Einführung in Hegels Logik - Philosophisches Seminar
Einführung in Hegels Logik - Philosophisches Seminar
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Wie sieht es nun aber bei Hegel aus? Zunächst e<strong>in</strong>mal ist se<strong>in</strong>e Erste Philosophie ke<strong>in</strong>e Theorie<br />
des Wissens oder des Ich, sondern heißt „Wissenschaft der <strong>Logik</strong>“. Ihre e<strong>in</strong>zige Grundoperation<br />
ist die Verne<strong>in</strong>ung. Epistemische Operationen wie Wissen oder Setzen müssen,<br />
wenn sie <strong>in</strong> der <strong>Logik</strong> überhaupt e<strong>in</strong>e Rolle spielen sollen, aus der Verne<strong>in</strong>ung hervorgehen.<br />
Wir werden also demnächst die Operation der Verne<strong>in</strong>ung näher zu betrachten haben und sie<br />
<strong>in</strong> die zirkuläre Struktur der Verne<strong>in</strong>ung-ihrer-selbst br<strong>in</strong>gen müssen. Dabei müssen wir bedenken,<br />
daß die <strong>Logik</strong> die voraussetzungslose Theorie se<strong>in</strong> soll. Es muß also aus ihrer <strong>in</strong>ternen<br />
Entwicklung heraus e<strong>in</strong> Grund genannt werden, warum die Verne<strong>in</strong>ung <strong>in</strong> zirkuläre Form<br />
und damit <strong>in</strong> Selbstanwendung gebracht werden muß.<br />
Der Grund wird dar<strong>in</strong> liegen, daß im zweigeteilten LR des Dase<strong>in</strong>s das Etwas und das Andere<br />
e<strong>in</strong>ander negierdend gegenüberstehen, aber ke<strong>in</strong>es von beiden die Negativität auf sich<br />
nehmen will. Das Andere ist von se<strong>in</strong>em eigenen Standpunkt aus betrachtet das affirmatives<br />
Etwas. Ke<strong>in</strong>es von beiden will sozusagen das Andere se<strong>in</strong>.<br />
Also schwebt die Andersheit oder das Andersse<strong>in</strong> als etwas Eigenes, sozusagen Drittes, zwischen<br />
ihnen und muß vom re<strong>in</strong>en Denken <strong>in</strong> Isolation (ganz für sich) betrachtet und erfaßt<br />
werden. Diese re<strong>in</strong>e Andersheit ist sozusagen die Platonische Idee des Anderen: das Andere<br />
selbst, damit auch das Andere se<strong>in</strong>er selbst, das Andere des Anderen. In dieser logischen Gestalt,<br />
als das Andere se<strong>in</strong>er selbst, taucht die zirkuläre Negation <strong>in</strong> der WdL zum ersten Mal<br />
explizit auf und wird operativ. Das Andere se<strong>in</strong>er selbst ist m.a.W. der Punkt, an dem sich die<br />
zirkuläre Verne<strong>in</strong>ung an die voraussetzungslose Theorie anknüpfen läßt.<br />
Die Verne<strong>in</strong>ung kennen wir als aussagenlogische Operation, d.h. als e<strong>in</strong>e Operation an Aussagesätzen<br />
oder deren Inhalten, den propositionalen Sachverhalten (Propositionen). Aber wir<br />
haben sie auch für vorpropositionale Sachverhalte (USVs) <strong>in</strong> Anspruch genommen, und da<br />
war sie zunächst als Vernichtung <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung getreten. Jetzt, im Fall des Etwas und des<br />
Anderen, ist sie Ausgrenzung, und zwar Ausgrenzung des jeweils Anderen.<br />
Wir müssen also mit vielerlei Formen vorpropositionaler Verne<strong>in</strong>ung rechnen. Aber betrachten<br />
wir zunächst e<strong>in</strong>mal die Verne<strong>in</strong>ung als solche – bezogen auf irgendwelche Sachverhalte,<br />
gleichviel ob auf Propositionen oder USVs –, und br<strong>in</strong>gen wir sie <strong>in</strong> zirkuläre Struktur bzw. <strong>in</strong><br />
Selbstanwendung. Dabei folgen wir e<strong>in</strong>fach dem Vorbild der Menge Ω. Den Sachverhalt, der<br />
sich selbst verne<strong>in</strong>t, nennen wir ν.<br />
Ω ist e<strong>in</strong> (abstraktes) Objekt; ν h<strong>in</strong>gegen ist ke<strong>in</strong> Objekt, ke<strong>in</strong> Gegenstand, ke<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g, sondern<br />
e<strong>in</strong> Sachverhalt (Proposition oder USV). Deswegen ersetzen wir <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Fall das<br />
Gleichheitszeichen durch den Doppelpfeil des Bikonditionals (lies:„dann und nur dann,<br />
wenn“):<br />
Ω = {Ω} = {{Ω}} = ... = {{{...}}}<br />
ν ↔ ~(ν) ↔ ~(~( ν)) ↔ ... ↔ ~(~(~(...)))<br />
Wie bei Ω gilt: Als Def<strong>in</strong>ition wäre dies e<strong>in</strong> fehlerhafter Zirkel oder aber, ganz rechts, e<strong>in</strong><br />
unendlicher Def<strong>in</strong>itionsregreß. Aber der unendliche Regreß zeigt sehr schön, was geme<strong>in</strong>t ist:<br />
e<strong>in</strong>e Verne<strong>in</strong>ung im Leerlauf, vergleichbar der sprichwörtlichen Law<strong>in</strong>e mit hohlem Kern.<br />
Und das Schöne ist nun, daß unsere kritischen Freunde aus der analytischen Philosophie nicht<br />
ausbüchsen können. Sie verstehen, was mit Ω geme<strong>in</strong>t ist. Und da sie auch verstehen, was mit<br />
dem Doppelpfeil und dem Negationszeichen geme<strong>in</strong>t ist, müssen sie also auch verstehen, was<br />
mit ν geme<strong>in</strong>t ist. Das heißt, sie verstehen, was die unfundierte oder zirkuläre Negation ist.<br />
Folglich gibt es den Sachverhalt ν; denn für Sachverhalte (anders als für Objekte) reicht das<br />
concipi posse für das esse aus. Sachverhalte s<strong>in</strong>d vollständige Inhalte des Denkens. Wenn sie