Einführung in Hegels Logik - Philosophisches Seminar
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Über die Zahl h<strong>in</strong>aus kommen wir <strong>in</strong> der Mathematik e<strong>in</strong>erseits im unbegrenzten Zählprozeß<br />
und andererseits <strong>in</strong> der Inf<strong>in</strong>itesimalrechnung.<br />
Der Zählprozeß ist, als Progreß <strong>in</strong>s Unendliche, e<strong>in</strong> Beispiel für die schlechte Unendlichkeit.<br />
Also muß sie <strong>in</strong>s Transf<strong>in</strong>ite h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> übersprungen werden. Damit ist gegen Aristoteles, der<br />
nur die schlechte, potentielle Unendlichkeit anerkannte, im Grunde schon Cantor vorweggenommen<br />
(oder, genauer gesagt, im Logischen vorbereitet), der die aktuale Unendlichkeit <strong>in</strong><br />
die Mathematik e<strong>in</strong>geführt und <strong>in</strong> ihr fest verankert hat.<br />
(Aber das stimmt andererseits auch wieder nicht. Denn dank Cantor wird <strong>in</strong> der Mengenlehre<br />
der unendliche quantitative Progreß im Transf<strong>in</strong>iten e<strong>in</strong>fach fortgesetzt; die Cantorsche aktuale<br />
Unendlichkeit ist <strong>in</strong>sofern ke<strong>in</strong>e wahre Unendlichkeit nach <strong>Hegels</strong>chen Maßstäben.)<br />
Was das Inf<strong>in</strong>itesimale, also das unendlich Kle<strong>in</strong>e, betrifft, so gibt es auffälligerweise e<strong>in</strong>e<br />
gegenläufige Entwicklung <strong>in</strong> der modernen Mathematik. Bei Leibniz und Newton mußte es<br />
als e<strong>in</strong>e paradoxe, <strong>in</strong>konsistente und dennoch aktuale negative Unendlichkeit anerkannt werden.<br />
Warum? Was war so paradox und anstößig am Inf<strong>in</strong>itesimalen? Daß es verschieden große<br />
<strong>in</strong>f<strong>in</strong>itesimale Größen gibt.<br />
Nehmen Sie die l<strong>in</strong>eare Gleichung y=2x. Ihre Steigung ist generell 2: y‘=2. Das heißt: In<br />
jedem Punkt hat diese l<strong>in</strong>eare „Kurve“ e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>f<strong>in</strong>itesimalen Wertzuwachs längs der x-Achse<br />
und längs der y-Achse. Diese unendlich kle<strong>in</strong>en Zuwächse s<strong>in</strong>d die Differentiale der Kurve:<br />
dx und dy. Aber der <strong>in</strong>f<strong>in</strong>itesimale Zuwachs längs der y-Achse (d.h. dy) ist doppelt so groß<br />
wie der <strong>in</strong>f<strong>in</strong>itesimale Zuwachs längs der y-Achse (d.h. dx): dy/dx=2, also: dy=2dx. --- Oder<br />
nehmen Sie die quadratische Gleichung y=x 2 . Hier gilt: dy/dx=2x. d.h.: dy=2xdx.<br />
Aber Karl Weierstraß hat im 19. Jahrhundert die Analysis logisch aufgearbeitet und den Widerspruch<br />
des aktual unendlich Kle<strong>in</strong>en behoben, <strong>in</strong>dem er (sehr grob gesprochen) diese negative<br />
Aktualunendlichkeit umdeutete <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en unendlichen Annäherungsprozeß an e<strong>in</strong>en<br />
Grenzwert.<br />
Mathematisch war das die Lösung des Widerspruchs des unendlich Kle<strong>in</strong>en. Aber übertragen<br />
auf die Ebene der spekulativen <strong>Logik</strong> wäre es e<strong>in</strong> Schritt <strong>in</strong> die falsche Richtung: vom aktualen<br />
zum potentiellen Unendlichen bzw. vom wahren zum schlechten Unendlichen.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs läßt auch Hegel das Unendlichgroße und das Unendlichkle<strong>in</strong>e nicht ohne weiteres<br />
gelten. Sie s<strong>in</strong>d, sagt er, „Bilder der Vorstellung, die bei näherer Betrachtung sich als nichtiger<br />
Nebel und Schatten zeigen“ (WdL I 236). Die wahre Unendlichkeit im Quantitativen<br />
ist demgegenüber das Quantum als Verhältnis zweier Quanta, zunächst das direkte Verhältnis<br />
(der Bruch, die Proportionalität), dann das umgekehrte Verhältnis (die reziproke Proportionalität),<br />
schließlich das Potenzenverhältnis:<br />
Dazu Hegel:<br />
Direktes Verh. y = px p = y/x<br />
Umgek. Verh. y = p/x p = yx<br />
Potenzenverh. y = x 2<br />
“Das Unendliche, welches im unendlichen Progresse nur die leere Bedeutung e<strong>in</strong>es<br />
Nichtse<strong>in</strong>s, e<strong>in</strong>es unerreichten, aber gesuchten Jenseits hat, ist <strong>in</strong> der Tat nichts anderes<br />
als die Qualität. […]<br />
Ganz überhaupt: das Quantum ist die aufgehobene Qualität; aber das Quantum ist unendlich,<br />
geht über sich h<strong>in</strong>aus, es ist die Negation se<strong>in</strong>er; dies H<strong>in</strong>ausgehen ist also an<br />
sich die Negation der negierten Qualität, die Wiederherstellung derselben […]“ (WdL<br />
I 238u).