Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche
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mend unmöglich zu bestimmen. Der Berl<strong>in</strong>er Politik-<br />
und Medienbetrieb sei schon bald durchsetzt worden<br />
von Schickeria, Sab<strong>in</strong>e Christiansen und Udo Walz,<br />
er<strong>in</strong>nert sich Günter Bannas (FAZ). Es hätten sich<br />
auch die Maßstäbe dessen geän<strong>der</strong>t, was als wissenswert<br />
gilt:<br />
„Im Bonner Milieu waren <strong>der</strong> Bundestagsfrisör o<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Kioskverkäufer am Bundestag auch bekannt, es<br />
gab sogar e<strong>in</strong>en Artikel über sie im Bonner General-<br />
Anzeiger. Doch waren diese Menschen ke<strong>in</strong>e Figuren<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit. In Berl<strong>in</strong><br />
kennt aber je<strong>der</strong> Udo Walz, was natürlich auch daran<br />
liegt, dass er sich selbst zu <strong>in</strong>szenieren weiß.<br />
Doch die Medien machen es mit.“ (Günter Bannas,<br />
FAZ)<br />
Die persönlichen Transitionen, Brüche, Neuausrichtungen<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Auffassung dessen, was sie zu leisten<br />
und bewirken imstande s<strong>in</strong>d, werden von den leitenden<br />
politischen Berichterstattern Berl<strong>in</strong>s nicht<br />
negiert, son<strong>der</strong>n, glaubt man ihren Ausführungen, <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em aktiven Gestaltungsprozess mitbestimmt.<br />
Dabei s<strong>in</strong>d sie zwar nicht vollständig – gemäß dem<br />
Ideal – unabhängig und müssen auf aktuelle Zwänge<br />
reagieren. Doch hilft ihnen die Reflexion ihrer<br />
nicht nur systemisch vorgegebenen, son<strong>der</strong>n vor<br />
allem auch biografisch herzuleitenden Son<strong>der</strong>rolle<br />
als Mediatoren zwischen Politik und allgeme<strong>in</strong>er<br />
Bevölkerung bei <strong>der</strong> Anpassung an neue Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
und Risiken im journalistischen Tagesgeschäft.<br />
Dass dies <strong>in</strong>des nicht immer geleistet werden<br />
kann o<strong>der</strong> will, ist e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>s deutliches Kennzeichen<br />
für den Druck, dem politische Berichterstatter<br />
ausgesetzt s<strong>in</strong>d, und lässt wie im Falle des ehemaligen<br />
Chefredakteurs <strong>der</strong> Frankfurter Rundschau und<br />
jetzigen Senatssprechers von Berl<strong>in</strong>, Richard Meng,<br />
bereits erahnen, mit welchen Problemen <strong>der</strong> Hauptstadtjournalismus<br />
zu kämpfen hat:<br />
„Ich hatte e<strong>in</strong>fach ke<strong>in</strong>e Lust mehr auf den tagesjournalistischen<br />
Alltag. […] Ich habe 25 Jahre lang<br />
Zeitung gemacht – schreibend, manchmal drei bis<br />
vier Texte pro Tag. Ich habe ganze Aktenordner voll<br />
von diesen eigenen ,Werken‘, dazu fünf Bücher geschrieben.<br />
Ich b<strong>in</strong> ganz froh, dass ich jetzt e<strong>in</strong>e etwas<br />
an<strong>der</strong>e Art mittelfristigen Denkens verfolgen<br />
kann. Aktuelle kle<strong>in</strong>e Interviews nebenbei s<strong>in</strong>d ja<br />
nicht ausgeschlossen. Aber sich mal Gedanken machen<br />
zu können, was zum Beispiel <strong>der</strong> Kern des<br />
Images von Berl<strong>in</strong> ist, woh<strong>in</strong> sich die Stadt sich entwickeln<br />
soll, wie es weitergehen wird mit dem Thema<br />
Jugendgewalt: Das s<strong>in</strong>d solche mittelfristigen,<br />
auch medienpolitischen Fragen, zu denen nicht sofort<br />
heute o<strong>der</strong> morgen alles gesagt werden und bis<br />
14 Uhr <strong>der</strong> Artikel im System stehen muss.“ (Richard<br />
Meng, Sprecher des Berl<strong>in</strong>er Senats)<br />
Dass <strong>der</strong> Job des Hauptstadtkorrespondenten auch<br />
Schattenseiten hat und nicht m<strong>in</strong><strong>der</strong> rout<strong>in</strong>egesteuert<br />
ist wie je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e ‚serviceorientierte’ Beruf,<br />
streitet ke<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Gesprächspartner ab. Vielmehr<br />
klafft zwischen ihrer (ursprünglichen) Erwartung<br />
e<strong>in</strong>es abenteuerlichen Nomaden-Dase<strong>in</strong>s und<br />
<strong>der</strong> aktuellen Berufspraxis, die vor allem durch Zeitnot,<br />
Exklusivitätsdruck und <strong>in</strong>termedialem Konkurrenzkampf<br />
geprägt ist, e<strong>in</strong>e größere Lücke, als sie<br />
sich die meisten Korrespondenten zu Beg<strong>in</strong>n ihrer<br />
Karriere erträumt haben. Den nervenaufreibenden<br />
Stress des Alltagsgeschäfts <strong>in</strong> Kauf nehmend, reklamieren<br />
die Korrespondenten aber e<strong>in</strong>e Eigenschaft<br />
für sich: <strong>in</strong> ihrer Rolle als Chronisten und Kommentatoren<br />
des Politischen bedeutend zu se<strong>in</strong>, zum<strong>in</strong>dest<br />
bedeuten<strong>der</strong> als die meisten Journalisten an<strong>der</strong>er<br />
Ressorts. Auch deshalb wurde Berl<strong>in</strong> zur heimlichen<br />
Geburtstätte e<strong>in</strong>es neuen Selbstwertgefühls:<br />
dem „Alpha-<strong>Journalismus</strong>“.<br />
4.1.3. Das Phänomen „Alpha-<strong>Journalismus</strong>“:<br />
Kir Royal <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>?<br />
Journalisten und beson<strong>der</strong>s Hauptstadtkorrespondenten,<br />
da gibt es unter den Befragten kaum Zweifel,<br />
s<strong>in</strong>d wichtig: Sie stehen im Dienst <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />
und s<strong>in</strong>d selbst Bestandteil <strong>der</strong> politischen<br />
Kommunikation, weil sie vergleichsweise abstrakte<br />
Entscheidungen für das breite Publikum durchleuchten<br />
und somit die Teilhabe <strong>der</strong> Bürger <strong>in</strong> <strong>der</strong> Demokratie<br />
<strong>in</strong>sgesamt stärken. Politikjournalisten s<strong>in</strong>d also<br />
nach eigenem Selbstverständnis Chronisten und<br />
Pädagogen zugleich – zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> <strong>der</strong> Quersumme<br />
ihrer Antworten: Sie wollen <strong>in</strong>formieren und unterrichten,<br />
erklären und aufklären. Ob sie dabei als<br />
Individuen für die Leser, Hörer o<strong>der</strong> Zuschauer<br />
kenntlich werden, ist für sie (nach eigener Aussage)<br />
unbedeutend. Sich auf die Rolle e<strong>in</strong>es unauffälligen<br />
Zaungasts im politischen Betrieb zu reduzieren, gel<strong>in</strong>gt<br />
den meisten dann aber offenbar doch nicht<br />
ganz: Vielmehr entfalten sie als politische Kommentatoren,<br />
Leitartikler und Mo<strong>der</strong>atoren (ungewollt)<br />
geballte Me<strong>in</strong>ungsmacht, ihre exponierte Position<br />
<strong>in</strong>nerhalb des Berufsfeldes verleiht ihnen zugleich<br />
e<strong>in</strong>e enorme gesellschaftliche Leitfunktion.<br />
Tissy Bruns vom Tagesspiegel erkennt im hektischen<br />
Treiben des Hauptstadtjournalismus m<strong>in</strong>destens<br />
zwei Journalistentypen: „Alpha-Journalisten“ und so<br />
genannte „Medienbrötler“, also die Kaviarlöffler und<br />
die Pumpernickelbeißer <strong>der</strong> Branche. Der Unterschied<br />
lasse sich relativ leicht daran ablesen, dass<br />
zum Beispiel kul<strong>in</strong>arische Szenetreffs wie das Café<br />
E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong> unter den L<strong>in</strong>den o<strong>der</strong> das Restaurant Borchardt<br />
99 Prozent aller Hauptstadtjournalisten unbe-<br />
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