Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche
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2.4. Das Anschwellen <strong>der</strong> Informationsmenge<br />
im Beschleunigungskarussell<br />
Natürlich war nicht nur <strong>der</strong> Wechsel <strong>in</strong> die Groß- und<br />
Hauptstadt Ursache für den grundlegenden Image-<br />
Wandel des politischen <strong>Journalismus</strong>, auch die ökonomischen<br />
und redaktionellen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
haben sich im vergangenen Jahrzehnt rapide verän<strong>der</strong>t<br />
und zu dem geführt, was unter den Autoren<br />
geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> als e<strong>in</strong>e Art Beschleunigungskarussell<br />
wahrgenommen wird: „Ganz entschieden hat <strong>der</strong><br />
Beruf <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Korrespondenten sich <strong>in</strong> acht Berl<strong>in</strong>er<br />
Jahren mehr verän<strong>der</strong>t als <strong>in</strong> e<strong>in</strong> o<strong>der</strong> zwei<br />
Jahrzehnten zuvor“, konstatiert Bruns (2007, 70).<br />
Wenngleich die Jahre 1989 und 1998 wichtige politische<br />
E<strong>in</strong>schnitte markierten, wähnt sie vor allem <strong>in</strong><br />
den neuen Technologien <strong>der</strong> digitalisierten Welt<br />
„E<strong>in</strong>schläge, die den Berufsalltag verän<strong>der</strong>n“ (ebd.)<br />
– mit Blick auf die Büroausstattung im Kanzleramt<br />
anno 1998 (elektrische Schreibmasch<strong>in</strong>en, Faxgeräte)<br />
hat nach Me<strong>in</strong>ung von Uwe-Karsten Heye, ehemaliger<br />
Sprecher <strong>der</strong> Bundesregierung unter Gerhard<br />
Schrö<strong>der</strong>, sogar e<strong>in</strong>e regelrechte „kommunikative<br />
Revolution“ stattgefunden. E<strong>in</strong> daraus entstehendes<br />
Problem ist laut Bruns, dass „die Beschleunigung<br />
und das damit verbundene Anschwellen <strong>der</strong><br />
Menge von Informationen und Nachrichten“ e<strong>in</strong>fach<br />
stattfänden, die Konsequenzen <strong>in</strong>des selten reflektiert<br />
würden (ebd.: 72).<br />
Dass Grundrauschen und Exklusivitätsdruck zunehmen,<br />
dass die Halbwertszeit von Meldungen kürzer<br />
wird, hat vor allem mit dem Auftrieb <strong>der</strong> Onl<strong>in</strong>e-<br />
Angebote im Berl<strong>in</strong>er Mediengefüge zu tun (vgl.<br />
Gäbler 2005, 2007; Burdick/ Hallerberg/ Zabel<br />
2007): Sie verarbeiten und wälzen das politische<br />
Themenspektrum schneller um und als noch vor<br />
wenigen Jahren und nötigen sowohl Politiker als<br />
auch Journalisten, je<strong>der</strong>zeit und überall für e<strong>in</strong> rasches<br />
Statement erreichbar zu se<strong>in</strong>. Politik wird <strong>in</strong><br />
dieser Verwertungsperspektive als Produkt verstanden,<br />
das sich auf dem umkämpften Medienmarkt <strong>in</strong><br />
erster L<strong>in</strong>ie verkaufen soll. Zugleich ergibt sich nach<br />
den Beobachtungen des langjährigen „Zeit“-<br />
Korrespondenten Gunter Hofmann (2007: 74) für die<br />
Journalisten-Meute e<strong>in</strong> Dilemma: „Das Politiker-<br />
Angebot reicht nicht für die Medien-Nachfrage, weshalb<br />
sich die Journalisten <strong>in</strong>zwischen oft selbst gegenseitig<br />
<strong>in</strong>terviewen.“<br />
Von diesem Nachfrage-Problem künden auch die<br />
Statistiken über die politische Newsbranche Berl<strong>in</strong>s:<br />
Schon 2005 ermittelte Bernd Gäbler (2005) <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Studie „Newsknotenpunkt Berl<strong>in</strong>“ im Auftrag des<br />
Medienboard Berl<strong>in</strong>-Brandenburg für die mit Nachrichtenjournalismus<br />
und politischer Berichterstattung<br />
verbundene Berufsgruppe e<strong>in</strong>e Zahl von 8.000 bis<br />
10.000 Beschäftigten – e<strong>in</strong> gutes Fünftel <strong>der</strong> bundesweit<br />
rund 48.000 hauptberuflich tätigen Journa-<br />
listen (vgl. Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006); heute<br />
dürfte diese Zahl angesichts <strong>der</strong> überwundenen<br />
Medienkrise noch e<strong>in</strong>mal um e<strong>in</strong>ige hun<strong>der</strong>t Beschäftigte<br />
angewachsen se<strong>in</strong>. Gäbler (2007, 8) hat <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er Nachfolgestudie außerdem erhoben, dass im<br />
ersten Halbjahr 2007 rund 1.250 Journalisten im<br />
Onl<strong>in</strong>ejournalismus <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> arbeiteten. Der Journalistendatenbank<br />
MEDIAtlas zufolge, e<strong>in</strong>em Angebot<br />
des dpa-Tochterunternehmens „News aktuell“, beläuft<br />
sich die Zahl <strong>der</strong> ausschließlich mit „Politik und<br />
Tagesgeschehen“ befassten Journalisten aktuell auf<br />
rund 2.500 Personen, die ausländischen Korrespondenten<br />
<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> e<strong>in</strong>geschlossen (Stand: Februar<br />
2008). In <strong>der</strong> Bundespressekonferenz waren Ende<br />
2006 laut Selbstauskunft 930 Mitglie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>getragen,<br />
kurz vor dem Regierungsumzug im Jahr 1999 waren<br />
es 700. Zusammen waren bei beiden großen Selbstorganisationen,<br />
Bundespressekonferenz und Berl<strong>in</strong>er<br />
Pressekonferenz, 2007 ca. 2.000 Journalisten akkreditiert<br />
(vgl. Burdick/ Hallerberg/ Zabel 2007, 18).<br />
Der DJV Berl<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> 18 Landesverbände, zählt<br />
<strong>der</strong>zeit rund 2.500 Mitglie<strong>der</strong>.<br />
Dafür, dass Berl<strong>in</strong> ungeschlagene Medienhauptstadt<br />
Nummer e<strong>in</strong>s ist, sprechen auch die Nie<strong>der</strong>lassungen<br />
und Hauptstadtbüros fast aller großen Medienhäuser<br />
und Zeitungsverlage: Es s<strong>in</strong>d über 60 nationale<br />
und <strong>in</strong>ternationale Fernsehstationen zu nennen<br />
sowie 94 regionale Tageszeitungen, die <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> mit<br />
Korrespondenten o<strong>der</strong> eigenen Büros vertreten s<strong>in</strong>d<br />
(vgl. Burdick/ Hallerberg/ Zabel 2007, 18). Etliche<br />
Zeitschriften, Nachrichtenagenturen, Radiostationen<br />
und Onl<strong>in</strong>e-Medien unterhalten <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> außerdem<br />
eigene Nie<strong>der</strong>lassungen; h<strong>in</strong>zuzuzählen s<strong>in</strong>d hun<strong>der</strong>te<br />
freie Journalisten und Redakteure <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>-<br />
Brandenburgischen Regionalpresse sowie ausländische<br />
Pressevertreter wie die 382 Mitglie<strong>der</strong> des Vere<strong>in</strong>s<br />
<strong>der</strong> ausländischen Presse <strong>in</strong> Deutschland (VAP),<br />
die für <strong>in</strong>ternationale Medien aus Berl<strong>in</strong> berichten.<br />
In Anbetracht dieser Zahlen ist es ke<strong>in</strong> Wun<strong>der</strong>, dass<br />
sich <strong>in</strong> den Berl<strong>in</strong>er Journalistenalltag gelegentlich<br />
e<strong>in</strong> ungesundes Maß an Hektik und Gedränge mischt<br />
– offenbar weitaus mehr und häufiger, als es <strong>der</strong><br />
Beruf von se<strong>in</strong>en streng ritualisierten Zeitabläufen<br />
ohneh<strong>in</strong> schon mit sich br<strong>in</strong>gt. So bereiten das gestiegene<br />
Tempo und <strong>der</strong> Medienzuwachs <strong>in</strong> <strong>der</strong> verän<strong>der</strong>ten<br />
Hauptstadtszenerie auch den Buchautoren<br />
ernsthafte Sorgen: Sie br<strong>in</strong>gen mit <strong>der</strong> höheren<br />
Dichte <strong>der</strong> Kommunikationsmittel und <strong>der</strong> Masse <strong>der</strong><br />
Kommunikatoren nichts ger<strong>in</strong>geres als e<strong>in</strong>e Glaubwürdigkeitskrise<br />
<strong>der</strong> Qualitätsmedien <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung,<br />
und zwar aus dem Blickw<strong>in</strong>kel <strong>der</strong> Zuschauer und<br />
Leser, die im wirren Nachrichtensalat aus Eisbär<br />
Knut, Party-Girl Paris Hilton und „Superstar“-<br />
Kandidat Daniel Küblböck allmählich die Orientierung<br />
im Informationsdickicht und damit das Vertrauen <strong>in</strong><br />
den Qualitätsjournalismus verlieren würden. Auch<br />
Hachmeister ahnt am Ende se<strong>in</strong>es Buches mit Blick<br />
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