Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche
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normalerweise auch wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>. Politiker s<strong>in</strong>d viel<br />
härter im Nehmen, als viele glauben. Wenn all das<br />
über mich geschrieben würde, was über Politiker<br />
geschrieben wird... Was die Politiker alles ertragen<br />
müssen, davor habe ich e<strong>in</strong>en Heidenrespekt! Jede<br />
Wildsau schrubbt sich an dieser Eiche. Es ist aber<br />
<strong>der</strong> Preis, den man für diese außergewöhnliche Aufgabe<br />
zahlen muss. Und das wissen die Politiker<br />
auch. Natürlich gibt es das Problem von Nähe und<br />
Distanz. Was bleibt uns auch an<strong>der</strong>es übrig? Wir<br />
müssen versuchen, an die ranzukommen und trotzdem<br />
die Distanz zu wahren.“ (Christoph Schwennicke,<br />
Der Spiegel)<br />
4.4.5. Informelle Kontakte<br />
Gunter Hofmann (Die Zeit) boykottiert H<strong>in</strong>tergrundrunden,<br />
unterhält aber trotzdem exzellente Kontakte<br />
<strong>in</strong> die Politik. Er beklagt vor allem das fehlende<br />
Interesse vieler Kollegen für tiefergehende <strong>Recherche</strong>n.<br />
Vor allem Fernsehjournalisten pflegten se<strong>in</strong>er<br />
Me<strong>in</strong>ung nach mehr ihre Eitelkeit, als dass sie sich<br />
h<strong>in</strong>ter die Kulissen begeben würden, um herauszuf<strong>in</strong>den,<br />
was sich abseits öffentlicher Statements<br />
politisch wirklich zutrage. Sche<strong>in</strong>bare Kontextualisierung<br />
erfolge allenfalls <strong>in</strong> <strong>der</strong> schillernden Öffentlichkeit<br />
e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>schlägigen Cafés o<strong>der</strong> Restaurants <strong>in</strong><br />
Berl<strong>in</strong>-Mitte, um sich bei <strong>der</strong> angeblichen <strong>Recherche</strong><br />
zu zeigen. Sollte <strong>der</strong> Wille, tatsächlich mehr über die<br />
H<strong>in</strong>tergründe politischer Prozesse zu erfahren, vorhanden<br />
se<strong>in</strong>, sei aber gegen solche Treffen nichts<br />
e<strong>in</strong>zuwenden. Der Nutzen <strong>in</strong>formeller Kontakte <strong>in</strong><br />
aller Öffentlichkeit wird h<strong>in</strong>gegen von <strong>der</strong> Mehrheit<br />
<strong>der</strong> Befragten bezweifelt. Mart<strong>in</strong> Bialecki (dpa): „Wie<br />
sich die gleichen Leute, die abends noch fröhlich<br />
Sekt mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> getrunken haben, am nächsten<br />
Tag ernsthaft professionell beharken können sollen,<br />
das fällt mir immer schwer, ihnen das abzunehmen.“<br />
E<strong>in</strong>erseits werde sich „nie<strong>der</strong>geduzt“, an<strong>der</strong>erseits<br />
mit scharfem Griffel nie<strong>der</strong>geschrieben.<br />
Die Ursache des wi<strong>der</strong>sprüchlichen Verhältnisses<br />
mancher Journalisten zu Vertretern <strong>der</strong> Politik wird<br />
vor allem <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er opportunistischen Wankelmütigkeit<br />
vermutet. An Orten wie dem Café E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong> treffe<br />
sich angeblich nur die politische Elite des Landes,<br />
behuptet Jens König (ehem. taz): „Ich meide diesen<br />
Ort allerd<strong>in</strong>gs. Hier wird viel W<strong>in</strong>d um nichts gemacht.<br />
Und man wird von allen gesehen.“ Das Sehen-und-Gesehen-Werden<br />
schränkt nach Auffassung<br />
<strong>der</strong> Befragten deutlich die eigene Sicht e<strong>in</strong>: <strong>Recherche</strong><br />
spielt demnach bei Verabredungen <strong>in</strong> Aufmerksamkeitsmagneten<br />
wie dem Café E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong>, den Restaurants<br />
Borchardt und Grill Royal kaum e<strong>in</strong>e Rolle:<br />
„Wenn ich etwas Vertrauliches mit Jemandem zu<br />
besprechen habe, gehe ich sicher nicht <strong>in</strong>s E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong>.<br />
Privat ist das was an<strong>der</strong>es. Ich gehe da h<strong>in</strong>, wenn<br />
ich Spaß haben möchte, weil ich den Ort an sich<br />
mag. Wer wichtig o<strong>der</strong> bekannt genug ist, geht dort<br />
h<strong>in</strong>, wenn er mit jemandem gesehen werden möchte.<br />
Mit Sicherheit. Das ist <strong>der</strong> Laufsteg. Das ist völlig<br />
ungeeignet für e<strong>in</strong> s<strong>in</strong>nvolles, sozusagen offizielles<br />
Gespräch und nicht Teil me<strong>in</strong>er professionellen Umgebung.<br />
Daher haben wir uns für das Gespräch auch<br />
hier <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Büro getroffen.“ (Mart<strong>in</strong> Bialecki,<br />
dpa)<br />
Nach Me<strong>in</strong>ung von Michael Spreng steuern viele<br />
Politiker solche Orte genau deshalb an: um zu zeigen,<br />
dass es sie noch gibt. Auch aus diesem Grund<br />
hält Tissy Bruns vom Tagesspiegel die Atmosphäre<br />
an <strong>der</strong>lei Orten für eher h<strong>in</strong><strong>der</strong>lich und erklärte sich<br />
für unser Interview im Rahmen <strong>der</strong> Studie nur ausnahmsweise<br />
für e<strong>in</strong> Treffen im Café E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong> bereit:<br />
„Die Legende, dass wir ständig im Borchardt und<br />
E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong> sitzen und Politikergespräche führen, trifft<br />
auf mich und 99 Prozent me<strong>in</strong>er Zunft nicht zu. Daran<br />
erkennt man wahrsche<strong>in</strong>lich den Unterschied<br />
zwischen Alphajournalisten und Medienbrötlern.“<br />
(Tissy Bruns, Der Tagesspiegel)<br />
Die Pflege <strong>in</strong>formeller Kontakte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Edelgastronomie<br />
geschieht <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> wie zuvor bereits <strong>in</strong> Bonn<br />
angeblich aus re<strong>in</strong> pragmatischen Gründen. Das<br />
Café E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong> liegt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Mittellage auf <strong>der</strong> Nordseite<br />
<strong>der</strong> Prachtstraße Unter den L<strong>in</strong>den auf dem<br />
Dienstweg zahlreicher Abgeordneter und Korrespondenten.<br />
Peter Frey vom ZDF ist <strong>der</strong> E<strong>in</strong>zige unter<br />
den Befragten, <strong>der</strong> freimütig preisgibt, dass er sich<br />
gerne dabei zeigt, wie er „mal mit dem, mal mit<br />
jenem“ zusammensitze. Das sei auch als Zeichen<br />
von Transparenz zu verstehen, <strong>in</strong>dem er für Gespräche<br />
„nicht <strong>in</strong>s H<strong>in</strong>terzimmer“ gehe. Pragmatische<br />
Gründe könnten auch die Redakteure <strong>der</strong> Süddeutschen<br />
Zeitung vorbr<strong>in</strong>gen, da ihr Büro nur wenige<br />
Stockwerke über dem Borchardt liegt. Büroleiter<br />
Nico Fried hält das Restaurant aber nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
an<strong>der</strong>en S<strong>in</strong>n für e<strong>in</strong>e lohnende <strong>Recherche</strong>quelle:<br />
„Das Borchardt nutzt uns wenig, weil wir uns das<br />
auf Dauer gar nicht leisten können. Das ist allenfalls<br />
e<strong>in</strong> Bonbon, wenn die Chefs mal da s<strong>in</strong>d – dann<br />
gehen wir da essen. Aber das Borchardt ist nicht<br />
unsere Kant<strong>in</strong>e, obwohl die auch e<strong>in</strong>en Mittagstisch<br />
haben. Der Vorteil ist, dass wir im Sommer von oben<br />
auf die Außenterrasse schauen können, um herauszuf<strong>in</strong>den,<br />
wer sich dort wie<strong>der</strong> sehen lässt. Im<br />
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