Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche
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tiger vor als Kollegen, denen dies nicht vergönnt ist.<br />
Wegen <strong>der</strong> daraus resultierenden Gefahr <strong>der</strong> Selbstüberschätzung<br />
for<strong>der</strong>t Gerhard Hofmann (ehem.<br />
RTL/ n-tv) neue Instanzen <strong>der</strong> Selbstkritik, durch die<br />
sich die Erkenntnis verbreiten solle, dass solche<br />
Auftritte ke<strong>in</strong>e Leistung, son<strong>der</strong>n eher e<strong>in</strong> notwendiges<br />
Übel seien: e<strong>in</strong> Medienkarussell, auf dem je<strong>der</strong><br />
mitfahren müsse, <strong>der</strong> sich für den Hauptstadtjournalismus<br />
entscheide. Offen und kritisch darüber zu<br />
reden, so Hofmann, befreie „wenigstens e<strong>in</strong> bisschen<br />
und gibt Luft zum Atmen“.<br />
4.1.4. Selbstverständnis vs. fehlende Selbstkritik<br />
Gegenseitige Selbstbeobachtung sei <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> pathologisch<br />
unterentwickelt, vor allem unter leitenden<br />
Medienmachern, kritisiert Roger Boyes von <strong>der</strong> Times:<br />
Weil überall das Kollegialitätspr<strong>in</strong>zip gelte, sei<br />
die Medienkritik <strong>in</strong> Deutschland im Pr<strong>in</strong>zip zahnlos.<br />
Zunehmend griffen Schulterschlüsse unter Chefredakteuren,<br />
Herausgebern und Verlegern, die offenbar<br />
<strong>der</strong> verschärften Wirtschaftslage im Medienbereich<br />
geschuldet seien. Auch Medienberater Michael<br />
Spreng urteilt: E<strong>in</strong>e Krähe hacke <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en ke<strong>in</strong><br />
Auge aus, man sitze schließlich im selben Boot.<br />
H<strong>in</strong>zukommt, dass nur wenige Hauptstadtjournalisten<br />
davon überzeugt s<strong>in</strong>d, dass <strong>der</strong> Medienmarkt<br />
eigenständig e<strong>in</strong>e vernünftige Selbstregulierung<br />
hervorbr<strong>in</strong>gen könne. Sever<strong>in</strong> Weiland (Spiegel Onl<strong>in</strong>e)<br />
glaubt etwa, dass journalistische Abweichler, die<br />
absichtlich zu weit auf das Feld <strong>der</strong> handelnden Politik<br />
vordr<strong>in</strong>gen, schnell von Konkurrenzmedien abgemahnt<br />
o<strong>der</strong> ganz von <strong>der</strong> Journalistengeme<strong>in</strong>de<br />
ausgeschlossen würden. Journalisten seien zwar<br />
häufig hart im Austeilen, aber sensibel im Nehmen,<br />
wenn es um Kritik an <strong>der</strong> eigenen Person gehe.<br />
Trotzdem seien auch die selbst ernannten Alphatiere<br />
e<strong>in</strong>sichtig, wenn sie mit harten Bandagen angepackt<br />
würden: „Wer sich selbst als Journalist wie e<strong>in</strong> Ersatzpolitiker<br />
aufspielt, muss sich nicht wun<strong>der</strong>n,<br />
dass er von Kollegen auch wie e<strong>in</strong> Politiker behandelt<br />
wird“, sagt Sever<strong>in</strong> Weiland. Doch dass es tatsächlich<br />
e<strong>in</strong>e wirksame Selbstkasteiung im hauptstädtischen<br />
Medienbetrieb gibt, wird vom Großteil<br />
<strong>der</strong> Befragten bezweifelt. Voraussetzung wäre e<strong>in</strong>e<br />
regelmäßige Selbstreflexion über die eigene Berufsrolle<br />
und – konsequenterweise – die demokratische<br />
Verfasstheit <strong>der</strong> Gesellschaft. Tissy Bruns (Der Tagesspiegel)<br />
sieht beides als nicht gegeben an:<br />
„Selbstreflexion fehlt uns allen, und das hat strukturelle<br />
Gründe. Erstens fehlt uns e<strong>in</strong>fach die Zeit dazu.<br />
Zweitens bee<strong>in</strong>druckt jeden von uns <strong>der</strong> Umgang<br />
mit sehr mächtigen Menschen. Wer sagt, er sei dagegen<br />
immun, ist nicht ganz ehrlich zu sich selbst.<br />
Wenn ich zu Hause erzähle, dass ich letzte Woche<br />
zum H<strong>in</strong>tergrundgespräch mit <strong>der</strong> Bundeskanzler<strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>geladen war, gibt es aus dem Familien- und Bekanntenkreis<br />
immer ganz ehrfürchtige Reaktionen.<br />
Dann merke ich immer, dass das e<strong>in</strong>e Sache ist, die<br />
an<strong>der</strong>e Leute bee<strong>in</strong>druckt, aber auf mich selbst wirkt<br />
sie eben auch“ (Tissy Bruns, Der Tagesspiegel).<br />
Natürlich reflektierten Hauptstadtjournalisten über<br />
sich selbst, me<strong>in</strong>t Jens König (ehem. taz), doch werden<br />
die Ergebnisse dieser Eigenhygiene im Berufsalltag<br />
gleich wie<strong>der</strong> vergessen. Unabhängigkeit, Unbestechlichkeit,<br />
Wahlfreiheit – all das seien Ideale,<br />
die zwar je<strong>der</strong> Journalisten vor Augen habe, die<br />
jedoch oft aus Bequemlichkeit und aus Furcht vor<br />
den Vorgesetzten verworfen würden:<br />
„Wie man se<strong>in</strong>e Unabhängigkeit behauptet, bleibt<br />
abhängig davon, wo man arbeitet, unter welchen<br />
Zwängen man arbeitet, wie viel Geld man verdient.<br />
Muss e<strong>in</strong> Theodor-Wolff-Preisträger wie Nikolaus<br />
Blome im Hauptstadtbüro <strong>der</strong> Bild-Zeitung arbeiten?<br />
Muss er nicht. Kann man ihn dafür kritisieren? Kann<br />
man.“ (Jens König, ehem. taz)<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus hat es berufsbezogene Medienkritik<br />
schon deshalb schwer, weil sie sich schlechter vermarkten<br />
lässt als an<strong>der</strong>e Themen. Führende<br />
deutsche Qualitätszeitungen wie Frankfurter Rundschau<br />
o<strong>der</strong> taz haben <strong>in</strong> den vergangenen Jahren<br />
ihre Medienseiten personell ausgedünnt, e<strong>in</strong>ige wie<br />
Die Zeit sogar komplett e<strong>in</strong>gestellt o<strong>der</strong> die redaktionelle<br />
Fe<strong>der</strong>führung <strong>der</strong> Medienberichterstattung<br />
an das Ressort Wirtschaft o<strong>der</strong> Kultur überantwortet<br />
– was viele <strong>der</strong> Befragten vehement kritisieren.<br />
Selbst Der Spiegel, e<strong>in</strong>st Bastion <strong>in</strong>tellektueller Revision<br />
<strong>der</strong> eigenen Branche, verzichtet merkbar auf<br />
medien<strong>in</strong>terne Reizthemen und beschränkt sich vor<br />
allem auf regelmäßige Verrisse des Trash-TV und die<br />
Trockenlegung medienkultureller Feuchtgebiete.<br />
Mart<strong>in</strong> Bialecki (dpa) f<strong>in</strong>det jedoch, dass spätestens<br />
seit <strong>der</strong> Medienkrise 2000/ 2001 e<strong>in</strong>e breite Diskussion<br />
über die Probleme und Missstände im deutschen<br />
Politikjournalismus überfällig geworden seien.<br />
Ihn stört, dass <strong>der</strong> <strong>Journalismus</strong> sich zur Vierten<br />
Gewalt aufschw<strong>in</strong>ge, Journalisten mitunter also<br />
selbst Politik machen wollten: „Vielleicht kl<strong>in</strong>gt das<br />
sehr naiv, aber ich habe mit dem Begriff <strong>der</strong> Vierten<br />
Gewalt immer me<strong>in</strong>e Schwierigkeiten gehabt, denn<br />
wer hat die Medien zu dieser Gewalt legitimiert?“,<br />
fragt Bialecki. Sever<strong>in</strong> Weiland (Spiegel Onl<strong>in</strong>e)<br />
glaubt h<strong>in</strong>gegen, dass etwaige selbstkritische Ansätze<br />
– trotz aller Notwendigkeit – vermutlich auf wenig<br />
Leser<strong>in</strong>teresse stoßen würden: „Als Journalist lese<br />
ich Medienseiten natürlich immer gerne, b<strong>in</strong> mir aber<br />
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