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Einführung in Hegels Logik - Philosophisches Seminar

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25.04.13<br />

Wir haben letzte Woche gesehen, daß e<strong>in</strong>e voraussetzungslose Theorie mit e<strong>in</strong>em neutralen<br />

Kern beg<strong>in</strong>nen muß, der sich als m<strong>in</strong>imaler Denk<strong>in</strong>halt durch alle anderen Denk<strong>in</strong>halte und<br />

alle Behauptungen h<strong>in</strong>durchzieht, und wir haben diesen Inhalt mit Hegel Se<strong>in</strong> genannt. Dieses<br />

unbestimmte, unmittelbare, unvergleichliche, leere Se<strong>in</strong> ist e<strong>in</strong> Ursachverhalt (USV), d.h. e<strong>in</strong><br />

vorpropositionaler Sachverhalt, der nicht wahr-oder-falsch (zweiwertig) ist, sondern schlechth<strong>in</strong><br />

wahr (e<strong>in</strong>wertig wahr) se<strong>in</strong> müßte (wenn es ihn denn wirklich gibt).<br />

Wir sagen also, geleitet von unserer Arbeitshypothese (AH), daß wir e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>guläre voraussetzungslose<br />

Theorie entwickeln können: In unserem Denken und Erkennen, <strong>in</strong> unserem gewöhnlichen<br />

propositionalen Bewußtse<strong>in</strong>, <strong>in</strong> dem wir uns als Subjekte verstehen, die sich<br />

<strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er objektiven Sphäre von Tatsachen und D<strong>in</strong>gen bewegen, gibt es als Ausnahme<br />

– als logische S<strong>in</strong>gularität – e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>fachen, neutralen Kern, den wir <strong>in</strong> denkender Anschauung<br />

als etwas Unmittelbares erfassen. Wir nennen ihn das re<strong>in</strong>e Se<strong>in</strong>.<br />

Bezüglich dieses re<strong>in</strong>en Se<strong>in</strong>s s<strong>in</strong>d wir ke<strong>in</strong>e Subjekte mehr, und es (das Se<strong>in</strong>) ist ke<strong>in</strong> objektiver<br />

Sachverhalt, sondern <strong>in</strong> ihm geht die Unterscheidung von Subjektivität und Objektivität<br />

verloren. Wir gehen, sofern wir es denken, ganz <strong>in</strong> ihm auf. Es gilt bezüglich des re<strong>in</strong>en<br />

Se<strong>in</strong>s also nicht nur die Gleichung Anschauen = Denken, sondern auch die Gleichsetzung<br />

von Anschauen/Denken mit dem Angeschautem/Gedachtem:<br />

Anschauen des Se<strong>in</strong>s = Denken des Se<strong>in</strong>s = Se<strong>in</strong><br />

-- -- --<br />

Damit haben wir fast alle Aussagen, die Hegel zu Beg<strong>in</strong>n über das re<strong>in</strong>e Se<strong>in</strong> macht, aus unserer<br />

(AH) abgeleitet:<br />

1) Das Se<strong>in</strong> ist unbestimmt, weil wir von allen Bestimmungen und Besonderheiten der vielen<br />

Wahrheitsansprüche abstrahiert haben, um es alle<strong>in</strong> übrigzubehalten.<br />

2) Das Se<strong>in</strong> ist unmittelbar, weil es im re<strong>in</strong>en Denken erfaßt und als etwas Gegebenes h<strong>in</strong>genommen<br />

werden muß.<br />

3) Das Se<strong>in</strong> ist unvergleichlich, weil es die logische S<strong>in</strong>gularität ist, zu der es ke<strong>in</strong>e Alternativen<br />

gibt.<br />

4) Es ist als Inhalt des Denkens ganz leer, weil aller bestimmte Denk<strong>in</strong>halt unserer Abstraktion<br />

zum Opfer gefallen ist.<br />

5) Man kann bezüglich se<strong>in</strong>er nicht zwischen Denken und Anschauen unterscheiden, weil<br />

die Ebene des Diskurses und der Propositionalität mit ihm unterschritten ist.<br />

6) Eben deswegen kann man bezüglich se<strong>in</strong>er auch nicht zwischen e<strong>in</strong>em erkennenden Subjekt<br />

und e<strong>in</strong>em objektiven Inhalt (und e<strong>in</strong>em Objekt) des Erkennens unterscheiden.<br />

Das waren im wesentlichen <strong>Hegels</strong> Aussagen über das re<strong>in</strong>e Se<strong>in</strong>. (Es fehlt nur noch die e<strong>in</strong>e,<br />

der zufolge das Se<strong>in</strong> „<strong>in</strong> der Tat Nichts und nicht mehr noch weniger als Nichts“ ist. Aber dies<br />

führt schon weiter zum nächsten Thema, der Negativität. Darauf werden wir gleich zu sprechen<br />

kommen.)<br />

-- -- --<br />

Nun wird Ihnen folgendes aufgefallen se<strong>in</strong>. Hegel behauptet (und wir mit ihm), das Se<strong>in</strong> sei<br />

völlig unbestimmt und macht dann doch e<strong>in</strong>e Reihe von Aussagen über es, durch die es offenkundig<br />

näher bestimmt wird.<br />

Ferner behauptet Hegel e<strong>in</strong>erseits, das Se<strong>in</strong> verdanke sich unserer Operation der Abstraktion<br />

von allem bestimmten Inhalt, sei also Resultat dieser Operation, und zugleich anderer-

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