In der öffentlichen Debatte dominiert<br />

dagegen die Angst. Seit der schwedische<br />

Versorger Vattenfall Deutschland vor dem<br />

Schiedsgericht der Weltbank wegen der<br />

Energiewende verklagt hat, erscheinen Investor-Staat-Verfahren<br />

hierzulande in einem<br />

neuen Licht. „Investorenschutz ist<br />

keine Einbahnstraße“, sagt Reinhard Quick,<br />

Handelsexperte des Verbands der Chemischen<br />

Industrie. „Aber das war vielen in<br />

Berlin wohl nicht bewusst.“<br />

Vielen Abgeordneten erscheint ungeheuerlich,<br />

dass ein ausländischer Staatskonzern<br />

die Energiewende infrage stellt.<br />

Dabei pochen die Schweden nur auf ihr<br />

gutes Recht. Das Unternehmen argumentiert,<br />

dass es sich auf die ursprüngliche Verlängerung<br />

der Laufzeit von Atomkraftwerken<br />

verlassen und entsprechend investiert<br />

habe. Dem Vernehmen nach fordert Vattenfall<br />

3,8 Milliarden Euro Schadensersatz<br />

von Deutschland.<br />

Für Urban Rusnák, Generalsekretär des<br />

Sekretariats der Energie-Charta, auf die<br />

sich Vattenfall beruft, ist die Klage logisch.<br />

Die Energie-Charta sei geschaffen worden,<br />

um Investoren vor abrupten Politikveränderungen<br />

zu schützen. „Gerade im Bereich<br />

Energie, wo Investitionen auf 40, 50 oder<br />

gar 60 Jahre kalkuliert werden, brauchen<br />

Unternehmen Berechenbarkeit“, sagt Rusnák.<br />

Andernfalls sinke der Anreiz für Investitionen,<br />

die teurer würden, weil dann eine<br />

Risikoprämie anfiele.<br />

Doch in Europa tun sich viele Regierungen<br />

schwer mit dem Gedanken, dass Investoren<br />

von ihnen Verlässlichkeit einfordern<br />

können.<br />

Die USA sind beim Thema Investitionsschutz<br />

schon weiter, weil die <strong>19</strong>94 gegründete<br />

Freihandelszone Nafta – ein Zusammenschluss<br />

von den USA, Kanada und Mexiko<br />

– das Thema ins öffentliche Bewusstsein<br />

gerückt hat.<br />

Weil damals Investoren aus Mexiko und<br />

Kanada begannen, den amerikanischen<br />

Staat zu verklagen, und damit indirekt US-<br />

Gesetze infrage stellten, gerieten die Investitionsschutzvereinbarungen<br />

bald in die<br />

Kritik. Auslöser der Debatte war die Klage<br />

der kanadischen Methanex <strong>19</strong>99, die sich<br />

durch neue kalifornische Umweltgesetze<br />

um Marktchancen betrogen sah.<br />

NOCH NIE VERLOREN<br />

Die USA wurden seither 17-mal auf der Basis<br />

des Nafta-Abkommens auf Schadensersatz<br />

verklagt, 34-mal traf es Kanada, 25-mal<br />

Mexiko. Die USA steckten viel Energie in<br />

ihre Verteidigung. „Als ein Land, das nach<br />

den Regeln spielt und die Gesetze achtet,<br />

haben wir bis heute nicht eine einzige Investitionsschutzklage<br />

verloren“, heißt es<br />

stolz aus dem Weißen Haus.<br />

Amerikanische Investoren und Anwaltskanzleien<br />

lernten Ende der Neunzigerjahre<br />

schnell, die Investitionsschutzabkommen<br />

für sich zu nutzen. Nicht nur das Nafta-Abkommen<br />

beflügelte ihre millionenteuren<br />

Prozesse, sondern auch die Argentinien-<br />

Krise zwischen <strong>19</strong>98 und 2002.<br />

„Es gab als Folge der Umbrüche in Argentinien<br />

rund 40 Klagen, die meisten aus<br />

den USA“, sagt der Washingtoner Anwalt<br />

Ian Laird, Partner der Kanzlei Crowell &<br />

Moring, einer der führenden US-Experten<br />

für internationale Schiedsverfahren. „Das<br />

war die erste Welle, die das Thema bekannt<br />

machte. Seither boomt es.“<br />

FOTOS: PANOS PICTURES / VISUM; BLOOMBERG VIA GETTY IMAGES/BRENT LEWIN<br />

48 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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