Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche
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<strong>in</strong> Ordnung ist.“ (Dieter Wonka, Leipziger Volkszeitung)<br />
Doch auch abseits von Privataffären und Skandalen<br />
s<strong>in</strong>d manche Hauptstadtjournalisten wie Peter Frey<br />
(ZDF) sogar generell dafür, den Menschen h<strong>in</strong>ter<br />
dem Amt besser kennen zu lernen: „Natürlich hat<br />
man als Bürger e<strong>in</strong> Anrecht und auch e<strong>in</strong> Interesse<br />
daran, wie <strong>der</strong> Mensch eigentlich ist. Wie ist er im<br />
H<strong>in</strong>tergrund? Wie ist se<strong>in</strong>e ethische E<strong>in</strong>stellung?“<br />
Das Privatleben wird – vor allem seit <strong>der</strong> Pool-Affäre<br />
um Rudolf Scharp<strong>in</strong>g und se<strong>in</strong>er schönen Gräf<strong>in</strong> –<br />
damit zu e<strong>in</strong>em zentralen <strong>Recherche</strong>bereich, <strong>der</strong> von<br />
manchen Politikern durch ihre Bereitschaft für Homestories<br />
und <strong>der</strong>gleichen noch beför<strong>der</strong>t wird:<br />
„Mittlerweile gibt es fast ke<strong>in</strong>en Politiker mehr, <strong>der</strong><br />
ke<strong>in</strong>e Homestory macht. E<strong>in</strong>ige gehen mit ihren<br />
Geschichten sogar selber zum Beispiel zur Bild, um<br />
den Sp<strong>in</strong> bee<strong>in</strong>flussen zu können. In me<strong>in</strong>en Augen<br />
kam <strong>der</strong> Tabubruch mit Rudolf Scharp<strong>in</strong>g und se<strong>in</strong>en<br />
Planschfotos im Stern. Damals hat er e<strong>in</strong>e Grenze<br />
überschritten, die stilbildend wurde.“ (Brigitte Fehrle,<br />
Die Zeit)<br />
Auch Holger Schmale (Berl<strong>in</strong>er Zeitung) ist <strong>der</strong> Ansicht,<br />
dass das Privatleben von Politikern heute von<br />
den Medien ganz an<strong>der</strong>s aufgegriffen werde, „was<br />
aber häufig auch damit zusammenhängt, dass Politiker<br />
ihr Privatleben selbst viel offener thematisieren“.<br />
E<strong>in</strong> Problem hierbei sei, dass sich auch seriöse Qualitätsmedien<br />
dieser Tendenz nicht entziehen könnten:<br />
„Das probate Argument dafür ist die verme<strong>in</strong>tliche<br />
Lust des Lesers an solcher Berichterstattung.“<br />
(Holger Schmale, Berl<strong>in</strong>er Zeitung)<br />
Das Spiel mit dem Privatleben von Politikern kennt<br />
allerd<strong>in</strong>gs klare (juristische) Grenzen: <strong>Recherche</strong>n<br />
über das Privatleben von Klaus Wowereit beispielsweise,<br />
dessen öffentliches Out<strong>in</strong>g ihm zu se<strong>in</strong>em<br />
liberalen Medienimage („Berl<strong>in</strong> ist arm, aber sexy“)<br />
verholfen hat, werden rechtlich streng verfolgt: „Da<br />
wurde klar gemacht: Wenn irgendjemand veröffentlicht,<br />
wo ich wohne, gibt es Klagen. Und das hat<br />
auch noch ke<strong>in</strong>er gemacht“, Michael Donnermeyer<br />
(IZ Klima, ehem. Senatssprecher). Gilt gleiches<br />
Recht auch für Journalisten? Zum<strong>in</strong>dest geraten<br />
auch die Partnerschaften <strong>der</strong> Medienprom<strong>in</strong>enz zunehmend<br />
<strong>in</strong>s Blickfeld <strong>der</strong> Nachrichtenagenturen,<br />
etwa das Liebesgespann Maybrit Illner (ZDF) und<br />
Telekomchef René Obermann o<strong>der</strong> die Beziehung<br />
von ARD-Mo<strong>der</strong>ator<strong>in</strong> Anne Will und ihrer Partner<strong>in</strong>,<br />
<strong>der</strong> Medienökonom<strong>in</strong> Miriam Meckel:<br />
„Wir hätten mit <strong>der</strong> exklusiven Veröffentlichung <strong>der</strong><br />
sexuellen Neigungen von Frau Will e<strong>in</strong>en Achtungserfolg<br />
verbuchen können, wenn wir das als wertneutrales<br />
Wort verstehen. Aber ich persönlich b<strong>in</strong><br />
nicht scharf darauf, solche Achtungserfolge zu erzielen.“<br />
(Thomas Rietig, AP)<br />
4.4.6. Ungleichbehandlung im Informationszugang<br />
In <strong>der</strong> bisherigen Analyse <strong>der</strong> <strong>Recherche</strong>situation<br />
wurde deutlich, dass die Qualität des Informationszugangs<br />
<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> sowohl von <strong>in</strong>formellen Kontakten<br />
als auch von <strong>der</strong> f<strong>in</strong>anziellen und personellen Ausstattung<br />
<strong>der</strong> Redaktionen abhängt. Folgerichtig identifizieren<br />
die Befragten die Ungleichbehandlung<br />
überregionaler und regionaler Medien als weiteres<br />
<strong>Recherche</strong>defizit: Die <strong>in</strong> Journalistenschulen und auf<br />
Medientagungen vertretenen <strong>Recherche</strong>regeln s<strong>in</strong>d<br />
nach ihren Schil<strong>der</strong>ungen kaum zu befolgen, wenn<br />
bei enger werdenden Zeitressourcen und gekürzten<br />
Redaktionsetats gearbeitet werden muss. Warum<br />
sich <strong>in</strong>vestigative <strong>Recherche</strong>n gerade bei Regionalzeitungen<br />
als schwierig gestalten, erklärt Thomas<br />
Wittke (Bonner General-Anzeiger):<br />
„Das Pochen auf den Status <strong>der</strong> Exklusivrecherche<br />
wirkt für Kollegen von Regionalzeitungen zunehmend<br />
abstoßend, weil […] an<strong>der</strong>e dafür bezahlt<br />
werden und alle Instrumente dafür zur Verfügung<br />
gestellt bekommen, um diese Form von <strong>Recherche</strong><br />
leisten zu können, während unser Alltag zunehmend<br />
dar<strong>in</strong> besteht, dass wir Tagesaktualität abbuchstabieren<br />
müssen.“ (Thomas Wittke, Bonner General-<br />
Anzeiger)<br />
Dennoch haben es selbst die durch Personalmangel<br />
notorisch überlasteten Korrespondenten <strong>der</strong> Regionalpresse<br />
<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> besser als Kollegen mit gleichem<br />
Status <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Hauptstädten <strong>der</strong> Welt: Beispielsweise<br />
haben die Wash<strong>in</strong>gtoner White House Press<br />
und die im britischen House of Parliament akkreditierten<br />
Journalisten e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>stitutionellen <strong>Recherche</strong>vorsprung<br />
gegenüber <strong>der</strong> Medienkonkurrenz, die<br />
ke<strong>in</strong>en <strong>der</strong> heiß begehrten Plätze err<strong>in</strong>gt. Diese Korrespondenten<br />
s<strong>in</strong>d daher auch gezielte Anlaufpunkte<br />
für Politiker, aber auch an<strong>der</strong>e Interessensvertretern.<br />
Dagegen herrscht <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> auf den ersten Blick<br />
so etwas wie Chancengleichheit: Je<strong>der</strong> Politiker, jede<br />
Pressestelle entscheidet schließlich selbst, welche<br />
Anfrage sie beantwortet. Entscheidend ist hierbei<br />
allerd<strong>in</strong>gs oft die Bekanntheit des Journalisten – so<br />
Roger Boyes (The Times):<br />
„Ich habe aber e<strong>in</strong>en gewissen Bekanntheitsgrad,<br />
was beim Zugang e<strong>in</strong> wenig hilft. Ich dr<strong>in</strong>ge durch<br />
me<strong>in</strong>e Kolumne und wegen me<strong>in</strong>er Beiträge <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
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