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Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche

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„Natürlich gehen wir auch mal unter Kollegen nach<br />

e<strong>in</strong>er Pressekonferenz geme<strong>in</strong>sam weg und sagen<br />

e<strong>in</strong>vernehmlich, wie schrecklich die war. Das heißt<br />

aber nicht, dass man dasselbe schreibt. Ich glaube<br />

nicht, dass unter Kollegen e<strong>in</strong> wirklicher Sp<strong>in</strong> entsteht.<br />

Am Beispiel <strong>der</strong> Diskussion um die Verlängerung<br />

des Arbeitslosengeldes I lässt sich erkennen,<br />

wie unterschiedlich und differenziert die Kommentierungen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> deutschen Presselandschaft waren.<br />

Etwas an<strong>der</strong>s verhält es sich bei Großereignissen,<br />

wo sich Journalisten auch untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> viel austauschen<br />

wie bei e<strong>in</strong>er Bundestagsdebatte o<strong>der</strong> auf<br />

Parteitagen. Wenn ich e<strong>in</strong>e Rede von Frau Merkel<br />

schlecht fand, aber zehn Kollegen sagen, wie toll die<br />

Rede war, dann werde ich natürlich auch nachdenklich.“<br />

(Nico Fried, Süddeutsche Zeitung)<br />

Inwiefern diese „Nachdenklichkeit“ tatsächlich zur<br />

Verschwiegenheit – o<strong>der</strong> besser: Verschworenheit –<br />

des politischen Beobachters führt o<strong>der</strong> sie ihn dazu<br />

animiert, die eigene Position zu überdenken, zu<br />

relativieren o<strong>der</strong> sich aus Überzeugung ganz <strong>der</strong><br />

Kollegenme<strong>in</strong>ung anzuschließen, s<strong>in</strong>d Aspekte, die<br />

an dieser Stelle nicht geklärt werden können. Es<br />

kann jedoch zusammenfassend festgehalten werden,<br />

dass aufseiten <strong>der</strong> Hauptstadtjournalisten <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Themensetzung und zu bestimmten Anlässen<br />

auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kommentierung e<strong>in</strong>e Art ‚Schweigespiralen-Effekt’<br />

greift, auf den im publizistischen Ergebnis<br />

e<strong>in</strong>e verstärkte journalistische Selbstreferentialität<br />

und Unterdrückung devianter Ausdeutungen <strong>der</strong><br />

politischen Realität folgt.<br />

4.2.1.3. Selbstreferentialität<br />

Regelmäßig auf das Angebot des eigenen Zeitungsverlags<br />

o<strong>der</strong> Fernsehsen<strong>der</strong>s h<strong>in</strong>zuweisen und mit<br />

<strong>der</strong> eigenen Prom<strong>in</strong>enz ungezwungen umzugehen,<br />

ist unter Berl<strong>in</strong>er Berichterstattern gang und gäbe.<br />

Mit dieser zunehmenden „Selbstreferentialität“ wird<br />

es allerd<strong>in</strong>gs immer schwieriger herauszuf<strong>in</strong>den,<br />

welche Themen tatsächlich politische Relevanz besitzen.<br />

Wer sich mit e<strong>in</strong>er schnellen Meldung schlagartig<br />

<strong>in</strong> die öffentliche Diskussion e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen kann,<br />

erntet oft mehr Anerkennung als <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> ausgiebig<br />

und nachhaltig recherchiert – und dann möglicherweise<br />

doch nicht zum Zuge kommt (vgl. Kap.<br />

4.4 <strong>Recherche</strong>). Als Folge beobachtet Gunter Hofmann<br />

(Die Zeit) e<strong>in</strong>en professionellen S<strong>in</strong>neswandel<br />

h<strong>in</strong> zum ‚Erregungsjournalismus’:<br />

„Heute gibt es wahns<strong>in</strong>nig viele Egos, es gibt e<strong>in</strong><br />

sehr großes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und<br />

Aus-dem-Rahmen-fallen. Man kämpft auf dem Markt<br />

um Anteile und das am ansche<strong>in</strong>end besten damit,<br />

dass man Tabus bricht o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e schräge Me<strong>in</strong>ung<br />

hat, aber lei<strong>der</strong> nicht mehr, <strong>in</strong>dem man sich <strong>in</strong> diese<br />

Art von Selbstverständigungsprozess h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> begibt<br />

und ernsthaft e<strong>in</strong>e Position vertritt, an <strong>der</strong> man die<br />

Politik des Landes misst. Dar<strong>in</strong> spiegelte sich Mitverantwortung<br />

wi<strong>der</strong>. Stattdessen <strong>der</strong> Aufmerksamkeitskampf,<br />

<strong>der</strong> dann schnell zum Selbstzweck wird,<br />

und die Medien werden dadurch selbstreferenziell.“<br />

(Gunter Hofmann, Die Zeit)<br />

Diese selbstreferenzielle Effekthascherei wird von<br />

den meisten <strong>der</strong> Befragten erkannt und beklagt,<br />

wenn auch <strong>in</strong> unterschiedlichen Akzentuierungen.<br />

Michael Donnermeyer (IZ Klima) moniert zum Beispiel<br />

eher e<strong>in</strong>e generelle Selbstbezogenheit <strong>in</strong>nerhalb<br />

<strong>der</strong> aktuellen Berichterstattung und sieht dar<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e Begründung, warum sich <strong>der</strong> <strong>Journalismus</strong> immer<br />

weiter von <strong>der</strong> Lebenswirklichkeit <strong>der</strong> Leser<br />

entferne. Gerhard Hofmann (ehem. RTL/ n-tv) me<strong>in</strong>t<br />

h<strong>in</strong>gegen, dass durch den Geltungsdrang e<strong>in</strong>zelner<br />

Journalisten-Promis politische Sachverhalte und<br />

Prozesse zwangsläufig <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund rückten<br />

und für die Agenda irrelevanter zu werden drohten.<br />

An solchen Beobachtungen setzt auch die For<strong>der</strong>ung<br />

von Carsten Lietz (Reuters) an:<br />

„Etwas weniger Show würde aus me<strong>in</strong>er persönlichen<br />

Sicht allen gut tun. Alle sollten sich etwas mehr<br />

auf Inhalte konzentrieren. Botschaften sollten etwas<br />

mehr h<strong>in</strong>terfragt werden. Denn häufig ist dasselbe<br />

schon mal von jemand an<strong>der</strong>es gesagt worden. Es<br />

sollten weniger öffentliche Statements verkauft werden,<br />

stattdessen sollte man genauer <strong>in</strong> die tatsächlichen<br />

Papiere h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>schauen. Das würde <strong>der</strong> Qualität<br />

<strong>in</strong>sgesamt helfen.“ (Carsten Lietz, Reuters)<br />

Dass e<strong>in</strong>e solche For<strong>der</strong>ung nach „etwas weniger<br />

Show“ von e<strong>in</strong>em leitenden Agenturjournalisten<br />

kommt, ist ke<strong>in</strong> Wi<strong>der</strong>spruch – zum<strong>in</strong>dest legt auch<br />

unser Gespräch mit Mart<strong>in</strong> Bialecki (dpa) nahe, dass<br />

mit <strong>der</strong> Agenturrolle nicht zw<strong>in</strong>gend e<strong>in</strong> nachhaltiges<br />

Agenda Sett<strong>in</strong>g bzw. Agenda Cutt<strong>in</strong>g verbunden sei:<br />

„Wir werden manchmal gezwungen, Berichterstattung<br />

nur deswegen zu machen, um die Luft aus<br />

e<strong>in</strong>em Thema herauszulassen.“ Dennoch s<strong>in</strong>d die<br />

Agenturen nach Aussagen e<strong>in</strong>iger Befragter e<strong>in</strong><br />

wichtiges „Grundgerüst im Alltagsgeschäft“ (Günter<br />

Bannas, FAZ) <strong>der</strong> Korrespondenten, vor allem dienen<br />

sie als Antriebsfe<strong>der</strong> für die teilweise undurchsichtigen<br />

Themenkonjunkturen und Eigendynamiken<br />

<strong>der</strong> Politikberichterstattung, die Berl<strong>in</strong>s Senatssprecher<br />

Richard Meng abschätzig „Laufrad“ und „Mühle“<br />

nennt.<br />

Die Entscheidung, ob e<strong>in</strong> Thema mehrere Wochen<br />

überdauert o<strong>der</strong> die Lebenserwartung e<strong>in</strong>er „E<strong>in</strong>tagsfliege“<br />

(Carsten Lietz) hat, stellt auch die politi-<br />

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