Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche
Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche
Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
4.3. Politische Kommunikation <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />
4.3.1. Vom Treibhaus Bonn zur Kommunikationsblase<br />
Berl<strong>in</strong><br />
Dass vor den Regierungsjahren <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> so manches<br />
an<strong>der</strong>s war, nämlich die geografischen Distanzen<br />
kürzer, <strong>der</strong> journalistische Redaktionsalltag gemächlicher<br />
und die politischen Lager leichter ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />
zu halten, ist vor allem von den erfahrenen <strong>der</strong> befragten<br />
Journalisten überliefert, von denen sich e<strong>in</strong>ige<br />
be<strong>in</strong>ahe sehnsüchtig <strong>in</strong> die unaufgeregte Bonner<br />
Medienkulisse zurückwünschen. Etliche Korrespondenten<br />
mussten mit dem Regierungsumzug ihre<br />
Wohnorte, ihr gesamtes soziales Umfeld im Rhe<strong>in</strong>land<br />
aufgeben und sich dem tief greifenden strukturellen<br />
Wandel am neuen Regierungssitz stellen, um<br />
ihre Karrieren nicht zu gefährden. Der Großteil <strong>der</strong><br />
Positionen <strong>in</strong> den Hauptstadtbüros – „etwa 80 Prozent“,<br />
schätzt Günter Bannas (FAZ) – wurde jedoch<br />
an<strong>der</strong>weitig vergeben, auch weil sich viele ältere<br />
Kollegen, die damals Ende 50, Anfang 60 waren,<br />
nicht auf die Großstadt e<strong>in</strong>lassen wollten o<strong>der</strong> – zum<br />
Beispiel aus familiären Gründen – nicht konnten und<br />
sich e<strong>in</strong>en eher verzögerten Bedeutungsverlust <strong>der</strong><br />
e<strong>in</strong>stmaligen Hauptstadt erhofften, da (vorerst) noch<br />
e<strong>in</strong>e Reihe wichtiger M<strong>in</strong>isterien <strong>in</strong> Bonn verblieben.<br />
Das hatte zur Konsequenz, dass sich große Redaktionen<br />
bildeten, „<strong>in</strong> denen kaum noch jemand dabei<br />
ist, <strong>der</strong> schon aus Bonn berichtet hatte“ (Günter<br />
Bannas, FAZ).<br />
Mit <strong>der</strong> Umsiedelung des Regierungsapparats nach<br />
Berl<strong>in</strong>-Mitte explodierte dann plötzlich das publizistische<br />
Angebot, angetrieben vor allem durch die<br />
elektronischen Medien Fernsehen und Internet –<br />
und damit potenzierten sich auch die Probleme und<br />
Widrigkeiten im Hauptstadtjournalismus, <strong>der</strong> fortan<br />
nur noch wenig mit <strong>der</strong> verme<strong>in</strong>tlichen Gemütlichkeit<br />
im Bonner „Treibhaus“ (Wolfgang Koeppen) zu tun<br />
hatte. Berl<strong>in</strong> stand von Beg<strong>in</strong>n an für e<strong>in</strong>en Paradigmenwechsel<br />
– auch im Mediensektor – und wurde<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> e<strong>in</strong>schlägigen Literatur (vgl. auch Kap. 2)<br />
häufig als krasser Gegenpol zum verschlafenen Örtchen<br />
Bonn beschrieben. Günter Bannas hält das<br />
jedoch schlicht für e<strong>in</strong> Vorurteil <strong>der</strong>er, die nie <strong>in</strong><br />
Bonn als Journalisten gearbeitet haben: Natürlich sei<br />
Bonn viel kle<strong>in</strong>er als Berl<strong>in</strong>, aber deshalb noch lange<br />
nicht h<strong>in</strong>terwäldlerisch gewesen; dies gehöre zu den<br />
großen Irrtümern, die den Neuanfang <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er<br />
<strong>Republik</strong> erheblich prägten: „Das führt auch <strong>in</strong>sofern<br />
zu e<strong>in</strong>er Fehle<strong>in</strong>schätzung Berl<strong>in</strong>s, dass die Stadt<br />
von vornhere<strong>in</strong> als Metropole wahrgenommen wird.“<br />
Dieses Metropolengefühl, das alsbald die Haltung<br />
vieler Hauptstadtmedien bee<strong>in</strong>flusste, habe letztlich<br />
dazu geführt, dass <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> bis heute nur das greife,<br />
„was zwischen Alexan<strong>der</strong>platz und Brandenburger<br />
Tor wahrnehmbar ist.“<br />
Dieser weltstädtische Gestus Berl<strong>in</strong>s, sich für den<br />
„Nabel <strong>der</strong> Welt“ zu halten, schlägt sich spürbar<br />
auch auf die parteipolitische Verortung vieler Journalisten<br />
nie<strong>der</strong>. Zwar wird noch gelegentlich so etwas<br />
wie Lagerjournalismus praktiziert, zum<strong>in</strong>dest<br />
nach dem E<strong>in</strong>druck von Christoph Schmitz, Pressesprecher<br />
<strong>der</strong> Bundestagsfraktion von Bündnis90/ Die<br />
Grünen und Ex-Bild-Korrespondent, wenn er an die<br />
Unterteilung <strong>in</strong> konservative Spr<strong>in</strong>ger-Presse, die<br />
„sozialdemokratische geprägte“ Frankfurter Rundschau<br />
o<strong>der</strong> die „l<strong>in</strong>ks-progressive“ taz denkt. Doch<br />
offen zutage treten politische Sympathiebekundungen<br />
nur noch selten: „In den 1970er Jahren g<strong>in</strong>g<br />
das <strong>in</strong> Bonn sogar so weit, dass ,l<strong>in</strong>ke‘ und ,rechte‘<br />
Korrespondenten nicht mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> redeten. Die<br />
kannten sich nicht und weigerten sich lange auch,<br />
sich kennen zu lernen. Das ist heute natürlich viel<br />
lockerer.“ (Günter Bannas) Selbst wenn die neue<br />
Leichtigkeit nicht (nur) an Berl<strong>in</strong> selbst liegt, wie<br />
Bannas betont, son<strong>der</strong>n sich das Verhältnis <strong>der</strong><br />
Journalisten untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> bereits seit den 1980er<br />
Jahren entspannt hat, wird dadurch offenbar die<br />
Fähigkeit des Publikums erschwert, die Journalisten<br />
parteipolitisch e<strong>in</strong>deutig zuzuordnen:<br />
„Zum Beispiel bekommen wir häufig Anrufe <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Redaktion, die verdeutlichen, dass me<strong>in</strong>e Zuhörer<br />
ständig versuchen herauszuf<strong>in</strong>den, welcher Partei<br />
ich nahe stehe, ob ich also eher e<strong>in</strong>e CDU-Frau, e<strong>in</strong>e<br />
SPD-Frau o<strong>der</strong> Grünen-freundlich b<strong>in</strong>. Auf die FDP<br />
o<strong>der</strong> L<strong>in</strong>kspartei ist aber noch niemand gekommen.<br />
Für mich ist das beruhigend, denn wenn ich mal zu<br />
diesem und dann zu jenem Parteispektrum gerechnet<br />
werde, ist es offenbar ausgeglichen, was heißt,<br />
dass ich me<strong>in</strong>e Arbeit richtig mache“ (Sab<strong>in</strong>e Adler,<br />
Deutschlandfunk).<br />
Ob <strong>der</strong>lei parteipolitische Unbefangenheit nun för<strong>der</strong>lich<br />
für die Orientierung des Publikums ist o<strong>der</strong><br />
nicht – für <strong>der</strong>lei Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen mit dem<br />
eigenen Rollen-Selbstverständnis fehlt den meisten<br />
Medienschaffenden ohneh<strong>in</strong> die Zeit: Während Berl<strong>in</strong>s<br />
Journalisten tagsüber gegene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> um öffentliche<br />
Aufmerksamkeit im Nachrichten-<br />
Durche<strong>in</strong>an<strong>der</strong> kämpfen, wird abends e<strong>in</strong>trächtig mit<br />
den Mächtigen aus Politik und Wirtschaft gefeiert.<br />
Bei rauschenden Firmenfesten von Großunternehmen<br />
wie Arcandor, Vodafone o<strong>der</strong> Vattenfall sowie<br />
auf den berüchtigten Branchen-Events wie den Ver-<br />
43