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Einführung in Hegels Logik - Philosophisches Seminar

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Statt „Liebe“: Unmittelbarkeit, Se<strong>in</strong>, Dase<strong>in</strong>, Realität<br />

Statt „Streit“: Verne<strong>in</strong>ung, Negation<br />

Wenn der Streit herrscht, s<strong>in</strong>d Liebe und Streit entzweit und stehen sich gleichberechtigt gegenüber.<br />

Wenn die Liebe herrscht, s<strong>in</strong>d Streit und Liebe <strong>in</strong> Liebe vere<strong>in</strong>t, man sieht nichts als<br />

Liebe. Der Streit, wenn er herrscht, läßt se<strong>in</strong>en Kontrahenten (die Liebe) neben sich treten.<br />

Die Liebe, wenn sie herrscht, walzt sozusagen alles platt. Der Streit ist der Demokrat, die Liebe<br />

der absolute Monarch.<br />

Das waren die Verhältnisse im Dase<strong>in</strong>; e<strong>in</strong> Kampf zwischen E<strong>in</strong>heit (Frieden, Liebe) und<br />

Zweiheit (Kampf, Streit). Das Se<strong>in</strong> und die Verne<strong>in</strong>ung waren nicht mite<strong>in</strong>ander ausgeglichen,<br />

sondern wechselten sich ab wie die Mondphasen. Die Selbstanwendung der Verne<strong>in</strong>ung<br />

hatte hier immer zwei Resultate, e<strong>in</strong> affirmatives (mit sich identisches Etwas) und e<strong>in</strong> negatives<br />

(das Andere).<br />

Im Fürsichse<strong>in</strong> ist dieser Dualismus aufgehoben. Das erklärt wohl auch den zuvor besprochenen<br />

affirmativen Tonfall, <strong>in</strong> den Hegel hier verfällt. Zum ersten Mal entsteht e<strong>in</strong> hoffnungsvoller<br />

E<strong>in</strong>druck davon, was es heißen könnte, daß die Verne<strong>in</strong>ung ihre zerstörerische, bösartige<br />

Seite verlieren könnte. Wenn die Verne<strong>in</strong>ung als Idealisierung auftritt, zeigt sie sich von<br />

ihrer Schokoladenseite. Der Streit stellt sich nicht mehr fe<strong>in</strong>dlich gegen die Liebe, und die<br />

Liebe buttert den Streit nicht mehr e<strong>in</strong>fach unter. Sondern der Streit übernimmt selber die<br />

Rolle und Aufgabe der Liebe und versöhnt sich und sie.<br />

Und genau dar<strong>in</strong> liegt ja das Versprechen e<strong>in</strong>es guten Endes der Evolution des LR: daß die<br />

Verne<strong>in</strong>ung für Leben, Bewegung, Gliederung sorgt, ohne aber ihre zerstörerische Kraft zu<br />

entfalten.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs ist das gute Ende mit dem Fürsiche<strong>in</strong> noch lange nicht erreicht. Es sche<strong>in</strong>t nur aus<br />

der logischen Zukunft vor und verflüchtigt sich wieder. Im Fürsichse<strong>in</strong> ist die Verne<strong>in</strong>ung<br />

sozusagen weich geworden, leider aber zu weich, so daß sie nicht mehr für e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>terne Struktur<br />

sorgen kann. Das Fürsichse<strong>in</strong> selber ist ideell, ist nur für E<strong>in</strong>es, nicht an sich. Das E<strong>in</strong>e, für<br />

das es ist, ist zugleich es selber. Es ist aufgehoben <strong>in</strong> sich selbst; se<strong>in</strong>e Selbständigkeit ist se<strong>in</strong>e<br />

Unselbständigkeit und Aufgehobenheit.<br />

So kollabiert die weiche Struktur des Fürsichse<strong>in</strong>s und des Se<strong>in</strong>s-für-E<strong>in</strong>es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en harten<br />

unterschiedslosen Kern, das E<strong>in</strong>s. Auch im E<strong>in</strong>s s<strong>in</strong>d Unmittelbarkeit und Negativität ausgeglichen;<br />

aber im E<strong>in</strong>s gew<strong>in</strong>nt dann auch die Negativität wieder ihre Härte zurück und wird<br />

zur Repulsion, zur abstoßenden Kraft.<br />

-- -- --<br />

Der Term<strong>in</strong>us „Fürsichse<strong>in</strong>“ ist von Hegel im übrigen sehr geschickt gewählt, weil er zweierlei<br />

konnotiert, das hier tatsächlich zusammenkommt: erstens das ideelle Fürsichse<strong>in</strong>, von dem<br />

das Selbstbewußtse<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Beispiel ist: Das Ich qua selbstbewußtes ist ausschließlich für sich.<br />

Zweitens aber bedeutet „Fürsichse<strong>in</strong>“ auch Getrenntse<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e Sache ist für sich, getrennt,<br />

wenn sie ke<strong>in</strong>er anderen Sache bedarf, um zu se<strong>in</strong> und um das zu se<strong>in</strong>, was sie ist. Von diesem<br />

Getrenntse<strong>in</strong> ist Person als Individuum e<strong>in</strong> Beispiel, die aus sich heraus tätig ist. In der<br />

menschlichen Subjektivität, die sowohl umfassendes Selbstbewußtse<strong>in</strong> als auch jeweils e<strong>in</strong><br />

Individuum, und zwar e<strong>in</strong> Individuum unter vielen ist, manifestiert sich die ganze <strong>Logik</strong> des<br />

Fürsichse<strong>in</strong>s.<br />

Wie geht es mit dieser <strong>Logik</strong> des Fürsichse<strong>in</strong> weiter? Zunächst ist das E<strong>in</strong>s schlicht der ganze<br />

LR: als unveränderlich und absolut bestimmt. Beides gehört zusammen. Da es ke<strong>in</strong> Anderes<br />

neben dem E<strong>in</strong>s gibt, kann das E<strong>in</strong>s sich nicht <strong>in</strong> dieses Andere verändern; und da es ke<strong>in</strong><br />

Anderes gibt, kann das E<strong>in</strong>s von diesem nicht negiert und nicht bestimmt und auch nicht begrenzt<br />

werden. Es ist, sagt Hegel, „die ganz abstrakte Grenze se<strong>in</strong>er selbst“ (WdL 1832,

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