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Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche

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sich die TV-Meute mit ihren Mikrofonen, Kabeln und<br />

Kameras im Kampf um den spektakulärsten O-Ton<br />

nicht nur gegenseitig, son<strong>der</strong>n allmählich auch die<br />

schreibenden Berichterstatter. Wenn Bruns behauptet,<br />

dass das Hauptstadtfernsehen im S<strong>in</strong>ne des<br />

kanadischen Medientheoretikers Marshall McLuhan<br />

auch dann ‚kalt’ bliebe, wenn es <strong>in</strong>teraktive Onl<strong>in</strong>e-<br />

Angebote anbiete, spielt sie weniger auf die technischen<br />

Grundpr<strong>in</strong>zipien des Fernsehens an als auf<br />

e<strong>in</strong>e gewisse Inhaltsleere; Politiker schätzten das<br />

Fernsehen als E<strong>in</strong>bahnstraßen-Kommunikation,<br />

durch die sich Regierende und Regierte aber immer<br />

weiter vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> entfernten: „Selbst dem Chat<br />

danach, <strong>der</strong> im Anschluss an Fernsehtalks und ähnliche<br />

Sendungen üblich geworden ist, fehlen entscheidende<br />

Dimensionen traditioneller politischer<br />

Gespräche zwischen den Regierten und ihren Politikern“<br />

(Bruns 2007, 173). Traurig und verheerend<br />

zugleich, dass nach E<strong>in</strong>schätzung von Hachmeister<br />

(2007, 85) Politiker bisweilen mehr durch Talkshows<br />

wie Sab<strong>in</strong>e Christiansen und Berl<strong>in</strong> Mitte (seit 2007:<br />

Maybrit Illner) t<strong>in</strong>gelten, als dass ihre Politik durch<br />

überregionale Qualitätszeitungen repräsentiert werde.<br />

Zum<strong>in</strong>dest muss das Fernsehen, dem seit E<strong>in</strong>führung<br />

<strong>der</strong> Privatsen<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e tief greifende Verän<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Politikberichterstattung angelastet wird,<br />

als Sündenbock für die Beschleunigung <strong>der</strong> politischen<br />

Kommunikation herhalten: „Noch am gleichen<br />

Tag, für den Redaktionsschluss <strong>der</strong> Zeitungen o<strong>der</strong><br />

die elektronischen Nachrichten am Abend, veraltet<br />

die Nachricht aus dem Frühstücksfernsehen“ (Bruns<br />

2007, 75). Sachthemen ließen sich kaum noch nüchtern<br />

betrachten. „Wir ertr<strong>in</strong>ken im Sche<strong>in</strong>baren“,<br />

glaubt auch Hofmann (2007, 372), und verweist<br />

damit auf das Dilemma mo<strong>der</strong>ner Mediendemokratien,<br />

bei <strong>der</strong> raschen Abfolge von Themen und Akteuren<br />

nicht mehr zwischen politischer Inszenierung<br />

und Realität unterscheiden zu können.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e das öffentlich-rechtliche Fernsehen<br />

hat mittlerweile die Rolle des Leitmediums e<strong>in</strong>gebüßt,<br />

glaubt Hachmeister, <strong>der</strong> stattdessen e<strong>in</strong>en<br />

Wandel zum „mo<strong>der</strong>ierende[n] Forum für politischen<br />

Talk und ökonomischen Service“ beobachtet haben<br />

will (Hachmeister 2007, 88). Die e<strong>in</strong>stmals me<strong>in</strong>ungsbildenden<br />

Politmagaz<strong>in</strong>e wie „Monitor“ und „Panorama“<br />

seien die Verlierer dieses Bedeutungsverlusts,<br />

den nur wenige Journalisten zu bedauern sche<strong>in</strong>en –<br />

geschweige denn die Politiker. Nicht nur die – stark<br />

variierenden – Sendeplätze <strong>der</strong> Magaz<strong>in</strong>e, son<strong>der</strong>n<br />

auch ihre Gesichter und <strong>der</strong>en politische Orientierung<br />

seien unkenntlicher geworden: „Gerhard Löwenthal,<br />

Klaus Bednarz, Franz Alt o<strong>der</strong> He<strong>in</strong>z-Klaus<br />

Mertes – ihre Sendungen bildeten auch immer die<br />

Weltordnung des Mo<strong>der</strong>ators ab, das Ergebnis manches<br />

Beitrags stand so schon vor den <strong>Recherche</strong>n<br />

fest“ (ebd., 174). Sab<strong>in</strong>e Christiansen, geme<strong>in</strong>t ist<br />

die Person und die Talkshow, ersche<strong>in</strong>t dagegen wie<br />

e<strong>in</strong> Paradigmenwechsel <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e völlig neue Fernseh-<br />

dimension, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Politiker hofiert und zugleich <strong>in</strong>szeniert<br />

wurden: Christiansen sei <strong>in</strong> ihren Fragen<br />

stets devot gewesen, analysiert Hachmeister – und<br />

doch wurde sie bisweilen als e<strong>in</strong>e hoheitliche Persona<br />

verehrt, die den nationalen politischen Diskurs<br />

mo<strong>der</strong>ierte, e<strong>in</strong>e Fernsehkassandra, die immerh<strong>in</strong><br />

zwei Jahre länger ‚regierte’ als Gerhard Schrö<strong>der</strong><br />

(ebd., 151).<br />

„Only bad news is good news“ – lautet <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nspruch<br />

<strong>der</strong> Nachrichtenbranche. Das gilt nichtsdestoweniger<br />

für die Hauptstadtmedien: Je spektakulärer<br />

das politische Gezänk, desto ergiebiger die Ausbeute<br />

für Zeitungen, Sen<strong>der</strong>, Onl<strong>in</strong>e-Medien und<br />

Nachrichtenagenturen, die unablässig neue Informationen<br />

abson<strong>der</strong>n müssen. Politische Inhalte verschw<strong>in</strong>den<br />

auch heute noch häufig h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>er<br />

Schrö<strong>der</strong>schen „Basta“-Rhetorik, weil e<strong>in</strong> solches<br />

Word<strong>in</strong>g „die tauglichere Symbolik“ (Bruns 2007, 78)<br />

liefert und alle<strong>in</strong>e schon dadurch auffällt, dass es<br />

ebenso griffig wie simpel ist. Doch potenzieren sich<br />

Nachrichtentempo und die journalistische Gier nach<br />

politischen Scharmützeln zu e<strong>in</strong>em unentwegten<br />

Grundrauschen, das den aufklärerischen <strong>Journalismus</strong><br />

se<strong>in</strong>er elementaren Voraussetzungen beraubt –<br />

„Informationen, Entwicklungen, Machtkämpfe nach<br />

ihrer Relevanz und Bedeutung auszuwählen, e<strong>in</strong>zuordnen<br />

und zu vermitteln. Und das kostet Vertrauen<br />

bei Lesern, Zuhörern und Zuschauern. Sie<br />

spüren, dass immer unglaubwürdiger wird, was Zeitungen<br />

und Fernsehen ihnen vorsetzen“ (ebd., 84).<br />

Die professionelle Effekthascherei ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Echtzeitdemokratie<br />

zweifellos wichtiger geworden, nicht nur<br />

für Politiker, son<strong>der</strong>n auch für e<strong>in</strong>zelne Journalisten.<br />

Bei anschwellendem Konkurrenzdruck steigen die<br />

Chancen, von höheren Hierarchieebenen bemerkt<br />

und bestenfalls zu höheren Aufgaben berufen zu<br />

werden, nur noch mit <strong>der</strong> Veröffentlichung exklusiver<br />

Storys: Und das s<strong>in</strong>d angesichts immer ger<strong>in</strong>gerer<br />

Ressourcen am ehesten Personenstücke <strong>in</strong> Form<br />

von Parteitagsbesuchen o<strong>der</strong> Verlautbarungs<strong>in</strong>terviews,<br />

nicht die recherche<strong>in</strong>tensive Enthüllungsreportage.<br />

Weil aber zu viele (exklusive) Meldungen zu<br />

schnell umgewälzt und durchgereicht werden, r<strong>in</strong>gt<br />

<strong>der</strong> <strong>Journalismus</strong> <strong>der</strong>weil um den Verlust se<strong>in</strong>er<br />

Identität: „,Hype‘, das ist von Anfang an auch e<strong>in</strong>e<br />

seltsame Hektik, e<strong>in</strong>e Überhitzung, die niemand<br />

gewollt o<strong>der</strong> gemacht hat, die ohne aktives Zutun<br />

<strong>der</strong> Akteure e<strong>in</strong> ganz neues Tempo und den Verlust<br />

<strong>der</strong> Regeln br<strong>in</strong>gt, die bis dah<strong>in</strong> zwischen Politik und<br />

Publizistik gegolten hatten“ (ebd., 17).<br />

2.9. Profilierung und Privates als Erfolgsfaktoren<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Politik<br />

H<strong>in</strong>zu kommen die Stammesrituale <strong>der</strong> gehobenen<br />

Schichten im <strong>Journalismus</strong>, „die mit den jeweiligen<br />

publizistischen Häusern, ihren Mentalitäten und<br />

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