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Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche

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und Nebenwirkungen <strong>der</strong> politischen Inszenierungen<br />

unter Rot-Grün:<br />

„Sie waren schon die passende Politdarbietung zu<br />

<strong>der</strong> medialen Welt, <strong>in</strong> <strong>der</strong> wir uns nach dem Umzug<br />

von Bonn nach Berl<strong>in</strong> wie<strong>der</strong> gefunden haben: Die<br />

beschleunigten Medien mit ihrer Bildhaftigkeit hatten<br />

<strong>in</strong> dem rot-grünen Spitzenduo die kongenialen Partner.<br />

[…] Schrö<strong>der</strong> hat sich ja selbst vor die Kamera<br />

gestellt. Er hat dieses Bild geschaffen, ke<strong>in</strong>e Frage.<br />

Aber dass <strong>der</strong> Brioni-Kanzler später so e<strong>in</strong> Eigenleben<br />

entwickelt hat, war größtenteils unsere Sache,<br />

also die <strong>der</strong> Medien. Als die Fotos erschienen, hatten<br />

die Kanzlerberater fast schon vergessen, dass diese<br />

Aufnahmen gemacht worden s<strong>in</strong>d. Sie waren gerade<br />

dabei, sich vom Party-Kanzler-Bild zu lösen, weil das<br />

zu ernsten Themen wie 630-Mark-Jobs o<strong>der</strong> Kosovo<br />

überhaupt nicht passte. Aber <strong>der</strong> Brioni-Kanzler, <strong>der</strong><br />

trotz Ansage aus dem Kanzleramt e<strong>in</strong> Eigenleben<br />

entwickelte, blieb – wie die Zigarre, die Schrö<strong>der</strong><br />

nach dem ersten Jahr ganz aus <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

herausgenommen hat. Nur zur Currywurst steht<br />

Gerhard Schrö<strong>der</strong> weiterh<strong>in</strong>. Bis heute kann er aber<br />

je<strong>der</strong>zeit als Brioni-Kanzler mit Zigarre gezeigt werden<br />

– politische Inszenierung ist eben e<strong>in</strong> Wagnis<br />

mit Risiken und Nebenwirkungen.“ (Tissy Bruns,<br />

Tagesspiegel)<br />

Glaubt man dem Gros <strong>der</strong> Befragten waren die rotgrünen<br />

Kanzlerjahre <strong>in</strong> Bezug auf die politische<br />

Kommunikation durchaus ambivalent: Das ständige<br />

Wechselbad aus teils kumpelhaften Anwandlungen<br />

und e<strong>in</strong>em teils rüden Umgangston war für viele<br />

Medienvertreter neu – <strong>in</strong> Bonn war man es bei Politikern<br />

gewohnt, zu wissen, woran man war. Und<br />

während die Grünen als Regierungsbeteiligte erst<br />

lernen mussten, nicht jede politische Überlegung<br />

basisdemokratisch nach außen zu kommunizieren,<br />

pflegte <strong>der</strong> Parteichef e<strong>in</strong>en rigorosen Medienkontakt.<br />

Jens König (damals taz) er<strong>in</strong>nert sich, dass<br />

Fischer dabei sehr verletzend se<strong>in</strong> konnte: „Interviews<br />

mit ihm waren oft Schwerstarbeit, er hat Fragen<br />

abqualifiziert, er hat Sie als Interviewer direkt<br />

angegangen, er hat Sie auch schon mal angebrüllt –<br />

trotzdem war er e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressante, schillernde politische<br />

Figur.“ Michael Spreng me<strong>in</strong>t dazu, e<strong>in</strong> Politiker<br />

verstünde es oft nicht, wenn e<strong>in</strong> Journalist ihn kritisiere,<br />

obwohl er ihn vertrauensvoll und nett behandelt<br />

habe:<br />

„Politiker me<strong>in</strong>en, wenn e<strong>in</strong> Journalist mit ihnen<br />

vertrauensvoll umgeht, sei das gleich ihr Mitstreiter.<br />

Ich hatte auch mal e<strong>in</strong> sehr gutes Verhältnis zu<br />

Helmut Kohl, also <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>ne, dass wir vertrauensvoll<br />

mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> umgegangen s<strong>in</strong>d und er<br />

sich darauf verlassen konnte, dass ich ihn nicht re<strong>in</strong>lege.<br />

Kohl missverstand das aber, me<strong>in</strong>te ich sei se<strong>in</strong><br />

Gefolgsmann und wertete jeden kritischen Bericht<br />

als Verrat.“ (Michael Spreng, Berater)<br />

Christoph Schwennicke (Der Spiegel) macht auf<br />

e<strong>in</strong>en entscheidenden Unterschied zwischen <strong>der</strong><br />

Pressearbeit <strong>der</strong> rot-grünen und <strong>der</strong> schwarz-roten<br />

Regierungskoalition aufmerksam:<br />

„Ich habe nur Schrö<strong>der</strong> und Merkel erlebt. Bei Kohl<br />

habe ich nur die Rockzipfel <strong>der</strong> Geschichte zu Fassen<br />

bekommen. Schrö<strong>der</strong> war <strong>in</strong> dieser Beziehung sehr<br />

rätselhaft. Bei ihm gab es e<strong>in</strong> Spektrum von extremster<br />

Kumpanei o<strong>der</strong> zum<strong>in</strong>dest dem Angebot bis<br />

h<strong>in</strong> zu schroffer Abweisung. Was ich bei Frau Merkel<br />

– mal jenseitig <strong>der</strong> Kritik politischer Sachfragen –<br />

sehr gelungen f<strong>in</strong>de, ist die respektvolle Äquidistanz,<br />

die sie e<strong>in</strong>hält, und die auch so bleibt. Es gibt ke<strong>in</strong><br />

Näher und ke<strong>in</strong> Ferner, son<strong>der</strong>n stets dieselbe Äquidistanz,<br />

die uns den Job, wie ich f<strong>in</strong>de, erleichtert.<br />

Frau Merkel ist immer gefühlte zweie<strong>in</strong>halb Meter<br />

weg, woh<strong>in</strong>gegen Schrö<strong>der</strong> auch mal so nah war,<br />

dass es e<strong>in</strong>em schon fast unangenehm wurde.<br />

Schrö<strong>der</strong> agierte da sehr utilitaristisch, je nachdem<br />

wie es ihm nutzte.“ (Christoph Schwennicke, Spiegel)<br />

Gerhard Schrö<strong>der</strong> war aber offenbar nicht <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zige,<br />

<strong>der</strong> solche utilitaristischen Pr<strong>in</strong>zipien im Umgang<br />

mit den Medien e<strong>in</strong>setzte. E<strong>in</strong> weiteres prom<strong>in</strong>entes<br />

Fallbeispiel weiß Ulrich Deppendorf aus se<strong>in</strong>er Zeit<br />

als Leiter <strong>der</strong> ARD-Aktuell-Redaktion <strong>in</strong> Hamburg zu<br />

berichten:<br />

„Und dann rief Rudolf Scharp<strong>in</strong>g an, <strong>der</strong> damals<br />

noch Fraktionsvorsitzen<strong>der</strong> im Bundestag und Radsportfreund<br />

war. Ich sollte mich dafür e<strong>in</strong>setzen,<br />

dass er für die ARD e<strong>in</strong> 45-m<strong>in</strong>ütiges Feature über<br />

die Tour de France machen kann. Ich habe gedacht,<br />

ich höre nicht richtig. Ich sagte ihm, dass ich nicht<br />

glauben würde, dass das <strong>der</strong> richtige Weg sei und<br />

habe ihn dann an unseren Programmdirektor Struve<br />

weitergeleitet. Und als <strong>der</strong> ihn zuerst nicht zurückgerufen<br />

hatte und Scharp<strong>in</strong>g nach e<strong>in</strong>em Dreivierteljahr<br />

wie<strong>der</strong> anrief, verwies ich noch e<strong>in</strong>mal auf Struve,<br />

und das war’s dann“ (Ulrich Deppendorf, ARD).<br />

Unter <strong>der</strong> Großen Koalition dagegen ist vieles an<strong>der</strong>s<br />

geworden – das bestätigen fast alle <strong>der</strong> Befragten.<br />

Niemand sche<strong>in</strong>t die teilweise schrägen Allüren <strong>der</strong><br />

rot-grünen Adm<strong>in</strong>istration ernsthaft zu vermissen –<br />

mit Ausnahme von Thomas Wittke vielleicht, <strong>der</strong><br />

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