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Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche

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tionen mitunter sogar mit dem Auftrag konfrontiert,<br />

den Themen bei Spiegel Onl<strong>in</strong>e nachzuspüren.<br />

5.3 Politische Kommunikation<br />

Mit dem Regierungsumzug von Bonn nach Berl<strong>in</strong><br />

und dem späteren Machtwechsel <strong>der</strong> Bundesregierung<br />

von Rot-Grün zur Großen Koalition verän<strong>der</strong>ten<br />

sich nach Aussage <strong>der</strong> Befragten auch die Kommunikationsströme<br />

und Medienstrategien des politischen<br />

Betriebs: Die Zahl <strong>der</strong> politischen Kommunikations-<br />

und Medienkongresse nahm exorbitant zu,<br />

ebenso die Konzentration <strong>der</strong> elektronischen und<br />

mobilen Kommunikationsmittel. Zudem arbeiteten <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Hauptstadt im Jahr 2008 so viele Profis im<br />

Kommunikationssektor wie nie zuvor: Die – neben<br />

Politik und <strong>Journalismus</strong> – ‚dritte Säule’ <strong>der</strong> Kommunikationspolitik<br />

bilden vor allem Politikberater, Pressesprecher<br />

und Lobbyisten, die wie die publizistischen<br />

Leitmedien <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> (vgl. Kap. 4.2) erheblichen<br />

E<strong>in</strong>fluss auf das Agenda Sett<strong>in</strong>g und das Kommunikationsverhalten<br />

<strong>der</strong> politischen Klasse <strong>in</strong>sgesamt<br />

nehmen.<br />

Ebenfalls zum Leidwesen <strong>der</strong> Zeitungsjournalisten<br />

hat sich die Interview-Autorisierung durchgesetzt:<br />

Kaum etwas, was im Gespräch gesagt wurde, bleibt<br />

unverän<strong>der</strong>t, stattdessen wird extrapoliert, umgeschrieben,<br />

s<strong>in</strong>nentstellt. Hier f<strong>in</strong>det das politische<br />

Inszenierungspr<strong>in</strong>zip des Fernsehens se<strong>in</strong>e Entsprechung<br />

im Gedruckten. Der Austausch <strong>der</strong> Kommunikatoren<br />

ist – wie überhaupt das Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> von<br />

Medien und Politik – überdies charakterisiert durch<br />

neue Spielarten und Restriktionen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regierungskommunikation,<br />

die es zu Bonner Zeiten nicht<br />

gegeben hat, darunter die <strong>in</strong>formelle SMS-<br />

Kommunikation zwischen Journalisten und Abgeordneten,<br />

die den Berichterstattungsdruck <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Hauptstadt abermals potenziert und e<strong>in</strong>zelnen politischen<br />

Akteuren zunehmend als Mittel zur Profilierung<br />

dient, sowie <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne Video-Podcast von<br />

Bundeskanzler<strong>in</strong> Angela Merkel, <strong>der</strong> – absichtlich<br />

o<strong>der</strong> nicht – galant die traditionelle Gatekeeper-Rolle<br />

<strong>der</strong> Medien umgeht.<br />

Der präsentistische Charakter und das daraus folgende<br />

hohe Inszenierungspotenzial haben sich also<br />

vom Fernsehen auf an<strong>der</strong>e Bereiche <strong>der</strong> elektronischen<br />

Kommunikation verschoben. Vor allem das<br />

Internet genießt e<strong>in</strong>en wachsenden Stellenwert bei<br />

<strong>der</strong> Darstellung politischer Prozesse <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit,<br />

vor allem bei jüngeren Mediennutzern.<br />

5.4 <strong>Recherche</strong>-<strong>Netzwerk</strong>e<br />

Die neuen Möglichkeiten <strong>der</strong> H<strong>in</strong>terzimmer und Nobelgastronomie<br />

Berl<strong>in</strong>s haben die <strong>Recherche</strong>-Kultur<br />

<strong>der</strong> politischen Berichterstattung nach Aussage <strong>der</strong><br />

befragten Journalisten grundlegend verän<strong>der</strong>t: Auch<br />

wenn schon <strong>in</strong> Bonn bei Saumagen und e<strong>in</strong>em<br />

Schoppen We<strong>in</strong> H<strong>in</strong>tergrundgespräche geführt wurden,<br />

ist die gefühlte Nähe des <strong>Journalismus</strong> zur Politik<br />

an den geme<strong>in</strong>samen Dreh- und Angelpunkten<br />

offensichtlicher als je zuvor. Persönliche Kontakte,<br />

das „Sehen-und-Gesehen-Werden“, s<strong>in</strong>d etwa im<br />

Edelrestaurant Borchardt, im In-Lokal Grill Royal, im<br />

Café E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong> unter den L<strong>in</strong>den o<strong>der</strong> auf e<strong>in</strong>er <strong>der</strong><br />

vielen Festivitäten, die Medienhäuser, Großunternehmen<br />

und Politik regelmäßig ausrichten, an <strong>der</strong><br />

Tagesordnung – zum<strong>in</strong>dest für die Medien- und<br />

Politprom<strong>in</strong>enz. Für das ‚Fußvolk’ <strong>der</strong> Berichterstatter<br />

bilden dagegen die gründliche Morgenlektüre <strong>der</strong><br />

überregionalen Leitmedien und <strong>der</strong> Griff zum Telefonhörer<br />

nach wie vor die Haupt<strong>in</strong>formationsquellen,<br />

obwohl das Internet mit kostenlosen Angeboten wie<br />

Google-News, Wikipedia und Spiegel Onl<strong>in</strong>e klassische<br />

<strong>Recherche</strong>tätigkeiten zunehmend abzulösen<br />

sche<strong>in</strong>t. Immer häufiger werden auch SMS und re<strong>in</strong>e<br />

Fernsehübertragungen, etwa von den Sitzungen <strong>der</strong><br />

Bundespressekonferenz (die für <strong>Recherche</strong>n ohneh<strong>in</strong><br />

bedeutungsloser wird), zur Überbrückung <strong>der</strong> langen<br />

Fußwege im Großstadtmilieu genutzt.<br />

Zum Ärger vieler Journalisten kommen <strong>in</strong>vestigative<br />

<strong>Recherche</strong>n unter Berl<strong>in</strong>er Bed<strong>in</strong>gungen gänzlich zu<br />

kurz – was e<strong>in</strong>erseits <strong>der</strong> ‚kollegialen’ Zusammenarbeit<br />

mit den Pressestellen bzw. Pressesprechern von<br />

Bundesregierung, M<strong>in</strong>isterien und Parteien, an<strong>der</strong>erseits<br />

offenbar auch dem Mangel an (redaktionellen<br />

und f<strong>in</strong>anziellen) Ressourcen und dem gestiegenen<br />

Zeitdruck im <strong>Journalismus</strong> geschuldet ist. Das dadurch<br />

erzwungene „Nachdrehen“ <strong>der</strong> Themensetzung<br />

e<strong>in</strong>iger führen<strong>der</strong> Leitmedien, darunter vor<br />

allem Bild, zwängt die betroffenen Hauptstadtjournalisten<br />

häufig <strong>in</strong> e<strong>in</strong> ambivalentes Vorgehen: Zwar<br />

werden die ethischen Grundsätze <strong>der</strong> journalistischen<br />

Arbeit betont, und wird <strong>in</strong> Bezug auf private<br />

„Tabu-Themen“ auf den Pressekodex verwiesen.<br />

Doch wird zugleich bemängelt, dass sich die Berichterstatter<br />

dem Druck, sich mit dem Privatleben von<br />

Politikern zu befassen, nicht entziehen können,<br />

wenn dieses aggressiv von Boulevardmedien auf die<br />

Agenda gehoben wird und dadurch oft unnötig (politische)<br />

Relevanz erhält.<br />

E<strong>in</strong>en beson<strong>der</strong>en Stellenwert <strong>in</strong> <strong>der</strong> Informationsbeschaffung<br />

nehmen die H<strong>in</strong>tergrundkreise Berl<strong>in</strong>s<br />

e<strong>in</strong>, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em immer unübersichtlicheren <strong>Recherche</strong>-Umfeld<br />

als wichtiger denn je e<strong>in</strong>geschätzt werden.<br />

An<strong>der</strong>s, als von e<strong>in</strong>igen Kollegen außerhalb <strong>der</strong><br />

engeren Politikzirkel suggeriert wird, geht es dort<br />

allerd<strong>in</strong>gs vergleichsweise harmlos zu: Es f<strong>in</strong>den<br />

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