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Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche

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werden. Ebenso steigt die Gefahr re<strong>in</strong>er Verlautbarungspolitik,<br />

weil den Politikern <strong>in</strong> <strong>der</strong> BPK e<strong>in</strong>e Bühne<br />

zur Selbstdarstellung geboten wird – Thomas<br />

Wittke vom Bonner General-Anzeiger und Vorstandsmitglied<br />

<strong>der</strong> BPK argwöhnt daher, dass für<br />

Ursula von <strong>der</strong> Leyen und Sigmar Gabriel im Grunde<br />

schon „e<strong>in</strong> Bett aufgestellt“ werden könne. Auch<br />

Jens König (ehem. taz) spricht von e<strong>in</strong>em „<strong>in</strong>teressanten<br />

Schauspiel“: „Ich zeige das gerne Volontären<br />

und Praktikanten, damit sie verstehen, wie <strong>der</strong> politische<br />

Zirkus hier funktioniert. In <strong>der</strong> Bundespressekonferenz<br />

bekomme ich nur wenige relevante Informationen.<br />

Sie ist für me<strong>in</strong>e Arbeit nicht wirklich<br />

wichtig.“<br />

Nach Ansicht <strong>der</strong> Hauptstadtjournalisten wurde die<br />

Funktion <strong>der</strong> BPK also nicht nur durch das durch das<br />

Fernbleiben <strong>der</strong> akkreditierten Journalisten geschwächt,<br />

son<strong>der</strong>n auch dadurch, dass sie zum<br />

„Showcase“ verkommen sei. Allerd<strong>in</strong>gs werde auf<br />

kritische Nachfragen nicht o<strong>der</strong> nicht ausreichend<br />

auch deshalb e<strong>in</strong>gegangen, weil die auftretenden<br />

Sprecher <strong>der</strong> M<strong>in</strong>isterien größtenteils „Worthalter“<br />

seien, die ke<strong>in</strong>e Mitteilungsbefugnis außer den verbreiteten<br />

Erklärungen hätten, kritisiert Wittke: „Wir<br />

leiden extrem darunter, wie die Regierung ihre Öffentlichkeitsarbeit<br />

versteht: durch Blockieren,<br />

Mauern, Informationsreduktion auf das Unwesentliche.“<br />

Dadurch entsteht wie<strong>der</strong>um bei den Journalisten<br />

<strong>der</strong> E<strong>in</strong>druck, sie verschwendeten ihre Zeit und<br />

verfolgten das Geschehen von ihrem Büro aus per<br />

Bildschirm. Wittke nennt das den „Fluch <strong>der</strong> Präsenz“,<br />

<strong>der</strong> selbst durch die anstehende Reorganisation<br />

<strong>der</strong> BPK kaum aufzufangen sei:<br />

„Geme<strong>in</strong>sam mit dem Problem <strong>der</strong> Informationsverweigerung<br />

trägt das zum Bedeutungsverlust <strong>der</strong> BPK<br />

bei, was dazu führt, dass wir e<strong>in</strong>e Reformausschuss-<br />

Gruppe zusammengesetzt haben, die sich Gedanken<br />

über den Umbau <strong>der</strong> PKs macht, um sie attraktiver<br />

zu gestalten. Ob diese Maßnahmen langfristig tragen,<br />

bezweifle ich, weil die Grundstruktur <strong>der</strong> <strong>in</strong>teressensgeleiteten<br />

Informationsgewährung bestehen<br />

bleibt.“ (Thomas Wittke, Bonner General-Anzeiger)<br />

Dass BPK e<strong>in</strong> <strong>in</strong>haltsarmes Schaulaufen ist, tritt laut<br />

Holger Schmale immer dann offen zutage, wenn<br />

Spitzenpolitiker wie die Kanzler<strong>in</strong> zu Gast s<strong>in</strong>d und<br />

sich viele hochqualifizierte und <strong>in</strong> ihrer Arbeit ansonsten<br />

ausgesprochen reflektierte und kritische<br />

Journalisten als zahnlose Tiger erweisen, <strong>in</strong>dem sie<br />

plötzlich das kritische Nachhaken verlernt zu haben<br />

sche<strong>in</strong>en. An<strong>der</strong>erseits wird auch bemängelt, dass<br />

gerade Angela Merkel sich zu selten den Fragen <strong>der</strong><br />

Journalisten stelle.<br />

Unter <strong>der</strong> Großen Koalition wurde von Regierungsseite<br />

e<strong>in</strong>e regelrechte Informationsoffensive gestartet:<br />

Auf www.cvd.bundesregierung.de werden neben<br />

aktuellen Term<strong>in</strong>en auch eigens erstellte Protokolltexte<br />

aus den Pressekonferenzen <strong>der</strong> Bundesregierung<br />

und <strong>der</strong> Bundesm<strong>in</strong>isterien für akkreditierte<br />

Journalisten zum Abruf bereitgestellt. E<strong>in</strong> weiterer<br />

Service, <strong>der</strong> sich nicht ausschließlich an Journalisten,<br />

son<strong>der</strong>n an die allgeme<strong>in</strong>e Öffentlichkeit richtet, ist<br />

die <strong>in</strong> Kapitel 4.3 erwähnte Videobotschaft <strong>der</strong> Kanzler<strong>in</strong><br />

im Internet. Als <strong>Recherche</strong>quelle wurde <strong>der</strong><br />

Podcast bisher allerd<strong>in</strong>gs nur vere<strong>in</strong>zelt akzeptiert.<br />

Vielmehr s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>ige <strong>der</strong> Befragten überzeugt, dass<br />

das wöchentlich veröffentlichte Onl<strong>in</strong>e-Angebot die<br />

journalistische <strong>Recherche</strong>- und Selektionsfunktion<br />

umgehe, weil die „Medien als Filter“ außer Kraft<br />

gesetzt würden, erklärt Margaret Heckel (Die Welt).<br />

Christoph Schmitz (Bündnis 90/ Die Grünen) hält<br />

den Podcast dagegen für e<strong>in</strong>e „geschickte Art von<br />

Pressemitteilung“, die durch die audiovisuelle Präsentation<br />

<strong>der</strong> Kanzler<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>s authentisch sei.<br />

Demnach ist das Material als journalistische Quelle<br />

ebenso verwertbar wie e<strong>in</strong>e gedruckte Erklärung, die<br />

über alle zur Verfügung stehenden Verteilnetze gestreut<br />

wird – wenn nicht sogar wertvoller. Nichtsdestotrotz<br />

hält sich die Begeisterung ob des zusätzlichen<br />

Quellenangebots <strong>in</strong> Grenzen, weil es zum Ersatz<br />

für notwendige <strong>Recherche</strong>vorgänge wie Interviews<br />

mutiert. Zum Ärger vieler Fernsehjournalisten<br />

quittieren die Regierungssprecher Anfragen vor allem<br />

am Wochenende häufig mit e<strong>in</strong>em Verweis auf<br />

die Videobotschaft, weil nach offiziellen Angaben die<br />

Zeit fehle, den gewachsenen Bedarf an Statements<br />

zu befriedigen. Ulrich Deppendorf von <strong>der</strong> ARD dagegen<br />

hält e<strong>in</strong> solches Vorgehen für unzulässig, da<br />

auf diese Weise an zwei Tagen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Woche journalistische<br />

Fragemöglichkeiten unterbunden werden:<br />

„Wir haben e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>en Podcast als Quelle genommen,<br />

das war e<strong>in</strong> Ausschnitt aus <strong>der</strong> Wochenendansprache<br />

von Frau Merkel, da stand sie e<strong>in</strong>fach<br />

nicht zur Verfügung. Das haben wir aber auch gekennzeichnet.<br />

Doch grundsätzlich müssen wir e<strong>in</strong>e<br />

Grenze ziehen. Wir dürfen unsere journalistische<br />

Rolle nicht aufgeben.“ (Ulrich Deppendorf, ARD)<br />

Demgegenüber hält Gerhard Hofmann (ehem. RTL/<br />

n-tv) die Ablehnung des Podcast als Quelle für unjournalistisch.<br />

Schließlich sei es dem Zuschauer<br />

herzlich egal, welcher Sen<strong>der</strong> für welche Medienmarke<br />

e<strong>in</strong>en Politiker <strong>in</strong>terviewt habe, o<strong>der</strong> ob es<br />

sich um e<strong>in</strong> vorgefasstes Statement handele. Se<strong>in</strong>e<br />

Me<strong>in</strong>ung bleibt aber die Ausnahme: Die Mehrheit <strong>der</strong><br />

befragten Hauptstadtjournalisten erklärt sich unzufrieden<br />

über die aktuelle <strong>Recherche</strong>situation am Wochenende<br />

und den Versuch des Kanzleramts, se<strong>in</strong>e<br />

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