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Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche

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2.10. Politische Kommunikation <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beraterrepublik<br />

So weit reichend sich <strong>der</strong> politische Führungsstil mit<br />

dem Machtwechsel <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> än<strong>der</strong>te, so sehr än<strong>der</strong>te<br />

sich auch die politische Kommunikation. Selbstdarsteller<br />

wie Gerhard Schrö<strong>der</strong> und Joschka Fischer<br />

hätten endlos Stoff für politische Reportagen geliefert,<br />

behauptet Bruns (2007, 32). Durch sie seien<br />

Begriffe wie „Personalisierung“, „Inszenierung“ und<br />

„Medienkanzler“ überhaupt erst <strong>in</strong> den Wortschatz<br />

<strong>der</strong> Hauptstadtjournalisten aufgenommen worden.<br />

Angela Merkel dagegen nimmt Bruns als „betont<br />

pragmatisch“ (ebd., 33) wahr, sprich: durchaus<br />

machtbewusst, aber zurückhalten<strong>der</strong> als ihren Amtsvorgänger<br />

– deutlicher könnte <strong>der</strong> Kontrast kaum<br />

ausfallen. Dass Schrö<strong>der</strong> geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> als „Medienkanzler“<br />

galt, ist vielerorts nachzulesen (vgl. exemplarisch<br />

Meng 2002), wenngleich er we<strong>der</strong> <strong>der</strong> erste<br />

Medienkanzler war (Rosumek 2007), noch <strong>der</strong> letzte<br />

se<strong>in</strong> wird (vgl. Hofmann 2007: 72). Im Vergleich zur<br />

mo<strong>der</strong>neren Ersche<strong>in</strong>ung e<strong>in</strong>er „SMS-Kanzler<strong>in</strong>“<br />

(Hachmeister 2007, 105) o<strong>der</strong> „Podcast-Kanzler<strong>in</strong>“<br />

(Hofmann 2008) ersche<strong>in</strong>t Schrö<strong>der</strong> <strong>in</strong> den Augen<br />

Hachmeisters (2007, 136) vielmehr als launischer<br />

„Industriepolitiker alten Stils“, <strong>der</strong> letztlich nicht<br />

mehr zu bieten hatte als die überholte Formel „Bild,<br />

BamS, Glotze“ (vgl. Hofmann 2007, 452). „In se<strong>in</strong>er<br />

Medienpolitik agierte Schrö<strong>der</strong> ziemlich unsicher,<br />

g<strong>in</strong>g mal juristisch gegen die Boulevardpresse vor,<br />

weil sie behauptete, er färbe se<strong>in</strong> Haar, wollte dann<br />

Leute von Bild nicht mehr auf Kanzlerreisen mitnehmen,<br />

weil er <strong>in</strong> dem Spr<strong>in</strong>ger-Massenblatt e<strong>in</strong>en<br />

mächtigen Gegner sah“, schreibt Hachmeister (2007,<br />

106). Am Ende se<strong>in</strong>er Amtszeit aber sorgte er für<br />

e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Medieneklat, als er – wenn auch unfreiwillig<br />

– die wirklichkeitsleere Welt <strong>der</strong> Politiker<br />

entlarvte: Während des lange erwarteten Fernsehduells<br />

mit Angela Merkel im September 2005 blieb<br />

es nicht beim Appell „Glaubt denen nicht!“; Schrö<strong>der</strong><br />

machte se<strong>in</strong>er Gatt<strong>in</strong> Doris e<strong>in</strong>e öffentliche Liebeserklärung<br />

– e<strong>in</strong> Geständnis, das unter vielen Medienvertretern<br />

zwar für Gelächter und Kopfschütteln<br />

sorgte, bei <strong>der</strong> Bevölkerung aber offenbar gut ankam,<br />

zumal mit e<strong>in</strong>er ähnlichen Gefühlsbekundung<br />

von se<strong>in</strong>er spröden Herausfor<strong>der</strong><strong>in</strong> nicht zu rechnen<br />

gewesen wäre.<br />

Was aber charakterisiert e<strong>in</strong>en echten ‚Medienkanzler’?<br />

„Schon im Begriff liegt das Prekäre“, überlegt<br />

Hachmeister (2007, 130), „er zielt eben auf Vermittlung,<br />

auf Inszenierung, auf Beliebtheit bei den Journalisten<br />

ab, nicht auf e<strong>in</strong>e Gesellschaftsphilosophie<br />

o<strong>der</strong> strategische Ziele jenseits des persönlichen<br />

Machterhalts. Medienkanzler: das kl<strong>in</strong>gt wie die demokratische<br />

Variante e<strong>in</strong>es Propagandam<strong>in</strong>isters“.<br />

E<strong>in</strong> Medienkanzler müsse von Allem etwas haben:<br />

e<strong>in</strong>en effizienten Stab an Beratern, gute Kontakte zu<br />

Medienmachern, e<strong>in</strong> Fernsehgesicht, mit dem er<br />

se<strong>in</strong>e Botschaften emotional verbreiten kann. Er<br />

müsse außerdem medienpolitische Prozesse anstoßen<br />

und lenken können sowie selbst <strong>der</strong> beste Vermittler<br />

se<strong>in</strong>er Politik se<strong>in</strong>. Schrö<strong>der</strong> hatte vieles davon,<br />

doch mangelte es ihm am Ende, womit er zu<br />

Beg<strong>in</strong>n se<strong>in</strong>er Amtszeit überhäuft wurde: die Zuneigung<br />

<strong>der</strong> Journalisten. Merkel dagegen werde von<br />

den Medien überschwänglich gefeiert, urteilt Hachmeister<br />

unter dem E<strong>in</strong>druck <strong>der</strong> sorglosen Medienobservation,<br />

unter <strong>der</strong> die Kanzler<strong>in</strong> lange Zeit stand<br />

(Hachmeister 2007, 149). Geirrt hätten sich solche<br />

Experten aus Politik- und Medienwissenschaft, die<br />

glaubten, dass man e<strong>in</strong> Medienkanzler se<strong>in</strong> müsse,<br />

um im 21. Jahrhun<strong>der</strong>t noch politisch wirksam zu<br />

se<strong>in</strong>, schreibt Hachmeister und me<strong>in</strong>t doch das gleiche:<br />

dass die Medien <strong>der</strong> Kanzler<strong>in</strong> aus <strong>der</strong> Hand<br />

fressen, was bei manchem Journalisten „monarchiefreundliche<br />

Anwandlungen“ verursache (ebd.).<br />

Was <strong>in</strong> <strong>der</strong> großen Politik gilt, wollen sich zunehmend<br />

auch die H<strong>in</strong>terbänkler zu eigen machen. Dass<br />

die Beliebtheit e<strong>in</strong>es jeden Politikers im Pr<strong>in</strong>zip<br />

steuerbar und nicht völlig abhängig von <strong>der</strong> Mediengunst<br />

ist, haben <strong>in</strong>zwischen e<strong>in</strong>e Vielzahl von PR-<br />

Beratern, Lobbyisten und Sp<strong>in</strong>-Doktoren erkannt, die<br />

so manchem Abgeordneten den Weg nach oben<br />

ebnen wollen (vgl. Schmidt-Deguelle 2006). „Nie<br />

zuvor hat es so viele Kommunikationsprofis gegeben<br />

– und noch nie war <strong>der</strong> Dialog zwischen Regierten<br />

und Regierenden so gestört wie heute“, urteilt Bruns<br />

(Bruns 2007, 51). Die Berater, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hauptstadt<br />

mehr Beschäftigte stellen als die Medienbranche<br />

selbst, sorgten gewissermaßen als „Dritte im Bunde“<br />

für e<strong>in</strong>e Verfälschung und Verflachung <strong>der</strong> politischen<br />

Kommunikation. Vorrangig handele es sich<br />

dabei um „Lobbyisten, Agenturen, Berater, Pressesprecher,<br />

PR-Leute, Journalisten auf den Schnittstellen<br />

dazwischen“ (ebd., 52). Bruns erkennt <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

neu entstandenen Beraterklasse allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e<br />

„ständig wachsende Zahl junger Akademiker, <strong>der</strong>en<br />

berufsmäßige Anspannung manchmal das Gefühl<br />

aufkommen lässt, dass sie viel weniger Geld verdienen,<br />

als <strong>der</strong> Glanz verheißt, den ihre Branche um<br />

sich verbreitet“ (ebd., 52). Umso erstaunlicher, dass<br />

diese PR-Meute mittlerweile zu e<strong>in</strong>em Hauptveranstalter<br />

politisch relevanter Medien Events <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

geworden ist. Während die kritischen Beobachter die<br />

zentrale Frage aussparen, ob das, was die Öffentlichkeitsarbeiter<br />

produzieren, nur heiße Luft ist o<strong>der</strong><br />

tatsächlich erfolgreich umgesetzt wird, weisen sie<br />

zum<strong>in</strong>dest auf die akute Grenzverschiebung zwischen<br />

<strong>Journalismus</strong> und PR h<strong>in</strong>:<br />

„Der geme<strong>in</strong>same Beschleunigungstrip von Politikern<br />

und Journalisten, die wogende Stimmungsdemokratie,<br />

die bei je<strong>der</strong> Gelegenheit aus dem Hut gezauberten<br />

Me<strong>in</strong>ungsumfragen – das ist die Grundvoraussetzung<br />

für die Arbeit <strong>der</strong> Beraterklasse, wo das<br />

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