Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche
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zwangsläufig aus ihrem Gesamtkontext gerissen.<br />
Diese Verhackstückung komplexer <strong>Recherche</strong>zusammenhänge<br />
durchkreuzt vor allem denjenigen<br />
Periodika die Themenplanung, die <strong>in</strong> größeren Intervallen<br />
ersche<strong>in</strong>en, zum Beispiel dem Spiegel: „Was<br />
auf e<strong>in</strong>er Blattkonferenz am Anfang <strong>der</strong> Woche exklusiv<br />
sche<strong>in</strong>t, ist am Ende <strong>der</strong> Woche schon von<br />
vielen gemeldet worden, zumal auch die Tageszeitungen<br />
immer mehr Magaz<strong>in</strong>elemente übernehmen.“<br />
(Sever<strong>in</strong> Weiland, Spiegel Onl<strong>in</strong>e) E<strong>in</strong>e Ausnahme<br />
bilden die Leitwölfe und Me<strong>in</strong>ungsführer unter den<br />
Hauptstadtjournalisten, die ohne Term<strong>in</strong>zwänge<br />
vergleichsweise luxuriös und unbee<strong>in</strong>druckt von<br />
organisatorischen Störfaktoren ihren Themen nachspüren<br />
können. Dieter Wonka (Leipziger Volkszeitung)<br />
merkt kritisch an, dass das politische Alltagsgeschäft<br />
für <strong>in</strong>vestigative <strong>Recherche</strong>n jedoch weitgehend<br />
unergiebig sei:<br />
„Aber es gibt ja die professionalisierten <strong>in</strong>vestigativen<br />
deutschen Alpha-Journalisten, die gut davon<br />
leben, dass sie ihre von Staatsanwälten zugelieferten<br />
Papiere dann als <strong>in</strong>vestigative <strong>Recherche</strong> ausgeben.<br />
Manchmal ist das, was man <strong>in</strong> <strong>der</strong> Politik<br />
,f<strong>in</strong>det‘, auch bedeutsam – e<strong>in</strong>fach dadurch, dass<br />
man darüber schreibt. […] Im krim<strong>in</strong>ellen Bereich<br />
kann man sicherlich eher punkten, doch so krim<strong>in</strong>ell<br />
ist die Politszene dann doch nicht.“ (Dieter Wonka,<br />
Leipziger Volkszeitung)<br />
4.4.2. <strong>Recherche</strong>alltag <strong>der</strong> Hauptstadtjournalisten<br />
Der <strong>Recherche</strong>alltag <strong>der</strong> befragten Hauptstadtjournalisten<br />
verläuft relativ simultan: Er beg<strong>in</strong>nt mit <strong>der</strong><br />
Morgenlektüre dessen, was die Konkurrenzmedien –<br />
vor allem die täglich und wöchentlich ersche<strong>in</strong>enden<br />
Leitmedien FAZ, FAS, Süddeutsche Zeitung, Die<br />
Welt, Welt am Sonntag, Die Zeit, Stern, Bild, Bild am<br />
Sonntag, Der Spiegel und Spiegel Onl<strong>in</strong>e – publizieren.<br />
Deren Themenspektrum bee<strong>in</strong>flusst zweifellos<br />
die Agenda fast aller an<strong>der</strong>en Medien, <strong>in</strong>dem sie<br />
meist den Auftakt für Eigenrecherchen geben (vgl.<br />
Kap 4.2). Die Korrespondenten beschränken sich<br />
laut Dieter Wonka (Leipziger Volkszeitung) dabei<br />
allerd<strong>in</strong>gs nicht auf das re<strong>in</strong>e Wie<strong>der</strong>käuen von Leitartikeln<br />
und Kommentaren, son<strong>der</strong>n nehmen die<br />
Sichtweisen dieser Blätter zum Anlass, eigene Thesen<br />
zu entwickeln o<strong>der</strong> Themen stärker zu regionalisieren:<br />
„Ich lese jeden Tag e<strong>in</strong> rundes Dutzend Tageszeitungen<br />
und die wichtigsten Magaz<strong>in</strong>e. Man sollte<br />
sich bewusst se<strong>in</strong>, dass man immer noch von guten<br />
Kollegen lernen kann. […] Die Zeitungslandschaft<br />
wäre langweilig, würde <strong>in</strong> je<strong>der</strong> nur, nach gelegentlicher<br />
FAZ-Art, das Protokoll <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />
notiert werden. Ich lerne gelegentlich auch von <strong>der</strong><br />
Bild-Zeitung, etwa welche Themen man aufgreifen<br />
könnte.“ (Dieter Wonka, Leipziger Volkszeitung)<br />
Die Sichtung von Tageszeitungen bildet damit sowohl<br />
für Redaktionsleiter und Redakteure als auch<br />
für die Korrespondenten e<strong>in</strong>e solide Ausgangsbasis<br />
für weitergehende <strong>Recherche</strong>n, die von rout<strong>in</strong>emäßigen<br />
Onl<strong>in</strong>e-<strong>Recherche</strong>n und Telefonaten mit Pressestellen<br />
und Kollegen begleitet werden, um tiefer <strong>in</strong><br />
das gewünschte Themengebiet e<strong>in</strong>zusteigen. Den<br />
Rest des Tages bestreiten die befragten Korrespondenten<br />
dann meist mit Orts- und Interview-<br />
Term<strong>in</strong>en im Parlament, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundespressekonferenz<br />
o<strong>der</strong> <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Bundesm<strong>in</strong>isterien. Wegen<br />
<strong>der</strong> allseits gewünschten crossmedialen ‚Synergieeffekte’<br />
zwischen verbundenen Redaktionse<strong>in</strong>heiten<br />
ist vor allem <strong>der</strong> Koord<strong>in</strong>ationsbedarf gestiegen.<br />
Am Beispiel des Axel Spr<strong>in</strong>ger Verlags erläutert Redaktionsleiter<strong>in</strong><br />
Margaret Heckel, dass durch die<br />
Zusammenlegung <strong>der</strong> Redaktionen von Welt, Welt<br />
am Sonntag und Berl<strong>in</strong>er Morgenpost jeweils mehr<br />
Personalressourcen zur Verfügung stünden, wodurch<br />
<strong>in</strong>tensivere <strong>Recherche</strong>n ermöglicht und vertieft würden.<br />
Auch Günter Bannas (FAZ) pocht auf solide<br />
<strong>Recherche</strong>n: „Manchmal ist es schwer, Informationen<br />
zu bekommen. Manchmal ist es leicht. Manchmal<br />
wird man auch benutzt. Aber was will man dagegen<br />
tun?“ Wer möglichst viele Informationen aus<br />
unterschiedlichen Quellen zusammentrage, verr<strong>in</strong>gere<br />
natürlich das Risiko, <strong>Recherche</strong>fehler zu machen<br />
o<strong>der</strong> Informanten zu enttarnen. Dennoch werde<br />
oftmals kostbare Arbeitszeit verplempert, weil man<br />
mit überflüssigen Informationen zugeschüttet werde,<br />
me<strong>in</strong>t Bannas. Sich auf das Wesentliche zu konzentrieren,<br />
werde durch die digitalen Kanäle schwieriger.<br />
Vor allem die Arbeit von Nachrichtenagenturen,<br />
die den angeschlossenen Medienhäusern immer<br />
häufiger e<strong>in</strong>en Full-Service anbieten, s<strong>in</strong>d diesbezüglich<br />
Symptom und Triebkraft, erklärt Thomas Rietig<br />
(Associated Press):<br />
„Die Grundidee <strong>der</strong> Agenturen ist, dass sich Medien<br />
zusammenschließen, um Korrespondenten auf Term<strong>in</strong>e<br />
zu schicken, die sie sich als e<strong>in</strong>zelne Zeitungen<br />
o<strong>der</strong> Rundfunkanstalten nicht leisten können. E<strong>in</strong>e<br />
Reckl<strong>in</strong>ghäuser Zeitung kann es sich sicherlich nicht<br />
leisten, bei allen EU-Gipfeln und allen Kanzler<strong>in</strong>-<br />
Reisen dabei zu se<strong>in</strong>, von denen letztere jeweils<br />
e<strong>in</strong>en Wert von jeweils etwa 5.000 Euro haben, also<br />
Arbeitszeit und Spesen <strong>in</strong>klusive Flugrechnung. Das<br />
ist <strong>der</strong> Grund, aus dem sie Agenturen haben, damit<br />
die das für sie erledigen. […] Wir haben festgestellt<br />
[…], dass das Interesse unserer Kunden an werten-<br />
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