Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche
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Establishment zu Studienseiten rekurriert. Medienund<br />
Kommunikationsberater Michael Spreng, Klima-<br />
Lobbyist Michael Donnermeyer und die Sprecher<br />
Ulrike H<strong>in</strong>richs, Lars Kühn, Richard Meng und Christopher<br />
Schmitz beobachteten das Lager <strong>der</strong> politisch<br />
Handelnden teils jahrzehntelang, bevor sie dort e<strong>in</strong>zogen.<br />
Donnermeyer erklärt, er habe den Berufswunsch<br />
des Journalisten immer als vorrangig bewertet,<br />
auch als er sich bereits als Parteimitglied <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
SPD engagierte. Umso schwerer traf es den gebürtigen<br />
Westfalen, dass ihn die Branche für befangen<br />
hielt und als untauglich stigmatisierte, <strong>in</strong>dem sie se<strong>in</strong><br />
parteipolitisches Bekenntnis nachträglich zu e<strong>in</strong>er<br />
schicksalhaften Entscheidung stilisierte. Auch heute<br />
noch ist Donnermeyer überzeugt davon, dass <strong>der</strong><br />
Wechsel vom <strong>Journalismus</strong> <strong>in</strong> die Öffentlichkeitsarbeit<br />
e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>bahnstraße ist:<br />
„Es gibt den Weg vom <strong>Journalismus</strong> <strong>in</strong> die Politik, so<br />
wie das jetzt auch bei Herrn Meng <strong>der</strong> Fall ist, aber<br />
<strong>der</strong> wird nie wie<strong>der</strong> zurückkommen <strong>in</strong> den <strong>Journalismus</strong><br />
<strong>in</strong> Deutschland, weil verme<strong>in</strong>tlich geglaubt<br />
wird, dass Leute, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Politik s<strong>in</strong>d, nicht mehr<br />
dem Berufsideal e<strong>in</strong>es ,unabhängigen, neutralen,<br />
objektiven‘ Journalisten entsprechen können, was<br />
großer Blöds<strong>in</strong>n ist. Ich gebe ja me<strong>in</strong>en Verstand<br />
nicht ab, wenn ich Regierungssprecher werde o<strong>der</strong><br />
für e<strong>in</strong>e Partei arbeite. Das Wissen über Interna von<br />
Regierung und Partei, was deutsche Redaktionen<br />
bloß liegen lassen, weil sie nach e<strong>in</strong>em falschen,<br />
vor<strong>der</strong>gründigen Ethos handeln, wäre von gewaltigem<br />
Nutzen. Viele Fehle<strong>in</strong>schätzungen über die politische<br />
Arbeit könnten vermieden werden, wenn man<br />
mehr Menschen <strong>in</strong> den Redaktionen hätte, die den<br />
Betrieb auch von <strong>in</strong>nen kennen.“ (Michael Donnermeyer,<br />
IZ Klima)<br />
Auch M<strong>in</strong>isteriumssprecher<strong>in</strong> Ulrike H<strong>in</strong>richs hielt<br />
man den moralischen Zeigef<strong>in</strong>ger vor, als sie sich<br />
von ihrem Reporterjob beim ZDF verabschiedete und<br />
<strong>in</strong> den Mitarbeiterstab von Horst Seehofer wechselte,<br />
um fortan die Pressearbeit des Bundesm<strong>in</strong>isteriums<br />
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz<br />
zu leiten: „Da wurde dann die Frage <strong>der</strong><br />
Unabhängigkeit <strong>in</strong>s Feld geführt, wie ich überhaupt<br />
unabhängig bleiben und irgendwann mal wie<strong>der</strong> als<br />
Journalist<strong>in</strong> arbeiten könne“, sagt H<strong>in</strong>richs. Sie<br />
glaubt aber hartnäckig daran, dass ihre Chancen auf<br />
e<strong>in</strong>e Rückkehr <strong>in</strong> den <strong>Journalismus</strong>, sollte sie sich<br />
e<strong>in</strong>mal dafür entscheiden, sogar noch steigen werden.<br />
Schließlich sei sie <strong>in</strong> ihrer jetzigen Position<br />
unabhängiger denn je, da sie größtenteils Sachthemen<br />
kommuniziere und ke<strong>in</strong>e Parteipolitik mache.<br />
Solche Hoffnungen auf e<strong>in</strong> Comeback werden befeuert<br />
durch e<strong>in</strong>ige erwähnte Fälle, wo <strong>der</strong> Weg<br />
zurück <strong>in</strong> die Redaktion geglückt ist: Dem ehemaligen<br />
Sprecher <strong>der</strong> CDU-Bundesgeschäftsstelle Arne<br />
Delfs gelang <strong>der</strong> Sprung auf den Büroleitersessel <strong>der</strong><br />
Nachrichtenagentur ddp <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>. Malte Kreutzfeld,<br />
engagierter Mitarbeiter <strong>der</strong> globalisierungskritischen<br />
Organisation Attac und Sprecher <strong>der</strong> Bundestagsfraktion<br />
<strong>der</strong> L<strong>in</strong>ken, wechselte <strong>in</strong> die Wirtschaftsredaktion<br />
<strong>der</strong> taz. Und Daniel Goffart, PR-Mann <strong>der</strong><br />
Telekom, wurde vom Düsseldorfer Handelsblatt<br />
,rehabilitiert’.<br />
Nichtsdestotrotz werden Rückfahrkarten nur selten<br />
e<strong>in</strong>gelöst: Wer dem <strong>Journalismus</strong> bewusst den<br />
Rücken kehrt, um sich für die Interessen von Politik<br />
o<strong>der</strong> Wirtschaft e<strong>in</strong>zusetzen, weiß <strong>in</strong>st<strong>in</strong>ktiv, dass<br />
dieser Schritt angesichts <strong>der</strong> Abkehr von den Idealen<br />
journalistischer Unabhängigkeit und Interessensneutralität<br />
unter Kollegen häufig als e<strong>in</strong> ‚Überlaufen<br />
<strong>in</strong>s Fe<strong>in</strong>deslager’ gewertet wird. Wer es dennoch<br />
versucht, muss mit Akzeptanzproblemen rechnen,<br />
kommt meist erst über Umwege durch Lokalredaktionen<br />
und Nachrichtenagenturen wie<strong>der</strong> zurück <strong>in</strong><br />
den alten Beruf, um den Stallgeruch <strong>der</strong> Parteienpolitik<br />
loszuwerden. Christoph Schmitz, vormals Bild-<br />
Reporter und jetzt Fraktionssprecher bei Bündnis90/<br />
Grünen, sieht dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Möglichkeit, wie<strong>der</strong> unbeschadet<br />
im <strong>Journalismus</strong> zu arbeiten:<br />
„Gerade als Pressesprecher e<strong>in</strong>er Bundestagsfraktion<br />
muss man e<strong>in</strong>e klare politische Position vertreten.<br />
Me<strong>in</strong>er Ansicht nach verträgt sich dieses Sprechen<br />
für dezidierte politische Inhalte nicht mit den Ansprüchen<br />
an umfassende objektive politische Berichterstattung<br />
– we<strong>der</strong> mit me<strong>in</strong>em eigenen Anspruch,<br />
noch <strong>der</strong> berechtigten Erwartung e<strong>in</strong>er Redaktion<br />
und ihrer Leser.“ (Christoph Schmitz, Bündnis90/<br />
Die Grünen)<br />
Jürgen Hogrefe dagegen warnt <strong>in</strong>ständig vor Vorverurteilungen.<br />
E<strong>in</strong>stmals war er langjähriger Redakteur<br />
im Deutschland-Ressort des Spiegel, zwischenzeitlich<br />
bei den Grünen als Sprecher im Nie<strong>der</strong>sächsischen<br />
Landtag tätig und arbeitet nun als Generalbevollmächtigter<br />
für die Interessen des Stromkonzerns<br />
EnBW. Die Wechslerproblematik hält er für<br />
unnötig dramatisiert: „Diese ,Crossover‘ von <strong>Journalismus</strong><br />
<strong>in</strong> die Wirtschaft und zurück sollten viel häufiger<br />
stattf<strong>in</strong>den. Es wäre für alle zum Vorteil“, me<strong>in</strong>t<br />
Hogrefe und schließt zwar e<strong>in</strong>e Rückkehr <strong>in</strong> die Politik<br />
aus, nicht aber <strong>in</strong> den <strong>Journalismus</strong>. Fernsehreporter<br />
Gerhard Hofmann hält von <strong>der</strong> Tolerierung<br />
e<strong>in</strong>er solchen Job-Flexibilität re<strong>in</strong> gar nichts –<br />
obgleich er nach se<strong>in</strong>em Fortgang bei RTL/ n-tv seit<br />
kurzem selbst als Lobbyist bei <strong>der</strong> City Solar AG mit<br />
Sitz <strong>in</strong> Bad Kreuznach anheuerte. Für sich selbst<br />
hatte er noch während se<strong>in</strong>er Zeit als Journalist<br />
grundsätzlich jedes Engagement für parteipolitische<br />
Zwecke von vornhere<strong>in</strong> ausgeschlossen, weil dies<br />
mit dem journalistischen Ethos nicht vere<strong>in</strong>bar sei:<br />
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