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Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche

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o<strong>der</strong> den Spiegel dazu, von ihren Geschäftsmodellen<br />

<strong>der</strong> kostenpflichtigen Archiv-Verwertung Abstand zu<br />

nehmen. Nach Me<strong>in</strong>ung <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Korrespondenten<br />

hat die schrankenlose Informationsfreiheit <strong>in</strong>des<br />

auch e<strong>in</strong>en hohen Preis: die Existenz gedruckter<br />

Angebote aus den Qualitätszeitungen, die nun mal<br />

auf zahlungswillige Leser angewiesen s<strong>in</strong>d.<br />

„Bei Spiegel Onl<strong>in</strong>e kommt man umsonst re<strong>in</strong>, bei<br />

Google sowieso und darüber <strong>in</strong>s ganze Netz. Wenn<br />

sich diese Auffassung über weitere Jahrzehnte kräftigen<br />

sollte, wird <strong>in</strong> Frage gestellt, ob man sich noch<br />

Zeitungen kaufen muss.“ (Günter Bannas, FAZ)<br />

Dieser Logik zufolge nehmen die Rezipienten also<br />

über das verän<strong>der</strong>te Nutzungsverhalten mittelbaren<br />

E<strong>in</strong>fluss auf die F<strong>in</strong>anzierung journalistischer Inhalte,<br />

<strong>in</strong>dem sie den Aufmerksamkeitswettbewerb verschärfen<br />

und die Journalisten sich nicht an<strong>der</strong>s zu<br />

helfen wissen, als den Leser nach allen Regeln <strong>der</strong><br />

Kunst zu umgarnen – notfalls mit kostenlosen Informationshäppchen.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus wird auch die<br />

direkte E<strong>in</strong>flussnahme <strong>der</strong> Rezipienten zunehmend<br />

virulent – Bürgerjournalismus und Blogg<strong>in</strong>g s<strong>in</strong>d hier<br />

die Stichworte. Noch sehen die Hauptstadtjournalisten<br />

<strong>in</strong> den Gehversuchen <strong>der</strong> Laien zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong><br />

Deutschland aber noch ke<strong>in</strong>e ernsthafte Konkurrenz:<br />

„In Deutschland wird es auch noch dauern, bis Blogs<br />

ähnlich e<strong>in</strong>flussreich werden wie Zeitungen. Ich<br />

glaube nicht, dass Blogs e<strong>in</strong>e Öffentlichkeit darstellen,<br />

die die traditionelle Öffentlichkeit überlagert“,<br />

sagt Brigitte Fehrle (Zeit). Erfolgversprechen<strong>der</strong><br />

kl<strong>in</strong>gt da für e<strong>in</strong>ige schon eher <strong>der</strong> E<strong>in</strong>satz <strong>der</strong> webbasierten<br />

Infrastruktur zur Interaktion mit den Lesern.<br />

So könnten von Journalisten betriebene Blogs<br />

als Aufklärungs<strong>in</strong>strumente dienen:<br />

„Ich denke […], dass Blogs erst dann e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressante<br />

Funktion bekommen, wenn man durch sie mit<br />

den Lesern über die Zeitung spricht, warum wir<br />

welche Themen wie machen o<strong>der</strong> auch nicht machen.<br />

Das ist dann auch beson<strong>der</strong>s nützlich für die<br />

Zeitung. Ich f<strong>in</strong>de es falsch, an dieser Stelle<br />

furchtsam zu se<strong>in</strong>, denn für den Leser ist es me<strong>in</strong>er<br />

Me<strong>in</strong>ung nach sehr <strong>in</strong>teressant zu lesen, wie e<strong>in</strong>e<br />

Zeitung o<strong>der</strong> wie e<strong>in</strong>e Redaktion denkt. […] Wir<br />

hatten im November 2007 e<strong>in</strong> großes Interview mit<br />

Frau Merkel. Das habe ich zum Anlass genommen,<br />

im Blog darüber zu schreiben, wie solche Interviews<br />

entstehen, also die ganze Autorisierungsproblematik.<br />

Das hätte ich eigentlich lieber noch viel <strong>in</strong>tensiver<br />

gemacht. Und wir hatten hier im Hause e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive<br />

Debatte, als damals die mutmaßlichen Attentäter<br />

im Saarland festgenommen wurden, ob man die mit<br />

ihrem Klargesicht o<strong>der</strong> verpixelt zeigt.“ (Holger<br />

Schmale, Berl<strong>in</strong>er Zeitung)<br />

Auch die klassische Form des Leseraustauschs durch<br />

Leserbriefe wurde durch die neuen Kommentarmöglichkeiten<br />

im Internet bisweilen fast vollständig<br />

kompensiert – was von den Hauptstadtjournalisten<br />

jedoch unterschiedlich bewertet wird: Während die<br />

e<strong>in</strong>en wie etwa Henn<strong>in</strong>g Krumrey (Focus) dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

simplere Möglichkeit als etwa den Briefwechsel o<strong>der</strong><br />

das Telefongespräch sehen, um mit den Rezipienten<br />

direkt <strong>in</strong> Kontakt zu treten und dabei zugleich Anregungen<br />

für die Themenf<strong>in</strong>dung zu sammeln, bezweifeln<br />

an<strong>der</strong>e wie Christoph Schwennicke (Der Spiegel)<br />

die Seriosität <strong>der</strong> Leseräußerungen und fürchten<br />

nicht nur e<strong>in</strong>en Missbrauch <strong>der</strong> Kommentarfunktion,<br />

son<strong>der</strong>n auch e<strong>in</strong>e langfristige Beschädigung <strong>der</strong><br />

Marke:<br />

„E<strong>in</strong>erseits ist das e<strong>in</strong> sehr belebendes Element, aber<br />

an<strong>der</strong>erseits läuft da teilweise e<strong>in</strong> Zeug, dass man<br />

sich fragen muss, ob man das guten Gewissens<br />

unter <strong>der</strong> Marke Spiegel laufen lassen kann. Bei <strong>der</strong><br />

Süddeutschen Zeitung hatten wir dann diese Netiquette-Regeln<br />

e<strong>in</strong>geführt, wo es dann aber immer<br />

e<strong>in</strong> Riesen-Bohei gibt von wegen Zensur und das sei<br />

ja wie damals bei … und so weiter.“ (Christoph<br />

Schwennicke, Der Spiegel)<br />

Auch Nico Fried (Süddeutsche Zeitung) zeigt sich<br />

enttäuscht von den Leserkommentaren im Internet.<br />

Se<strong>in</strong>e ursprüngliche Hoffnung, dass sich auf diese<br />

Weise e<strong>in</strong>e wirksame Gegenkontrolle zum <strong>Journalismus</strong><br />

(die e<strong>in</strong>zige <strong>der</strong> „vier Gewalten“ ohne <strong>in</strong>stitutionalisiertes<br />

Korrektiv) etablieren könnte, habe er<br />

schnell verworfen: Zu selten präsentierten die Nutzer<br />

tatsächlich Fakten, zu häufig führten sie Ideologiedebatten.<br />

Nichtsdestoweniger ermöglicht <strong>der</strong><br />

virtuelle Rückkanal e<strong>in</strong> kritisches Forum: E<strong>in</strong> wichtiges<br />

Korrektiv, dem sich <strong>der</strong> Hauptstadtjournalismus<br />

wegen des Mangels an zuverlässiger Selbstkontrolle<br />

(vgl. 4.1) nicht verschließen sollte.<br />

Die Hauptstadtjournalisten orientieren sich <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Themenf<strong>in</strong>dung und -setzung nach wie vor größtenteils<br />

an den konventionellen Leitmustern <strong>der</strong> Politikberichterstattung<br />

– allerd<strong>in</strong>gs nicht ohne Tendenzen<br />

zu beklagen, die das quasi-<strong>in</strong>stitutionelle Gleichgewicht<br />

von Me<strong>in</strong>ungsführern wie Spiegel, Bild, FAZ<br />

o<strong>der</strong> Süddeutsche Zeitung <strong>in</strong>s Wanken br<strong>in</strong>gen und<br />

Unsicherheiten, auch Orientierungslosigkeit bei Rezipienten<br />

und den Journalisten selbst begünstigen.<br />

Der elektronisch und ökonomisch oktroyierte Geschw<strong>in</strong>digkeitsrausch<br />

<strong>der</strong> politischen Berichterstattung<br />

ersche<strong>in</strong>t auf Basis <strong>der</strong> Aussagen des befragten<br />

Berl<strong>in</strong>er Journalistenkreises als aggressive Spiral-<br />

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