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Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche

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deutschen Presse schneller durch zu den M<strong>in</strong>istern.<br />

Aber die Grundregel ist selbstverständlich folgende:<br />

Wenn es e<strong>in</strong>em Politiker nutzt, dann ist es ihm egal,<br />

wer man ist o<strong>der</strong> für wen man schreibt.“ (Roger<br />

Boyes, The Times)<br />

Auch die „Bauchladenmenschen von <strong>der</strong> Regionalpresse“<br />

(Mart<strong>in</strong> Bialecki, dpa), die im Vergleich zu<br />

den Kollegen <strong>der</strong> überregionalen Redaktionen e<strong>in</strong><br />

überaus hohes Arbeitspensum zu bewältigen haben,<br />

können <strong>Recherche</strong>erfolge verzeichnen, wenn sie die<br />

Potenziale ihrer <strong>Recherche</strong>-<strong>Netzwerk</strong>e bündeln und<br />

effektiv nutzen, wie Dieter Wonka von <strong>der</strong> Leipziger<br />

Volkszeitung. Den Ausschlag geben nichtsdestotrotz<br />

die vorhandenen Arbeitskapazitäten: Freie Journalisten,<br />

die für unterschiedliche Medien arbeiten, können<br />

nach Erfahrung <strong>der</strong> Befragten weniger Ressourcen<br />

für die <strong>Recherche</strong> aufbr<strong>in</strong>gen als ihre Kollegen<br />

<strong>der</strong> großen Medien. Stattdessen s<strong>in</strong>d sie verstärkt<br />

auf die <strong>Recherche</strong>ergebnisse <strong>der</strong> Leitmedien angewiesen<br />

und müssen sich an <strong>der</strong>en Themensetzung<br />

orientieren, um gegebenenfalls eigene Nachrecherchen<br />

unter e<strong>in</strong>em spezifischen Blickw<strong>in</strong>kel zu leisten.<br />

Nico Fried (Süddeutsche Zeitung) sieht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mehrbelastung<br />

das größte H<strong>in</strong><strong>der</strong>nis für die <strong>Recherche</strong>:<br />

„Der News Access ist nicht mehr so schwierig. Der<br />

große Unterschied ist <strong>der</strong> quantitative Aspekt. Wir<br />

haben die größeren Ressourcen und können uns viel<br />

besser auf e<strong>in</strong>zelne Themen o<strong>der</strong> Personen konzentrieren,<br />

während Regionalzeitungen nicht e<strong>in</strong> solch<br />

dickes Büro haben. Wir bei <strong>der</strong> SZ s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> Politik<br />

sechs und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wirtschaft vier Journalisten. E<strong>in</strong><br />

Regionalzeitungsbüro besteht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel aus zwei,<br />

wenn’s hochkommt drei Leuten, die das alles abdecken<br />

müssen. Und die müssen sich natürlich auf<br />

bestimmte Sachen konzentrieren.“ (Nico Fried, Süddeutsche<br />

Zeitung)<br />

Die Redaktionsstärke hat für die <strong>Recherche</strong> aber<br />

möglicherweise auch Nachteile, weil sie das Risiko<br />

e<strong>in</strong>er zu starken Fokussierung bei <strong>der</strong> thematischen<br />

Herangehensweise. Weil Journalisten sich <strong>in</strong> den<br />

großen Redaktionen voll und ganz auf bestimmte<br />

Parteien konzentrieren können, haben sie <strong>in</strong> den<br />

jeweils an<strong>der</strong>en Parteien kaum Kontakte. Hier s<strong>in</strong>d<br />

die Allroun<strong>der</strong> klar im Vorteil, allerd<strong>in</strong>gs wird es dem<br />

Nachwuchs im Nachrichtengeschäft auch nicht gerade<br />

leicht gemacht, aus eigener Kraft Reputation zu<br />

schöpfen. Für die Auskunftsfreudigkeit e<strong>in</strong>es Politikers,<br />

das wird aus den Befragungsergebnissen sehr<br />

deutlich, zählen vor allem <strong>der</strong> publizistische Ruf e<strong>in</strong>es<br />

Mediums und erst <strong>in</strong> zweiter L<strong>in</strong>ie <strong>der</strong> des e<strong>in</strong>zelnen<br />

Journalisten.<br />

Margaret Heckel repräsentiert drei Politikredaktionen<br />

aus dem Axel Spr<strong>in</strong>ger Verlag (Die Welt, Welt am<br />

Sonntag, Berl<strong>in</strong>er Morgenpost), die bereits vor ihrer<br />

Zusammenlegung gewichtig waren. Heckel weiß aus<br />

eigener Erfahrung, dass die Auflage von Zeitungen<br />

beim Zugang zu politischen <strong>Recherche</strong>quellen e<strong>in</strong><br />

wesentliches Kriterium ist: „Mit unserem Verbund<br />

aus Welt, Welt Onl<strong>in</strong>e, Welt am Sonntag, Berl<strong>in</strong>er<br />

Morgenpost und Welt Kompakt können wir jedem<br />

Politiker e<strong>in</strong>e unglaubliche Bühne bieten, egal aus<br />

welchem Lager. Sie erreichen damit über 2,5 Millionen<br />

Leser im Qualitätssegment.“ Für Thomas Wittke<br />

(Bonner General-Anzeiger) liegt es daher auf <strong>der</strong><br />

Hand, dass es <strong>in</strong> den Pressestellen <strong>der</strong> M<strong>in</strong>isterien<br />

und Regierungsbehörden Prioritätenlisten gibt, die<br />

die <strong>Recherche</strong>situation von Regionalzeitungen systematisch<br />

beh<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Deren Denken richte sich noch<br />

immer nach dem Motto „Bild, BamS und Glotze“, so<br />

dass „Regionalzeitungen teilweise bis abends um 19<br />

Uhr o<strong>der</strong> 19.30 Uhr auf ihren Rückruf warten“ müssten.<br />

E<strong>in</strong>e zufrieden stellende Gleichbehandlung <strong>der</strong><br />

Medien auf Ebene <strong>der</strong> Informationsbeschaffung ist<br />

folglich ebenso wenig gewährleistet wie e<strong>in</strong> une<strong>in</strong>geschränkter<br />

kont<strong>in</strong>uierlicher Informationsfluss zwischen<br />

Journalisten und Politikern.<br />

4.4.7. <strong>Recherche</strong>-<strong>Netzwerk</strong>e: Zusammenfassende<br />

Thesen<br />

� Die <strong>Recherche</strong>-<strong>Netzwerk</strong>e s<strong>in</strong>d für politische<br />

Berichterstatter <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> offenbar enger und die<br />

Wege kürzer als <strong>in</strong> Restdeutschland: Oft genügen<br />

Anruf, SMS o<strong>der</strong> Mail an e<strong>in</strong>en Politiker o<strong>der</strong><br />

Kollegen, um an die gewünschten Informationen<br />

zu kommen. Diesen kurzen Draht begünstigen<br />

v.a. die häufigen Begegnungen zwischen Spitzenpolitikern<br />

und so genannten Edelpublizisten<br />

<strong>der</strong> Leitmedien und „Alpha-Journalisten“ <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Berl<strong>in</strong>er Edelgastronomie, z. B. dem Restaurant<br />

Borchardt o<strong>der</strong> dem Café E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong> unter den<br />

L<strong>in</strong>den.<br />

� E<strong>in</strong>e weitere Beson<strong>der</strong>heit <strong>der</strong> Informationsbeschaffung<br />

s<strong>in</strong>d die politischen H<strong>in</strong>tergrundkreise,<br />

die – ähnlich wie zu Bonner Zeiten – dem <strong>in</strong>formellen<br />

Kontakt zwischen Journalisten und Politikern<br />

dienen; dabei geht es weniger um konspirative<br />

Absprachen, son<strong>der</strong>n um den Aufbau e<strong>in</strong>es<br />

gegenseitigen Vertrauensverhältnisses, also<br />

mith<strong>in</strong> darum, den Menschen h<strong>in</strong>ter dem Amt<br />

des Politikers besser e<strong>in</strong>schätzen zu können. Die<br />

Teilnahme an H<strong>in</strong>tergrundkreisen ist durch die<br />

hochselektive Weitergabe vertraulicher Informationen<br />

allerd<strong>in</strong>gs stark vorbelastet: E<strong>in</strong>erseits<br />

stellt sich <strong>in</strong> H<strong>in</strong>tergrundgesprächen e<strong>in</strong>e (ungesunde)<br />

professionelle Nähe gegenüber dem Politiker<br />

und das mulmige Gefühl <strong>der</strong> ‚Mitwisser-<br />

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