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Taschenatlas Augenheilkunde (Thieme Verlag, 2004)

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15 Sehnerv und Sehbahn<br />

212<br />

A. Typische Neuritis nervi optici<br />

Bei der Neuritis nervi optici (NNO) handelt es<br />

sich um Entzündungen des Sehnervs unterschiedlicher<br />

Genese. Es erfolgt eine grobe Einteilung<br />

in typische und atypische NNO. Die<br />

typische NNO kommt idiopathisch oder in Assoziation<br />

mit multipler Sklerose vor. Hier wird<br />

die Myelinscheide angegriffen.<br />

Das Bild der typischen NNO (Tab. 1) setzt sich<br />

aus einer einseitigen Sehverschlechterung mit<br />

Bulbusbewegungsschmerzen bei Patienten<br />

zwischen 15 und 45 Jahren zusammen. 75 % der<br />

Patienten sind Frauen. Der Visus schwankt zwischen<br />

normal und fehlender Lichtscheinwahrnehmung.<br />

Ein relativer Afferenzdefekt ist<br />

immer vorhanden, außer bei Vorschaden des<br />

anderen Auges. Die Patienten berichten häufig<br />

über eine Farbentsättigung. Im Gesichtsfeld<br />

finden sich Nervenfaserbündeldefekte. Typisch<br />

ist auch eine vorübergehende Sehverschlechterung<br />

in Zusammenhang mit körperlicher Anstrengung<br />

(Uhthoff-Phänomen). Nur in einem<br />

Drittel der Patienten findet sich ein Papillenödem,<br />

das selten massiv ausgeprägt ist (Papillitis).<br />

Bei den meisten Patienten ist die Papille<br />

unauffällig (Retrobulbärneuritis). Veränderungen<br />

der Netzhaut, der Choroidea oder des Glaskörpers<br />

sprechen gegen eine typische NNO.<br />

Innerhalb der ersten Woche nach Krankheitsbeginn<br />

kann noch eine Sehverschlechterung<br />

eintreten, danach beginnt eine langsame Verbesserung<br />

innerhalb weiterer vier Wochen.<br />

Eine temporale Optikusblässe beginnt sich selten<br />

nach ca. 5 Wochen zu entwickeln. In visuell<br />

evozierten Potenzialen (VEP) wird bei der NNO<br />

eine Latenzverzögerung festgestellt werden. Da<br />

dies aber auch bei anderen Optikusneuropathien<br />

beobachtet wird, handelt es sich um ein<br />

sehr unzuverlässiges Merkmal. Bei eindeutiger<br />

Klinik sind VEP zur Diagnosesicherung nicht<br />

notwendig. Eine Kernspinuntersuchung des<br />

Gehirns sollte bei allen Patienten durchgeführt<br />

werden, um das Risiko einer multiplen Sklerose<br />

(MS) abzuschätzen. Ca. 50 % der Patienten<br />

mit einer erstmaligen NNO weisen Demyelinisierungen<br />

im Kernspintomogramm auf (A).<br />

Finden sich keine Entmarkungsherde, beträgt<br />

das Risiko innerhalb der nächsten 5 Jahre an<br />

einer MS zu erkranken 16 %, nach 10 Jahren<br />

22 %. Bei drei oder mehr Entmarkungsherden<br />

liegt das Risiko dagegen bei 51 % (Tab. 2). Nach<br />

10 Jahren beträgt das Risiko mit einem Entmarkungsherd<br />

bei Diagnose der NNO 51 %. Die<br />

Lumbalpunktion kann bei Verdacht auf eine MS<br />

nach der Kernspintomographie die Diagnose<br />

erhärten, wenn erhöhte Immunglobuline und<br />

oligoklonale Banden gefunden werden. Therapeutisch<br />

wird die typische NNO mit einer Prednisolon-Infusionstherapie<br />

von 1000 mg/die<br />

über 3 Tage behandelt. Bei fast allen Patienten<br />

(80 %) kommt es zu einer deutlichen Visusbesserung<br />

innerhalb der ersten 30 Tage, manchmal<br />

dauert eine endgültige Erholung aber bis zu<br />

sechs Monaten. 90 % erreichen eine Sehschärfe<br />

von mehr als 0,8 innerhalb eines Jahres nach<br />

Beginn der NNO. Die weitere Prognose hängt<br />

von der Häufigkeit der NNO ab, da diese Entzündung<br />

v. a. bei MS, rezidivieren kann.<br />

B. Atypische Neuritis nervi optici<br />

Die atypische Neuritis nervi optici ist weitaus<br />

häufiger mit anderen Erkrankungen als mit MS<br />

assoziiert. Die Symptomatik entspricht nicht<br />

der in Tab. 1. Die Patienten sind älter oder jünger<br />

als bei typischer NNO, der Bewegungsschmerz<br />

kann fehlen. Ophthalmologisch kann<br />

man häufig ein Papillenödem finden (Papillitis).<br />

Dann sollte eine Abklärung hinsichtlich<br />

entzündlicher Ursachen erfolgen (Tab. 3). Da es<br />

sich hier um spezifische Ursachen handeln<br />

kann, sollte auch bei einem Mischbild zwischen<br />

typischer und atypischer NNO eine solche Abklärung<br />

erfolgen.<br />

Zu den infektiösen Ursachen gehören: infektiöse<br />

Meningitis/Enzephalitis, Lues, Toxoplasmose,<br />

Herpes simplex, Herpes zoster, Tuberkulose,<br />

Borreliose, Bartonellose und bakterielle oder<br />

fungale Sinusitis.<br />

Bei den nichtinfektiösen entzündlichen Ursachen<br />

ist an akute disseminierte Encephalomyelitis,<br />

Guillain-Barré-Syndrom, Morbus Crohn,<br />

Colitis ulcerosa, Morbus Reiter, Sjögren-Syndrom,<br />

Morbus Behçet, Morbus Wegener, Lupus<br />

erythematodes und Sarkoidose zu denken.<br />

Da es sich um behandlungsbedürftige Erkrankungen<br />

handelt, deren Prognose oft von einer<br />

frühzeitigen Diagnose und spezifischen Therapie<br />

abhängen kann, ist eine serologische Abklärung<br />

bei atypischer NNO sinnvoll.<br />

Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!<br />

Aus T. Schlote u.a.: <strong>Taschenatlas</strong> <strong>Augenheilkunde</strong> (ISBN 3-13-131481-8) © <strong>2004</strong> Georg <strong>Thieme</strong> <strong>Verlag</strong>, Stuttgart

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