Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche
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Botschaften direkt und ohne E<strong>in</strong>ordnung von Journalisten<br />
direkt an die Bevölkerung zu senden. Die Angebotserweiterung<br />
<strong>der</strong> Politik ist für die journalistische<br />
<strong>Recherche</strong> also durchaus ambivalent.<br />
4.4.3.3. <strong>Recherche</strong><strong>in</strong>strumente<br />
In <strong>der</strong> persönlichen Informationsbeschaffung werden<br />
elektronische Kommunikationsmittel wichtiger.<br />
Es gilt: Je mobiler e<strong>in</strong> Journalist se<strong>in</strong>e <strong>Recherche</strong>n<br />
erledigt, desto effektiver kann er sich im unentwegten<br />
Nachrichtenstrom bewegen. Obgleich das herkömmliche<br />
Telefon zentrales <strong>Recherche</strong><strong>in</strong>strument<br />
bleibt, verzichtet ke<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Befragten mehr auf se<strong>in</strong><br />
Mobiltelefon bzw. den Personal Digital Assistant<br />
(PDA):<br />
„Bei tagesaktuellen Sachen ist es schon sehr hilfreich,<br />
auf dem Blackberry schnell sehen zu können,<br />
was Google-News, Spiegel Onl<strong>in</strong>e etc. machen. Vor<br />
allem, wenn Sie draußen mit dem Mikrofon <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Hand vor <strong>der</strong> Kamera stehen. Die richtige H<strong>in</strong>tergrundrecherche,<br />
um herauszuf<strong>in</strong>den, was genau<br />
passiert ist, macht e<strong>in</strong> politischer Korrespondent <strong>in</strong><br />
Berl<strong>in</strong>, <strong>der</strong> dem Aktuellen verpflichtet ist, vor allem<br />
fürs Fernsehen ja relativ selten. Dafür ist gar ke<strong>in</strong>e<br />
Zeit.“ (Gerhard Hofmann, ehem. RTL/ n-tv)<br />
Mit dem Bruchstück e<strong>in</strong>er Information lassen sich<br />
heute mithilfe von Suchmasch<strong>in</strong>en und Datenbanken<br />
im Schnelldurchgang Onl<strong>in</strong>e-<strong>Recherche</strong>n durchführen,<br />
was früher undenkbar war. Zitate und Fakten<br />
abzugleichen, sich zu vergewissern, ob e<strong>in</strong>e Information<br />
bereits veröffentlicht wurde: Häppchenrecherche<br />
und Mobilität s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> vere<strong>in</strong>bar geworden.<br />
Ebenso wichtig ist die ständige Erreichbarkeit,<br />
um stets auf dem Laufenden zu bleiben. Wenn<br />
e<strong>in</strong> Hauptstadtjournalist heute ke<strong>in</strong>e persönliche<br />
Kartei mit Mobilnummern wichtiger Informanten<br />
angelegt hat, und dazu gehören maßgeblich auch<br />
die Privatnummern von Spitzenpolitikern (siehe Kapitel<br />
4.3), wird er bei se<strong>in</strong>en <strong>Recherche</strong>n schnell von<br />
<strong>der</strong> Konkurrenz abgehängt: „Das Telefon ist me<strong>in</strong>er<br />
Me<strong>in</strong>ung nach sowieso das wichtigste Werkzeug.<br />
[…] Man kann gar nicht genug Telefonnummern von<br />
Spitzenpolitikern gespeichert haben“, gibt sich Kolumnist<br />
Ma<strong>in</strong>hardt Graf von Nayhauß überzeugt.<br />
Die herausgehobene Rolle des Telefons gegenüber<br />
dem persönlichen Gespräch hängt vorrangig mit den<br />
weiten Wegen <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> zusammen. Doch hat das<br />
Mobiltelefon se<strong>in</strong>e Karriere bei <strong>der</strong> journalistischen<br />
<strong>Recherche</strong> durch e<strong>in</strong>en Wandel <strong>der</strong> Kommunikationskultur<br />
zu verdanken: „Die SMS ist deshalb so<br />
hilfreich, weil sie nicht den gesellschaftlich relevan-<br />
ten, konventionellen Charakter e<strong>in</strong>es Briefes, bzw.<br />
Faxes hat, den man eigentlich beantworten ,muss‘<br />
und wo es ke<strong>in</strong> Affront ist, wenn man es nicht<br />
macht“, sagt Gerhard Hofmann (ehem. RTL/ n-tv).<br />
Als E<strong>in</strong>wegbotschaft ohne Antwort liefert die Kurzmitteilung<br />
nackte Information, bleibt aber auch nicht<br />
mehr als e<strong>in</strong> Signal. Vor je<strong>der</strong> wichtigen Ausschuss-,<br />
Gremien- o<strong>der</strong> M<strong>in</strong>isteriumssitzung versuchten Journalisten,<br />
„Drähte zu legen“, wie Mart<strong>in</strong> Bialecki (dpa)<br />
es ausdrückt: „Ich frage mich, wie das eigentlich vor<br />
<strong>der</strong> SMS war. Ohne SMS wäre unsere Geschw<strong>in</strong>digkeit<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Berichterstattung aus wichtigen Veranstaltungen<br />
bedeutend langsamer.“ Dafür brauche<br />
man aber gute Kontakte, anonym funktioniere das<br />
nicht. Auf die Informationshappen müsse Verlass<br />
se<strong>in</strong>, damit die SMS nicht nach h<strong>in</strong>ten losgehe.<br />
Auch Günter Bannas, e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> wenigen aktiven<br />
Hauptstadtjournalisten, die noch auf e<strong>in</strong>e lange Karriere<br />
am Bonner Regierungssitz zurückblicken können,<br />
bejaht die Unentbehrlichkeit <strong>der</strong> SMS-<br />
Technologie, erteilt aber Mutmaßungen über die<br />
spektakuläre Offenheit solcher Meldungen à la „Merkel<br />
sauer auf Rüttgers“ e<strong>in</strong>e klare Absage. Vielmehr<br />
s<strong>in</strong>d es vorher zwischen Journalist und Politiker abgesprochene<br />
Formeln, die den Stand <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge beschreiben<br />
sollen. Politische Kern<strong>in</strong>formationen – <strong>in</strong><br />
Berl<strong>in</strong> mitunter nicht länger als 160 Zeichen. Kurzmitteilungen<br />
werden von Mobiltelefon zu Mobiltelefon,<br />
unter Politikern, Journalisten und sonstigen<br />
Geheimnisträgern h<strong>in</strong> und hergeschickt. Dar<strong>in</strong> geht<br />
es nicht um kritische Kommentare o<strong>der</strong> reflektierte<br />
Statements, son<strong>der</strong>n um knappe H<strong>in</strong>weise: Ja, ne<strong>in</strong><br />
– Daumen hoch, Daumen runter, die Vermutungen<br />
o<strong>der</strong> Erkenntnisse bestätigen o<strong>der</strong> nivellieren o<strong>der</strong><br />
gar e<strong>in</strong>e <strong>Recherche</strong> erst anstoßen.<br />
„Man erfährt auf diesem Weg h<strong>in</strong> und wie<strong>der</strong> etwas<br />
aus Ausschüssen“, bestätigt Ulrich Deppendorf<br />
(ARD). Das Risiko <strong>der</strong> Instrumentalisierung wird<br />
zwar auch hier als hoch e<strong>in</strong>geschätzt, doch am Ende<br />
überwiegt <strong>der</strong> Informationsvorteil. Politiker, vor allem<br />
junge, machten sich den Informationshunger<br />
<strong>der</strong> Berichterstatter zunutze, sagt Medienberater<br />
Michael Spreng: „Es gehört zum Tagesgeschäft,<br />
dass, während vorne noch jemand vom Parteipräsidium<br />
spricht, unter den Tischen schon fleißig <strong>in</strong>s<br />
Handy getippt wird.“ Die bereitwillige Befriedigung<br />
des Bedarfs an frühen H<strong>in</strong>weisen aus geschlossenen<br />
Veranstaltungen erfolgt freilich nicht ohne H<strong>in</strong>tergedanken<br />
und meist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hoffnung, beim nächsten<br />
Thema ganz oben auf <strong>der</strong> Interviewliste des Journalisten<br />
zu stehen. Doch g<strong>in</strong>ge diese Rechnung im<br />
seltensten Fall auf, so Spreng; denn für die journalistische<br />
<strong>Recherche</strong> gelte: „Man liebt den Verrat,<br />
aber nicht den Verräter.“<br />
Je höher e<strong>in</strong> Politiker <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hierarchie aufgestiegen<br />
ist, desto ger<strong>in</strong>ger wird die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, dass<br />
er für diese Form <strong>der</strong> <strong>in</strong>formellen <strong>Recherche</strong> per<br />
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