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Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche

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Man mag diesen „Treibhaus“-Effekt, den <strong>der</strong> bedeutende<br />

Schriftsteller <strong>der</strong> Nachkriegszeit für den ehemaligen<br />

Regierungssitz be<strong>in</strong>ahe poetisch beschreibt,<br />

für e<strong>in</strong>e erfrischende Analogie <strong>in</strong> Bezug auf das politische<br />

Klima <strong>der</strong> neuen Hauptstadt halten: Leitende<br />

Korrespondenten, Büroleiter, Redakteure und Pressesprecher<br />

berichten auch <strong>in</strong> unserer Studie von<br />

e<strong>in</strong>er zunehmenden Entfremdung <strong>der</strong> politischen<br />

Klasse – e<strong>in</strong>hergehend mit e<strong>in</strong>er unerträglichen Mediendichte<br />

und e<strong>in</strong>em atemlosen Berichterstattungstempo,<br />

das den Laien schw<strong>in</strong>dlig werden lässt; die<br />

politische Kommunikation, so <strong>der</strong> mehrheitliche Befund<br />

<strong>der</strong> Befragten, habe sich regelrecht verselbständigt<br />

und damit weiter denn je von den Stimmungen<br />

und Problemen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Bevölkerung entfernt.<br />

We<strong>der</strong> Politiker noch Journalisten könnten<br />

noch genau e<strong>in</strong>schätzen, welche Eigendynamik politische<br />

Themen unter den neuen Extrembed<strong>in</strong>gungen<br />

unserer Medienrepublik entfalten: Bei wachsendem<br />

Zeitdruck und Exklusivitätszwang, <strong>der</strong> Vorliebe des<br />

Publikums für personalisierte Homestories und sensationalistische<br />

Politikgeschichten kämpfen die Berichterstatter<br />

an allen Fronten immer radikaler um<br />

Effekte und Anerkennung – dabei s<strong>in</strong>d doch gerade<br />

sie es, die durch ihre tägliche Arbeit Orientierung<br />

bieten und den Mächtigen des politischen Apparates<br />

auf die F<strong>in</strong>ger schauen müssten, wie es e<strong>in</strong>st<br />

Woodward und Bernste<strong>in</strong> vormachten.<br />

Neu <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> (und nicht gerade weniger ernüchternd)<br />

ist auch, dass die Kluft zwischen Medienprom<strong>in</strong>enz<br />

und schlecht ausgebildetem Journalistennachwuchs<br />

unaufhaltsam wächst, während sich die<br />

Armada aus Reportern, Agenturleuten, Korrespondenten<br />

und Kamerateams weiterh<strong>in</strong> um die besten<br />

Bil<strong>der</strong> und Statements prügelt. Mehrere tausend<br />

Berichterstatter treten sich <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> <strong>in</strong>zwischen gegenseitig<br />

auf die Füße, im anstehenden Wahlspektakel<br />

2009 werden es noch e<strong>in</strong>ige hun<strong>der</strong>t mehr se<strong>in</strong> –<br />

Herl<strong>in</strong>de Koelbl (2001) wählte für solche Massenaufläufe<br />

das schöne Paradigma <strong>der</strong> „Meute“, um die<br />

aggressiv-physische Belagerung <strong>der</strong> Politiker durch<br />

die Berl<strong>in</strong>er Medien zu umschreiben.<br />

Die „Meute“ lauert noch wie früher auf ihre Opfer,<br />

doch haben sich e<strong>in</strong>ige Koord<strong>in</strong>aten grundlegend<br />

verschoben: Im R<strong>in</strong>gen um Aufmerksamkeit sche<strong>in</strong>t<br />

<strong>der</strong> geme<strong>in</strong>e Medienmob gegenüber <strong>der</strong> Konkurrenz<br />

noch hektischer, gefräßiger und rücksichtsloser geworden,<br />

zugleich – so paradox das vielleicht kl<strong>in</strong>gen<br />

mag – ist das <strong>in</strong>dividuelle Verhältnis zur Politik merklich<br />

cooler und mo<strong>der</strong>ater als kurz nach <strong>der</strong> Zeit des<br />

Regierungsumzugs, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die Koelbl-Dokumentation<br />

entstand. Betrachtet man heute die Filmsequenzen,<br />

<strong>in</strong> denen Journalisten e<strong>in</strong>zelne Politiker ‚überfallen’,<br />

kommen sie e<strong>in</strong>em so überdreht vor, als stammten<br />

sie aus e<strong>in</strong>em Medienmuseum längst vergangener<br />

Zeiten: Unter <strong>der</strong> Großen Koalition, da gibt es gar<br />

ke<strong>in</strong> Vertun, musste das anfangs so ambitionierte<br />

Projekt „Hauptstadtjournalismus“ eher harmlosen<br />

Zustandsbeschreibungen auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en und strategischen<br />

Positionierungen des politischen Personals auf<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite weichen. Man merkt förmlich, wie<br />

rout<strong>in</strong>iert, aber auch träger und verkopfter <strong>der</strong> politische<br />

<strong>Journalismus</strong> gegenüber den spannungsreichen<br />

Jahren unter Rot-Grün geworden ist.<br />

Der Medien-Hype ist also eigentlich längst verflogen<br />

– allerd<strong>in</strong>gs spricht vieles dafür, dass sich das öffentliche<br />

Interesse schnell wie<strong>der</strong> auf Berl<strong>in</strong> richten<br />

könnte: Wenn 2009 die nächste Bundestagswahl <strong>in</strong>s<br />

Haus steht, werden möglicherweise auch alte Lagermentalitäten<br />

unter konkurrierenden Medienhäusern<br />

aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen. Dann<br />

könnte die Hauptstadt – bestenfalls – wie<strong>der</strong> zur<br />

lebendigen Bühne werden, auf <strong>der</strong> sich allerlei<br />

Selbstdarsteller, Wahlkämpfer und an<strong>der</strong>e schillernde<br />

Randfiguren tummeln, die sich mithilfe <strong>der</strong> Medien<br />

<strong>in</strong> Szene setzen und ihre Botschaften unters<br />

Volk br<strong>in</strong>gen wollen. Kurt Kister, vor e<strong>in</strong>igen Jahren<br />

noch Hauptstadtbüroleiter <strong>der</strong> Süddeutschen Zeitung,<br />

beschrieb Berl<strong>in</strong>-Mitte e<strong>in</strong>mal als „Pfauen<strong>in</strong>sel“<br />

– als e<strong>in</strong>en Ort merkwürdiger Balzrituale und extrovertierten<br />

Imponiergehabes. Und auch diese Metapher<br />

hat nichts von ihrer Aussagekraft e<strong>in</strong>gebüßt:<br />

Neben dem eher schmucklosen Politikalltag existiert<br />

<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> nach wie vor e<strong>in</strong>e politisch dichte, medial<br />

veredelte Atmosphäre, die Politiker und Journalisten<br />

gleichermaßen zu ihrem Vorteil nutzen.<br />

Auch wenn (o<strong>der</strong> gerade: weil) die Balzrituale und<br />

Regelwerke <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundeshauptstadt <strong>in</strong>zwischen<br />

e<strong>in</strong>gespielt s<strong>in</strong>d, steht die Berichterstattung immer<br />

mehr unter dem E<strong>in</strong>fluss e<strong>in</strong>iger wichtiger Korrespondenten,<br />

Wortführer und Leitmedien. Welche<br />

Emulsionen und explosiven Gemische sich aus den<br />

täglichen Berührungen zwischen Medienmachern<br />

und Politikern ergeben, ist bislang allerd<strong>in</strong>gs weitgehend<br />

ungeklärt – es mangelt vor allem an e<strong>in</strong>er<br />

breiten empirischen Studie, die sich den „Zweckgeme<strong>in</strong>schaften“<br />

aus Politik und <strong>Journalismus</strong> nähert,<br />

die im Feuilleton und auf den Medienseiten allenthalben<br />

beklagt werden. Wie resistent das Selbstverständnis<br />

bei<strong>der</strong> Berufsgruppen gegen diesen E<strong>in</strong>fluss<br />

im Politikalltag jeweils bleibt, war bislang wilden<br />

Spekulationen überlassen. Ebenso wenig weiß man<br />

darüber, wie Journalisten und Korrespondenten <strong>in</strong><br />

Berl<strong>in</strong> recherchieren, welche persönlichen Kontakte<br />

sie mit Politikern pflegen, und warum sie manche<br />

Sujets prom<strong>in</strong>enter platzieren als an<strong>der</strong>e.<br />

Verblüffend ist auch, warum die Zeremoniemeister<br />

und Taktgeber im Hauptstadtjournalismus zwar publizistisch<br />

allgegenwärtig s<strong>in</strong>d, bisweilen selbst aber<br />

e<strong>in</strong>en bl<strong>in</strong>den Fleck darstellen: So sehr sie die politischen<br />

Bühnen mit ihren Leitartikeln und Kommentaren<br />

bespielen, mit den Mächtigen aus Regierungsapparat<br />

und Parteivorständen verkehren und verme<strong>in</strong>tliche<br />

Fäden <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrundkreisen ziehen,<br />

so wenig weiß man über sie.<br />

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