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Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche

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„Wenn die Kreise zu groß s<strong>in</strong>d, also über 20 o<strong>der</strong> 30<br />

Leute, dann steigt die Gefahr, dass etwas nach<br />

draußen dr<strong>in</strong>gt. Wir haben das schon erlebt. Dann<br />

f<strong>in</strong>den sich plötzlich am nächsten Tag Zitate daraus<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeitung. Die entsprechenden Journalisten<br />

haben allerd<strong>in</strong>gs auch e<strong>in</strong>e klare Rückmeldung bekommen.<br />

Denn das ist nicht <strong>in</strong> Ordnung. Ab 15 Personen<br />

wird e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>tergrundkreis sehr anstrengend,<br />

man braucht schon fast e<strong>in</strong> Mikrophon, das ist für<br />

e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>tergrundgespräch völlig wi<strong>der</strong>s<strong>in</strong>nig.“ (Iris<br />

Bethge, Bundesm<strong>in</strong>isterium für Soziales, Familie,<br />

Frauen und Jugend)<br />

Christoph Schwennicke (Der Spiegel) hat aber den<br />

Glauben an die Selbstheilungskraft des Systems<br />

noch nicht verloren: „Journalistische Revolverhelden“<br />

könnten zwar durch unsauberes Arbeiten e<strong>in</strong>ige<br />

Kerben an ihren Revolver machen, doch seien<br />

das häufig sogleich ihre letzten. „Die meisten dieser<br />

Kollegen s<strong>in</strong>d hier <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> entwe<strong>der</strong> nur sehr kurz<br />

o<strong>der</strong> sehr lange. Die nur sehr kurz da s<strong>in</strong>d, hatten<br />

meistens zu schnell zu viel auf dem Kerbholz.“<br />

Es liegt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gegensätzlichkeit <strong>der</strong> beruflichen Ziele<br />

von Politikern und Journalisten begründet, dass das<br />

Vertrauensverhältnis zwischen diesen öffentlichen<br />

Akteuren begrenzt ist. Der Politiker möchte Mehrheiten<br />

gew<strong>in</strong>nen, <strong>der</strong> Journalist (hoffentlich) politische<br />

Verfehlungen aufdecken. Journalisten hoffen auf<br />

Indiskretionen, Politiker fürchten o<strong>der</strong> streuen sie<br />

absichtlich. In diesem Spannungsfeld muss man sich<br />

gegenseitiges Vertrauen hart erarbeiten. Dies wird<br />

aber schon dadurch unterm<strong>in</strong>iert, dass es <strong>in</strong> Redaktionen<br />

üblich geworden ist, Informationen aus H<strong>in</strong>tergrundkreisen<br />

zentral zu erfassen und allen Journalisten<br />

<strong>der</strong> jeweiligen Redaktion als Informationsquelle<br />

zur Verfügung zu stellen. Daraus resultiert,<br />

dass sich Dritte möglicherweise nicht an die Vertraulichkeitsregel<br />

gebunden fühlen und die Information<br />

<strong>in</strong> unzulässigen Kontexten verwenden:<br />

„Die Unter-drei-Regelung wird <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> viel häufiger<br />

verletzt als früher, und sei es auch nur auf dem<br />

Umweg e<strong>in</strong>er absichtslosen Geschwätzigkeit: Jemand<br />

erzählt etwas und sagt: ,das aber nur ‚unter<br />

drei’‘, und beim dritten Weitererzählen wird das<br />

,unter drei‘ weggelassen und alles ist auf e<strong>in</strong>mal<br />

doch als Meldung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt. Der Erstmitteiler<br />

denkt sich dann: ,Ja, sp<strong>in</strong>ne ich denn, ich hab doch<br />

‚unter drei’ gesagt.‘ Manchmal wird es allerd<strong>in</strong>gs<br />

auch absichtlich durchbrochen.“ (Gerhard Hofmann,<br />

ehem. RTL/ n-tv)<br />

Bei <strong>der</strong> ARD beispielsweise werden die Ergebnisse<br />

<strong>der</strong> H<strong>in</strong>tergrundkreise, <strong>in</strong> denen die e<strong>in</strong>zelnen Korrespondenten<br />

Mitglied s<strong>in</strong>d, protokolliert und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />

<strong>in</strong>ternen E-Mail-Verteiler gestellt, auf den je<strong>der</strong><br />

Angestellte zugreifen und lesen kann, was besprochen<br />

wurde. Auch beim Deutschlandfunk werden die<br />

Erkenntnisse untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> geteilt:<br />

„Term<strong>in</strong>e <strong>in</strong> H<strong>in</strong>tergrundrunden s<strong>in</strong>d für mich ohneh<strong>in</strong><br />

unverzichtbar, vor allem um Sachverhalte erklärt<br />

zu bekommen. […] Ich b<strong>in</strong> Mitglied im Wohnzimmerkreis,<br />

im Brückenkreis und im Deutschen Presseclub.<br />

Dann gibt es noch viele an<strong>der</strong>e H<strong>in</strong>tergrundgespräche<br />

außer <strong>der</strong> Reihe, zu denen e<strong>in</strong>zelne Parteien<br />

o<strong>der</strong> Sachpolitiker laden. […] Me<strong>in</strong>e Kollegen im<br />

Hauptstadtstudio des Deutschlandradios gehen <strong>in</strong><br />

an<strong>der</strong>e H<strong>in</strong>tergrundkreise, so dass wir überall gut<br />

repräsentiert s<strong>in</strong>d. Dieses Wissen fließt natürlich<br />

<strong>in</strong>direkt <strong>in</strong> unsere Arbeit e<strong>in</strong>. Ich kann unser Studio<br />

besser leiten, wenn ich aus nächster Nähe beobachte,<br />

wie sich e<strong>in</strong> Thema gerade zu entwickeln beg<strong>in</strong>nt.“<br />

(Sab<strong>in</strong>e Adler, Deutschlandradio)<br />

Wenn das Vertrauen gebrochen wird und sich Äußerungen<br />

des prom<strong>in</strong>enten Politikers am nächsten<br />

Morgen schwarz auf weiß mit Namensnennung<br />

nachlesen lassen, steckt <strong>der</strong> ungewollt zitierte Gast<br />

meist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zwickmühle: E<strong>in</strong>e Dementierung steht<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel nicht zur Debatte, da dies den politischen<br />

Schaden, <strong>der</strong> durch die Veröffentlichung bereits<br />

angerichtet wurde, noch verschlimmern würde.<br />

Die Konsequenz ist e<strong>in</strong>e Sanktionierung des betreffenden<br />

Journalisten und e<strong>in</strong>e ausgeprägte Verschlossenheit<br />

bei zukünftigen H<strong>in</strong>tergrundgesprächen<br />

– was wie<strong>der</strong>um allen H<strong>in</strong>tergrundkreisen<br />

schadet. Politiker gehen deshalb dazu über, selbst<br />

ausgewählte Journalisten e<strong>in</strong>zuladen, um unter eigenen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen bestimmte Themen zu erörtern:<br />

„Da laden Frau Merkel, Herr Kau<strong>der</strong>, Herr Struck<br />

o<strong>der</strong> Herr Ste<strong>in</strong>brück e<strong>in</strong>. Die parlamentarischen<br />

Geschäftsführer tun es auch, zum Beispiel Olaf<br />

Scholz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hamburg-Vertretung. E<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es<br />

Frühstück <strong>in</strong> Sitzungswochen des Bundestages. Wer<br />

möchte, bekommt auch e<strong>in</strong> paar We<strong>in</strong>trauben.“<br />

(Günter Bannas, FAZ)<br />

Im Kanzleramt sitzen manchmal bis zu 70 Journalisten<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Saal, aber solche gedrängten Runden<br />

mit dem Charme e<strong>in</strong>er Pressekonferenz bilden noch<br />

die Ausnahme. Die Kanzler<strong>in</strong> lädt <strong>in</strong> verschiedenen<br />

Konstellationen e<strong>in</strong>, etwa die Berl<strong>in</strong>er Büroleiter o<strong>der</strong><br />

die Vertreter <strong>der</strong> Regionalmedien. In den kle<strong>in</strong>en<br />

journalistischen H<strong>in</strong>tergrundkreisen ist sie selten<br />

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