Einführung in Hegels Logik - Philosophisches Seminar
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06.06.13<br />
Wir haben zuletzt den Sachverhalt ν hergeleitet, der se<strong>in</strong>er eigenen Negation äquivalent und<br />
<strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>n mit ihr identisch ist, und zwar <strong>in</strong> Analogie zu der E<strong>in</strong>ermenge ihrer selbst, Ω:<br />
Ω = {Ω} = {{Ω}} = {{{Ω}}} = ... = {{{...}}}<br />
ν ↔ ~ν ↔ ~(~ν) ↔ ~(~(~(ν) ↔ ... ↔ ~(~(~(...)))<br />
Da Klammern bei Wahrheitsoperationen nur Hilfszeichen s<strong>in</strong>d, die den Bereich e<strong>in</strong>er Operation<br />
e<strong>in</strong>deutig angeben sollen und da <strong>in</strong> unserem Fall ke<strong>in</strong>e Möglichkeit besteht, den Bereich<br />
der Negation falsch e<strong>in</strong>zuschätzen (weil außer der Negation gar ke<strong>in</strong>e anderen Operationen<br />
vorkommen), können wir auch auf die Klammern verzichten und e<strong>in</strong>fach schreiben:<br />
ν ↔ ~ν ↔ ~~ν ↔ ~~~ν ↔ ... ↔ ~~~...<br />
Der korrekte sprachliche Ausdruck des Sachverhalts bzw. Denk<strong>in</strong>halts ν bestünde also aus<br />
e<strong>in</strong>er unendlich langen Reihe von Negationszeichen. Das wäre se<strong>in</strong> Def<strong>in</strong>iens; se<strong>in</strong>e ursprüngliche<br />
Bedeutungsangabe, se<strong>in</strong> primärer sprachlicher Ausdruck. E<strong>in</strong>e solche Reihe können wir<br />
<strong>in</strong> unserer endlichen Sprache nicht aufschreiben oder aussprechen. Hat ν also ke<strong>in</strong>en (primären)<br />
sprachlichen Ausdruck? Dann würde es sich bei ν um e<strong>in</strong>en USV handeln; und sicher<br />
handelt es sich um e<strong>in</strong>en solchen im Fall derjenigen zirkulären Negation, die im Rahmen der<br />
<strong>Hegels</strong>chen <strong>Logik</strong> auftritt; denn diese <strong>Logik</strong> ist, wie wir wissen, e<strong>in</strong>e <strong>Logik</strong> der USVs.<br />
Aber <strong>in</strong>direkt läßt sich der Sachverhalt ν doch auch aussprechen und aufschreiben und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />
propositionale Form br<strong>in</strong>gen. Wir alle kennen diese propositionale Form. Es handelt sich um<br />
die bekannte Lügnerant<strong>in</strong>omie, e<strong>in</strong>en Satz, der von sich selbst aussagt, er sei nicht wahr:<br />
Dieser Satz ist nicht wahr.<br />
(Ant<strong>in</strong>omie des Lügners)<br />
Der Lügner ist die propositionale Variante von ν, <strong>in</strong>direkt formuliert mittels e<strong>in</strong>es technischen<br />
Hilfsmittels, das W.V. Qu<strong>in</strong>e<br />
semantischen Aufstieg<br />
genannt hat. Im semantischen Aufstieg steigt man auf vom Reden über die D<strong>in</strong>ge zum Reden<br />
über die Sprache; dies aber nicht <strong>in</strong> l<strong>in</strong>guistischer (grammatischer, phonetischer), sondern <strong>in</strong><br />
semantischer Absicht, d.h. mittels des Wahrheitsprädikates, so daß man der Sache nach<br />
doch bei den D<strong>in</strong>gen bleibt. Der Satz<br />
Schnee ist weiß<br />
ist e<strong>in</strong>e Aussage über den Schnee. Der Satz<br />
„Schnee ist weiß“ ist wahr<br />
ist nom<strong>in</strong>ell e<strong>in</strong>e Aussage über den deutschen Satz „Schnee ist weiß“. Aber er ist jenem ersten<br />
Satz über den Schnee logisch äquivalent und <strong>in</strong>sofern bedeutungsgleich:<br />
Schnee ist weiß ↔ „Schnee ist weiß“ ist wahr<br />
Daran sieht man, daß der Satz über die Wahrheit des Satzes vom weißen Schnee de facto<br />
doch e<strong>in</strong> Satz über die Welt ist, wenn auch nom<strong>in</strong>ell e<strong>in</strong> Satz über die Sprache.<br />
Im Fall des Satzes „Schnee ist weiß“ ist der semantische Aufstieg witzlos. Man spart Atem<br />
(zwei Silben, zwei Wörter), wenn man die kurze Version, ohne Aufstieg, wählt. Manchmal<br />
aber ist der Aufstieg der kürzere Weg. Wenn jemand e<strong>in</strong>e Reihe von Behauptungen macht<br />
und e<strong>in</strong> anderer dem allem zustimmen will, muß er (oder sie) nicht die ganze Reihe wiederholen,<br />
sondern kann schlicht sagen: Das ist alles wahr!<br />
Wenn man e<strong>in</strong>er ganzen Theorie zustimmen will, etwa der Arithmetik mit ihren unendlich<br />
vielen Lehrsätzen, ist es sogar notwendig, den semantischen Aufstieg zu wählen und zu sa-