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Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche

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lich macht“ (Adler). Der Podcast stelle schon <strong>in</strong>sofern<br />

e<strong>in</strong>e Zäsur, als die Regierung damit die Medien<br />

umgehe und sich direkt an den Endnutzer wende,<br />

sagt Mart<strong>in</strong> Bialecki von <strong>der</strong> dpa:<br />

„Der Podcast ist ja <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong> Novum, als die Regierung<br />

damit die Medien umgeht und sich direkt an<br />

den Endnutzer wendet. Also nicht mehr B2B, son<strong>der</strong>n<br />

direkt. Nun kennen wir das als Nachrichtenagenturen<br />

ja schon etwas länger, weil die Medien<br />

das ja selber auch tun und wir schon lange ke<strong>in</strong>e<br />

Hoheit mehr über die Informationsnetze haben. Das<br />

ist seit vielen Jahren e<strong>in</strong>e Tatsache. Insofern ist das<br />

mal e<strong>in</strong>e Entwicklung, bei <strong>der</strong> die Agenturen ganz<br />

weit vorne stehen, weil sie das schon kennen, dass<br />

<strong>der</strong> Informationsgeber ke<strong>in</strong> Zwischenmedium mehr<br />

nutzt, son<strong>der</strong>n sich direkt an den Bürger wendet.“<br />

(Mart<strong>in</strong> Bialecki, dpa)<br />

„Ärgerlich“ macht <strong>der</strong> Podcast e<strong>in</strong>ige Hauptstadtjournalisten<br />

vor allem deshalb, weil das Kanzleramt<br />

an nachrichtenarmen Wochenenden se<strong>in</strong>e Chef<strong>in</strong><br />

schonen möchte und bei Presseanfragen ke<strong>in</strong>e geson<strong>der</strong>ten<br />

Interviewterm<strong>in</strong>e gewährt, dafür aber<br />

neuerd<strong>in</strong>gs auf die Videobotschaft im Netz verweist.<br />

Dabei reiche die Qualität ke<strong>in</strong>eswegs aus, bemängeln<br />

Sab<strong>in</strong>e Adler und Ulrich Deppendorf – ganz<br />

abgesehen von <strong>der</strong> Missachtung des journalistischen<br />

Pr<strong>in</strong>zips, nur selbst mitgeschnittenes Material für die<br />

wertvolle Sendezeit e<strong>in</strong>zusetzen. Doch bleibt den<br />

Medienschaffenden im Notfall nichts an<strong>der</strong>es übrig,<br />

den Podcast als e<strong>in</strong>e „Stellungnahme wie jede an<strong>der</strong>e<br />

auch“ (Lietz) zu behandeln. Und bei aller Kritik<br />

muss selbst Dieter Wonka <strong>der</strong> Kanzler<strong>in</strong> „Cleverness“<br />

angesichts dieser „Investition <strong>in</strong> die Zukunft“ zugestehen<br />

(Wonka).<br />

Demgegenüber heißt es aus dem engsten Mitarbeiterkreis<br />

Angela Merkels, <strong>der</strong> Podcast sei tatsächlich<br />

nur als Pressemitteilung gedacht gewesen. Die Medien<br />

sollten durch diese Form <strong>der</strong> Direktkommunikation<br />

per Videobotschaft ke<strong>in</strong>eswegs umgangen werden,<br />

stattdessen wolle man ihnen e<strong>in</strong>e zusätzliche<br />

Informationsquelle anbieten. Außerdem sei es e<strong>in</strong>e<br />

veritable Möglichkeit, jüngeren Menschen, die ke<strong>in</strong>e<br />

Zeitung lesen, Politik über das Internet zu vermitteln.<br />

Daneben stünden <strong>der</strong> Kanzler<strong>in</strong> <strong>in</strong> Deutschland<br />

ohneh<strong>in</strong> nur wenige Möglichkeiten offen, sich unmittelbar<br />

an die Bevölkerung zu wenden, verteidigt<br />

Thomas Steg den Podcast: „Die Regierungschef<strong>in</strong><br />

kann e<strong>in</strong>mal im Jahr, und zwar am Silvesterabend,<br />

e<strong>in</strong>e Fernsehansprache halten. In an<strong>der</strong>en westlichen<br />

Demokratien haben Regierungschefs an<strong>der</strong>e<br />

Möglichkeiten, über Ansprachen direkt zu kommunizieren.“<br />

Dass bei Interviewanfragen am Wochenende<br />

teilweise auf den Podcast verwiesen werde, sei<br />

aufgrund term<strong>in</strong>licher Engpässe völlig legitim.<br />

Damit wird <strong>der</strong> Podcast <strong>der</strong> Kanzler<strong>in</strong> gewissermaßen<br />

zum S<strong>in</strong>nbild für die <strong>in</strong> <strong>der</strong> aktuellen Literatur<br />

gelegentlich bemängelte Resistenz <strong>der</strong> Politik (s.<br />

Kap. 2) gegenüber dem Berichterstattungsdruck <strong>der</strong><br />

Medienszene. Bruns erachtet es ohneh<strong>in</strong> als Notwendigkeit,<br />

dass sich die adm<strong>in</strong>istrative Logik <strong>der</strong><br />

Politik vom aufgeheizten Hochgeschw<strong>in</strong>digkeitsdiskurs<br />

<strong>der</strong> Medien entkoppelt: „Zurzeit bef<strong>in</strong>den wir<br />

uns <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er überhitzten, fast revolutionären Phase<br />

<strong>der</strong> Medien und <strong>der</strong> Politik“, glaubt sie und erkennt,<br />

wie auch Kollege Holger Schmale von <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er<br />

Zeitung, kaum noch überschaubare Wechselwirkungen,<br />

die es den Journalisten zunehmend erschweren<br />

zu unterscheiden, was genu<strong>in</strong> politisches Handeln<br />

und was zum Zweck <strong>der</strong> Selbstdarstellung <strong>in</strong>szeniert<br />

wurde. Dennoch sei Politik durch ihre Folgen für die<br />

Öffentlichkeit niemals vollends unabhängig von Mediene<strong>in</strong>flüssen,<br />

stellt Christoph Schmitz fest:<br />

„Die Rede von e<strong>in</strong>er angeblichen Resistenz idealisiert<br />

Politik auf e<strong>in</strong>e Art und Weise, die wahrsche<strong>in</strong>lich<br />

lebensfremd ist. Politik kann nicht vollkommen resistent<br />

gegen die Arbeitsweise von Medien se<strong>in</strong>, das<br />

sollte sie auch nicht. Es gibt zwei Entwicklungen, die<br />

mit <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Medien, aber auch mit dem<br />

Zeitgeist zu tun haben: Zum e<strong>in</strong>en die Fülle von<br />

Medien, zum an<strong>der</strong>en die ungleich höhere Bedeutung,<br />

die elektronische Medien gewonnen haben.<br />

Nicht nur Radio und TV, son<strong>der</strong>n auch Onl<strong>in</strong>e-<br />

Medien. Die Geschw<strong>in</strong>digkeit, mit <strong>der</strong> heutzutage<br />

Nachrichten umgeschlagen werden und allgeme<strong>in</strong><br />

verfügbar s<strong>in</strong>d, lässt ke<strong>in</strong>en Politiker unberührt. Politiker<br />

werden viel häufiger zur Stellungnahme gebeten<br />

und müssen sehr viel schneller sprachfähig se<strong>in</strong>.<br />

Und Fülle bedeutet auch e<strong>in</strong> Mehr an Differenziertheit,<br />

es kommt also zu e<strong>in</strong>er gewissen Verkürzung.<br />

Im Fernsehen s<strong>in</strong>d sowohl Privatsen<strong>der</strong> als auch<br />

öffentlich-rechtliche Sen<strong>der</strong> eher Boulevardmedien<br />

als differenzierte Qualitätsmedien. Das schlägt voll<br />

auf die Politiker durch. Sie haben dadurch e<strong>in</strong>fach<br />

weniger Möglichkeiten, politische Sachverhalte differenziert<br />

darzustellen.“ (Christoph Schmitz, Fraktionssprecher<br />

Die Grünen)<br />

Die politische Kommunikation hat sich unter Berl<strong>in</strong>er<br />

Bed<strong>in</strong>gungen also radikal gewandelt: Nicht nur hat<br />

sich <strong>der</strong> Umschlagplatz für Informationen verdichtet,<br />

ist <strong>der</strong> Konkurrenzdruck <strong>der</strong> Medien untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

immens gewachsen, son<strong>der</strong>n hat sich auch <strong>der</strong><br />

<strong>Journalismus</strong> nach Ansicht <strong>der</strong> Befragten (noch weiter)<br />

von <strong>der</strong> lebensweltlichen Realität <strong>der</strong> Bürger<br />

entfernt. Dazu beigetragen hat nicht nur die neue<br />

‚Metropolenkultur’ und die daraus resultierende<br />

Selbstüberschätzung vieler Beteiligter, son<strong>der</strong>n auch<br />

die zunehmende Durchlässigkeit zwischen handeln<strong>der</strong><br />

Politik, Politikberatung und Medienbranche. So<br />

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