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Einführung in Hegels Logik - Philosophisches Seminar

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13.06.2013<br />

Wir haben letztes Mal u.a. den Lügner besprochen und den Wahrsager nebenbei erwähnt:<br />

Satz 1: „Dieser Satz (d.h. Satz 1) ist nicht wahr.“<br />

Satz 2: „Dieser Satz (d.h. Satz 2) ist wahr“<br />

(Lügner)<br />

(Wahrsager)<br />

Der Lügner ist ant<strong>in</strong>omisch, der Wahrsager ist komisch. Wenn man annimmt, daß der Lügner<br />

wahr ist, so muß man ihm glauben, also glauben, daß er nicht wahr ist. Wenn man aber<br />

annimmt, er sei nicht wahr, so nimmt man an, was er selber aussagt; also muß man ihn nun<br />

für wahr halten. Wenn er wahr ist, ist er falsch, und wenn er falsch ist, ist er wahr.<br />

Mit dem Wahrsager h<strong>in</strong>gegen kann man es halten, wie man will. Nimmt man an, er sei wahr,<br />

so stimmt das mit se<strong>in</strong>er eigenen Aussage übere<strong>in</strong>; also darf man ihn für wahr halten. Nimmt<br />

man an, er sei falsch, so widerspricht das se<strong>in</strong>er Aussage; also muß man ihn dann tatsächlich<br />

für falsch halten. Ob er nun wahr oder aber falsch ist, läßt sich auf diese Weise nicht entscheiden.<br />

Man müßte ganz unabhängige Gründe haben, sei es ihn zu behaupten, sei es ihn zurückzuweisen.<br />

E<strong>in</strong>ige Hörer hatten Zweifel an der Verständlichkeit dieser Sätze, <strong>in</strong>sbesondere des Lügnersatzes,<br />

angemeldet. Ihnen sei kurz e<strong>in</strong>e unverdächtigere Variante der Lügnerant<strong>in</strong>omie vorgetragen.<br />

(Saul Kripke hat e<strong>in</strong>e ähnliche, etwas kompliziertere Variante <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em „Outl<strong>in</strong>e of a<br />

Theory of Truth“ verwendet, JoP 72, 1975, 690-716.)<br />

Nehmen wir an, Max und Moritz seien nach ihrem Pulveranschlag auf Lehrer Lämpel gefaßt<br />

worden und würden getrennt vernommen. E<strong>in</strong> Ermittler befragt Max; aber der macht nur e<strong>in</strong>e<br />

e<strong>in</strong>zige Aussage:<br />

Max’ e<strong>in</strong>zige Aussage: „Was Moritz aussagt, ist wahr.“<br />

Der Ermittler geht gespannt zu se<strong>in</strong>er Kolleg<strong>in</strong>, die unterdessen Moritz verhört hat. Was wird<br />

Moritz zu Protokoll gegeben haben? Leider auch nicht viel, ebenfalls nur e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>zigen Satz:<br />

Moritz’ e<strong>in</strong>zige Aussage: „Was Max aussagt, ist nicht wahr.“<br />

Jede dieser beiden Aussagen ist völlig normal und völlig verständlich; aber zusammen ergeben<br />

sie wieder die Ant<strong>in</strong>omie des Lügners.<br />

Wir werden heute auf den Lügner und den Wahrsager zurückkommen.<br />

-- -- --<br />

Zuletzt hatten wir besprochen, wie sich die <strong>Hegels</strong>che <strong>Logik</strong> schrittweise von unmittelbaren<br />

Vorgaben befreit, erst, <strong>in</strong> der Se<strong>in</strong>slogik, vom unmittelbaren Se<strong>in</strong>, und dann, <strong>in</strong> der Wesenslogik,<br />

von der Negation als e<strong>in</strong>er vorgefundenen Operation, und wie sie im Begriff e<strong>in</strong>en<br />

Entwicklungsstand erreicht, der durch absolute, freie Selbstbestimmung charakterisiert ist.<br />

Das ist e<strong>in</strong>erseits höchst erfreulich, weil sich unsere theoretischen Investitionen – die des<br />

unmittelbaren Se<strong>in</strong>s und die der Negation – damit im nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> als überflüssig und h<strong>in</strong>fällig<br />

erweisen. Andererseits aber sieht das nun wirklich so aus, als sei Hegel vom Realismus <strong>in</strong><br />

den Nihilismus gewandert. Es sieht so aus, als habe er den Weg von e<strong>in</strong>em An-und-für-sich-<br />

Se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> dem die reale Unmittelbarkeit und das ideelle Sich-mit-sich-Vermitteln sich die Waage<br />

hielten, fortgeschritten zu e<strong>in</strong>em re<strong>in</strong>en, ideellen, imag<strong>in</strong>ären Fürsichse<strong>in</strong>, das er den Begriff<br />

nennt, und als sei der Begriff e<strong>in</strong> durch und durch nur Ideelles. Da der Begriff zugleich<br />

der ganze logische Raum se<strong>in</strong> soll, neben dem es nichts weiter geben kann, sieht das dann<br />

tatsächlich nach e<strong>in</strong>em transzendentalen oder logischen Nihilismus aus.<br />

Bei Fichte war die Richtung die umgekehrte. Er g<strong>in</strong>g aus vom Zirkel der Imag<strong>in</strong>ation, h<strong>in</strong><br />

zum Absoluten, das <strong>in</strong> diesem Zirkel oder R<strong>in</strong>g ersche<strong>in</strong>t, und löste sich so vom Nihilismus.<br />

Hegel h<strong>in</strong>gegen geht aus vom kondensierten, unmittelbaren An-und-für-sich-Se<strong>in</strong>, das sowohl

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