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Einführung in Hegels Logik - Philosophisches Seminar

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Man kann diese Differenz sehr schön anhand der Sprache der Mathematik erläutern, die ja<br />

auch die Sprache modernen Physik ist: Sie ist frei von <strong>in</strong>dexikalischen Ausdrucksmitteln,<br />

also von Demonstrativa (wie „dies“), Orts- und Zeitadverbien (wie „hier“ und „jetzt“), Personalpronom<strong>in</strong>a<br />

(wie „ich“ und „du“) usw., und selbst das Tempus Präsens kommt <strong>in</strong> ihren<br />

Aussagen und Formeln nicht vor, jedenfalls solange sie <strong>in</strong> Schriftform vorliegen:<br />

1+1=2<br />

a 2 +b 2 =c 2<br />

(Erst, wenn wir lesen, müssen wir das Tempus Präsens aus unserer Umgangssprache <strong>in</strong>s Spiel<br />

br<strong>in</strong>gen: „E<strong>in</strong>s plus e<strong>in</strong>s ist zwei“. Aber das hat ke<strong>in</strong>erlei Konsequenzen, das Tempus verbi<br />

liegt <strong>in</strong> mathematischen Aussagen logisch brach.)<br />

Die Mathematik wird also ganz ortlos und zeitlos formuliert, und deswegen macht sie auch<br />

vor ke<strong>in</strong>en kulturellen oder politischen Barrieren halt, sondern ist das Medium der totalen<br />

Globalisierung.<br />

-- -- --<br />

Ihr anderes Alle<strong>in</strong>stellungsmerkmal ist ihre erhoffte Widerspruchsfreiheit. Nach Hegel soll<br />

zwar der Idealismus des Endlichen der Hauptsatz der Philosophie se<strong>in</strong>. Aber Hegel hätte genauso<br />

gut die E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> den Fundamentalwiderspruch der zirkulären Negation <strong>in</strong> diesen<br />

Rang erheben können. Es hätte vielleicht sogar besser zu se<strong>in</strong>em offiziellen Programm (e<strong>in</strong>er<br />

voraussetzungslosen Theorie) gepaßt.<br />

Hauptsatz der Philosophie:<br />

(a) Idealität des Endlichen (Inhalt) oder (b) Ant<strong>in</strong>omie der Negation (Methode)<br />

Die Mathematik ist sozusagen unsere logische Lebensversicherung im Angesicht des logischen<br />

Todes, d.h. im Angesicht der Ant<strong>in</strong>omie der Negation. Sie (die Mathematik) verzichtet<br />

grundsätzlich auf vielerlei sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten (Indikatoren, Tempus verbi,<br />

Term<strong>in</strong>i für qualitative Bestimmungen usw.) und kommt, ganz extrem gedacht, im Pr<strong>in</strong>zip mit<br />

zwei undef<strong>in</strong>ierten Grundzeichen (und sonst lauter logischen und def<strong>in</strong>ierten Zeichen) aus:<br />

„=“ und „∈“.<br />

Diese extreme Selbstbescheidung, der vielerlei Züge des Realen geopfert werden, zahlt sich<br />

aus <strong>in</strong> der Sicherheit der Methode. Zwar ist die Widerspruchsfreiheit der Mathematik nicht<br />

beweisbar, aber doch e<strong>in</strong>e vernünftige Hoffnung; denn bisher konnten alle Widersprüche, die<br />

<strong>in</strong> der mathematischen Theoriebildung aufgetaucht s<strong>in</strong>d, irgendwie beseitigt und behoben<br />

werden.<br />

Deswegen war es e<strong>in</strong> großer Gew<strong>in</strong>n für die Physik, als sie sich <strong>in</strong> der Neuzeit (bei Kepler,<br />

Galilei, Descartes, Newton und anderen) für die Sprache der Mathematik entschied. Sie profitiert<br />

seitdem von deren Sicherheit, Exaktheit und Universalität. Und be<strong>in</strong>ahe alle anderen<br />

Wissenschaften s<strong>in</strong>d heute ja versucht, sich ebenfalls zu mathematisieren (und damit auch zu<br />

globalisieren). Der Preis für diesen Zuwachs an Universalität, Präzision und Widerspruchskontrolle<br />

ist e<strong>in</strong>e gigantische Abstraktion von all denjenigen wesentlichen Zügen des Realen,<br />

die sich der Mathematisierung entziehen. Sie fallen im gegenwärtigen wissenschaftlichen<br />

Denken unbemerkt (!) unter den Tisch.<br />

-- -- --<br />

Aber zurück zum eigentlichen Thema. Aristoteles unterschied, wie gesagt, drei theoretische<br />

(universale, präzise, standpunktneutrale) Wissenschaften: Metaphysik, Physik, Mathematik.<br />

Für die Mathematik ist das Versprechen der Standpunktneutralität <strong>in</strong>zwischen weitgehend<br />

(nicht ganz, wie Gödels Unvollständigkeitssätze zeigen) e<strong>in</strong>gelöst, und für die Physik (und<br />

auch die anderen Wissenschaften) <strong>in</strong> dem Maße, <strong>in</strong> dem es ihr gel<strong>in</strong>gt, sich zu mathematisie-

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