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Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche

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Sommer herrscht ja immer Hochbetrieb.“ (Nico<br />

Fried, Süddeutsche Zeitung)<br />

Dass sich <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>-Mitte schnell e<strong>in</strong> Kanon von schillernden<br />

Treffpunkten herausgebildet hat, wird auf<br />

den Mangel an Etablissements kurz nach dem Regierungsumzug<br />

zurückgeführt: „Als Politik und Medien<br />

1999 nach Berl<strong>in</strong> kamen, kannten sie <strong>in</strong> Mitte halt<br />

nur das Restaurant Borchardt. Unter den L<strong>in</strong>den gab<br />

es auch weniger Lokale als heute. Also waren sie im<br />

Borchardt o<strong>der</strong> am Savignyplatz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Paris Bar“,<br />

er<strong>in</strong>nert sich Günter Bannas (FAZ). Es entwickelte<br />

sich e<strong>in</strong> be<strong>in</strong>ahe synergetisches Verhältnis zwischen<br />

den Gastronomiebetreibern, die ihre prom<strong>in</strong>ente<br />

Kundschaft auch heute noch gerne umgarnen, und<br />

den Gästen aus Politik und Medienbetrieb, die sich<br />

mit <strong>der</strong> Diskussion sche<strong>in</strong>bar relevanter Vorgänge <strong>in</strong><br />

aller Öffentlichkeit zu profilieren suchten. Die „Bil<strong>der</strong><br />

im Kopf“ bedient also e<strong>in</strong>en Mythos, <strong>der</strong> erst <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Metropole des politischen Glamours geboren wurde.<br />

E<strong>in</strong>e Konsequenz sei „e<strong>in</strong> ständiges Balzen“, so Bialecki,<br />

das aber für die Wahrnehmung <strong>der</strong> beruflichen<br />

Pflichten auf beiden Seiten ke<strong>in</strong>en Vorteil br<strong>in</strong>ge.<br />

Auch wenn immer weniger Zeit ist für das geme<strong>in</strong>same<br />

Mittagessen aufgebracht wird, s<strong>in</strong>d die buchstäblich<br />

beschaulichen Treffen nicht seltener geworden.<br />

Sie haben sich nur früher <strong>in</strong> den Morgen und<br />

später <strong>in</strong> den Abend verschoben. Schon bevor das<br />

eigentliche Tagesprogramm beg<strong>in</strong>nt, sitzen Journalisten<br />

und Politiker beim Frühstück im Café E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong>,<br />

um zu erörtern, was wichtig wird. Es s<strong>in</strong>d bisweilen<br />

so viele, dass Ulrich Deppendorf (ARD) es längst<br />

aufgegeben hat, auf dem Weg zu se<strong>in</strong>em Büro an<br />

dem Café Halt zu machen. Am Abend trifft man sich<br />

<strong>in</strong> den Restaurants Borchardt, San Nicci o<strong>der</strong> Grill<br />

Royal, allesamt <strong>in</strong> Reichweite <strong>der</strong> Hauptstadtbüros.<br />

Um wichtige <strong>in</strong>haltliche Gespräche zu führen, würden<br />

aber an<strong>der</strong>e Lokalitäten aufgesucht, weiß <strong>der</strong><br />

Gesellschaftskolumnist Ma<strong>in</strong>hardt Graf von Nayhauß:<br />

„Man trifft sich h<strong>in</strong> und wie<strong>der</strong>, etwa zum H<strong>in</strong>tergrundgespräch,<br />

besucht sich persönlich. Das f<strong>in</strong>det<br />

auch Zuhause statt, aber niemals an so exponierten<br />

Stellen wie <strong>in</strong> den Berl<strong>in</strong>er Top-Restaurants Borchardt<br />

o<strong>der</strong> Café E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong>. Dort gehe ich ungern mit<br />

e<strong>in</strong>em Politiker h<strong>in</strong>. Man wird ständig von Menschen<br />

unterbrochen, die an den Tisch kommen, um besagten<br />

Politiker anzusprechen, mir also die Zeit stehlen.<br />

Ich bevorzuge e<strong>in</strong> Lokal, das möglichst ke<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er<br />

Politiker o<strong>der</strong> Journalist besucht, etwa e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es<br />

ch<strong>in</strong>esisches <strong>in</strong> unspektakulärer Gegend.“ (Ma<strong>in</strong>hardt<br />

Graf von Nayhauß, Bild/ Bunte)<br />

Um e<strong>in</strong>e angenehme Gesprächsatmosphäre herzustellen,<br />

braucht es nicht unbed<strong>in</strong>gt Abgeschiedenheit,<br />

son<strong>der</strong>n vor allem Diszipl<strong>in</strong>, f<strong>in</strong>det Sever<strong>in</strong> Weiland<br />

(Spiegel Onl<strong>in</strong>e). Eher unspektakulär, aber ertragreich<br />

verlaufen se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach <strong>in</strong>formelle Treffen<br />

während Fraktions- und Vorstandsklausuren<br />

o<strong>der</strong> Parteitagen, auf denen es offenbar ganz natürlich<br />

ist, sich <strong>in</strong> den Pausen bei e<strong>in</strong>er Tasse Kaffee<br />

auf e<strong>in</strong>en Plausch zu treffen. Dies wird von SPD-<br />

Fraktionssprecher Lars Kühn bestätigt, <strong>der</strong> sich nach<br />

eigener Aussage selbst noch nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> genannten<br />

Restaurants hat blicken lassen.<br />

Generell wird e<strong>in</strong>e gewisse Nähe als essentieller<br />

Bestandteil des <strong>Recherche</strong>-Rüstzeugs betrachtet, um<br />

beim <strong>in</strong>formellen Informationsumschlag nicht abgehängt<br />

zu werden. Der durchschnittliche Journalist<br />

könne es sich nicht wie Frank Plasberg leisten zu<br />

konstatieren, dass man nicht nach Berl<strong>in</strong> gehen<br />

dürfe, um nicht irgendjemandem zu nahe zu kommen,<br />

sagt Gerhard Hofmann (ehem. RTL/ n-tv): „Im<br />

Grill Royal war ich noch nicht, aber Sie kommen <strong>in</strong><br />

Berl<strong>in</strong> ohne e<strong>in</strong>e gewisse Nähe nicht aus.“ Dennoch<br />

bezweifeln e<strong>in</strong>ige Befragte, dass Politiker, etwa bei<br />

Zufallsbegegnungen mit Journalisten, überhaupt aus<br />

dem Nähkästchen plau<strong>der</strong>n würden. Der Brite Roger<br />

Boyes (Times) stellt dazu lakonisch fest: „Würde ich<br />

mit Wolfgang Tiefensee im Fahrstuhl stecken bleiben<br />

und hätte 20 M<strong>in</strong>uten Zeit, um absolut diskret zu<br />

sprechen, wüsste ich nicht, was ich ihn fragen sollte.“<br />

Der Boulevardpresse, vor allem <strong>der</strong> Bild-Zeitung,<br />

geht es oftmals freilich um nichts an<strong>der</strong>es: das Fahrstuhl-Pr<strong>in</strong>zip,<br />

sprich: Will die Politprom<strong>in</strong>enz im<br />

Fahrstuhl mit nach ganz oben fahren, muss sie bei<br />

Liebesverweigerung auch schon mal damit rechnen,<br />

wie<strong>der</strong> runter gefahren zu werden. Zwar halten sich<br />

die Qualitätsmedien und Agenturen nach Aussage<br />

von Mart<strong>in</strong> Bialecki (dpa) e<strong>in</strong>trächtig an den Pressekodex<br />

und lassen das Privatleben von Politikern<br />

unangetastet – allerd<strong>in</strong>gs nur solange, bis das Private<br />

politisch relevant wird bzw. ohneh<strong>in</strong> von <strong>der</strong> Konkurrenz<br />

enthüllt wird: „Wenn es erstmal öffentlich<br />

ist, kann man darüber schreiben. Es ist dann e<strong>in</strong>e<br />

Information, die man nicht mehr zurückholen kann.“<br />

(Tissy Bruns, Der Tagesspiegel). Das Vorgehen ist<br />

dabei recht unterschiedlich, erklärt Dieter Wonka<br />

(Leipziger Volkszeitung):<br />

„Das ist auch gar nicht so tragisch. Im Fall Seehofer<br />

hatte ich beispielsweise ganz gute Informationen.<br />

Und ich konnte mich noch gut daran er<strong>in</strong>nern, wie <strong>in</strong><br />

früheren Stoiber-Zeiten <strong>in</strong> <strong>der</strong> CSU politisch <strong>in</strong> und<br />

mit <strong>der</strong> Privatsphäre von Theo Waigel gearbeitet<br />

wurde. […] In <strong>der</strong> Regel läuft das Enthüllen von<br />

Privataffären o<strong>der</strong> privaten D<strong>in</strong>gen so ab, dass an<strong>der</strong>e<br />

Politiker Journalisten ansprechen, um sie darauf<br />

aufmerksam zu machen, dass <strong>der</strong> Parteifreund o<strong>der</strong><br />

Parteigegner etwas laufen hat o<strong>der</strong> dort etwas nicht<br />

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