Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche
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auf die schrille Nachrichtenagenda und den unendlichen<br />
Orkus <strong>der</strong> elektronischen Netzwelten, dass es<br />
um die Frage gehen müsse, „<strong>in</strong> welcher Gestalt <strong>der</strong><br />
unabhängige <strong>Journalismus</strong> als Agent <strong>der</strong> Aufklärung,<br />
so wie wir ihn mitunter noch erleben, überhaupt<br />
kenntlich werden kann – und wozu man ihn, über<br />
die Ablenkung und das gelegentliche ästhetische<br />
Vergnügen h<strong>in</strong>aus, noch brauchen wird.“ (ebd. 261)<br />
2.5. Das Problem professioneller Nähe und<br />
Distanz<br />
E<strong>in</strong> „Alarmismus“ aufgrund <strong>der</strong> immer unkenntlicher<br />
und unattraktiver werdenden handelnden Politik<br />
habe die publizistischen Medien <strong>in</strong> Deutschland freilich<br />
schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> rot-grünen Regierungszeit ereilt,<br />
behauptet Hachmeister (2007, 12) – und erkennt<br />
dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Hauptursachen für die wachsende<br />
Unsicherheit über die eigene Berufsrolle <strong>der</strong> Journalisten<br />
<strong>in</strong> Zeiten von Internet-Wirtschaft und <strong>der</strong> um<br />
sich greifenden Enterta<strong>in</strong>ment-Industrie: „Politiker<br />
und Journalisten bef<strong>in</strong>den sich also geme<strong>in</strong>sam <strong>in</strong><br />
dem Vakuum, das durch das Abschleifen <strong>der</strong> politischen<br />
Ideologien nach 1989 und das unbed<strong>in</strong>gte<br />
Primat <strong>der</strong> Wirtschaft entstanden ist.“<br />
Dass beide, politische und journalistische Wortführer,<br />
<strong>in</strong> dieser verän<strong>der</strong>ten Medienwelt zurechtkommen<br />
müssen und dadurch e<strong>in</strong>en enormen Bedeutungsverlust<br />
erleiden, attestiert auch Bruns (vgl.<br />
2007, 11). Während sich die Macht des Politikers <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> globalisierten Gesellschaft zusehends verflüchtige,<br />
so Bruns, plagten den politischen Journalisten<br />
Selbstzweifel, ob er se<strong>in</strong>er öffentlichen Aufgabe <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> digitalisierten Medienlandschaft überhaupt noch<br />
gerecht werden könne: Nimmt es da also Wun<strong>der</strong>,<br />
wenn die beiden gar nicht mal so verschiedenen<br />
Kasten beie<strong>in</strong>an<strong>der</strong> Halt suchen und sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Art<br />
pragmatischer Zweckgeme<strong>in</strong>schaft flüchten? Welche<br />
Gründe könnte es geben, dass gerade dem politischen<br />
Epizentrum Berl<strong>in</strong> nach wie vor e<strong>in</strong>e medial<br />
überhitzte Atmosphäre nachgesagt wird?<br />
Antworten, o<strong>der</strong> vielmehr: Gewissheiten bekommt<br />
<strong>der</strong>jenige, den es e<strong>in</strong>stweilen auf die e<strong>in</strong>schlägigen<br />
Medien-Empfänge, Filmpremieren und Preisverleihungen<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Hauptstadt verschlägt, jene „magischen,<br />
wenngleich erratischen Momente Berl<strong>in</strong>er<br />
Lustbarkeit, <strong>in</strong> denen das Doppelgesicht <strong>der</strong> ‚Mediokratie’<br />
beson<strong>der</strong>s kenntlich wurde. Nichts markiert<br />
wohl e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glicher, dass die <strong>in</strong>time Tuchfühlung zur<br />
professionellen Grätsche wird, als wenn die wichtigsten<br />
Wortführer und Entscheidungsträger <strong>der</strong> <strong>Republik</strong><br />
zu fortgeschrittener Stunde <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>en Grüppchen<br />
ihre Köpfe zusammenstecken und <strong>in</strong> feuchtfröhlicher<br />
Duz-Laune mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> schäkern“ (Weichert/<br />
Zabel 2007, 21f.). Beson<strong>der</strong>s befallen von<br />
dieser klebrigen Nähe s<strong>in</strong>d die ‚Awards’ wie <strong>der</strong><br />
„Goldene Prometheus“ o<strong>der</strong> <strong>der</strong> „Politikaward“, bei-<br />
de erdacht vom Helios Media GmbH, e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en<br />
Fachverlag für Politik, Wirtschaft und Medien mit Sitz<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Friedrichstrasse. Neben diesen Preisen,<br />
mit denen Journalisten wechselweise ihnen<br />
zugeneigte Politiker o<strong>der</strong> sich selbst ehren, richtet<br />
(nicht nur) Helios überdies Kommunikationskongresse<br />
aus, die „<strong>in</strong> bunter und rapi<strong>der</strong> Folge PR-Leute,<br />
Berater, Unternehmenskommunikatoren, Lobbyisten,<br />
Journalisten und Politiker zusammenbr<strong>in</strong>gen“<br />
(Hachmeister 2007, 22). Die vertraute Unterredung,<br />
das ungezwungene Tischgespräch, <strong>der</strong> lockere<br />
Smalltalk bei Weißwe<strong>in</strong> und Kanapees stehen hier<br />
ebenso auf dem Programm wie Sticheleien und kle<strong>in</strong>ere<br />
Intrigen gegen den politischen Gegner. Schließlich<br />
s<strong>in</strong>d Journalisten vor allem dann zu gebrauchen,<br />
wenn sich Politiker profilieren wollen, zumal auf<br />
Kosten An<strong>der</strong>er (vgl. Hofmann 2007, 403).<br />
Die monumentalen und zugleich verführerischen<br />
Kulissen <strong>der</strong> Hauptstadtarchitektur („arm, aber sexy“)<br />
hat den Mächtigen aus Politik, Medien und Kultur<strong>in</strong>dustrie<br />
von Beg<strong>in</strong>n an e<strong>in</strong>e Aura vorgegaukelt,<br />
„die alles Geschriebene und Gesendete e<strong>in</strong>e Spur<br />
wichtiger ersche<strong>in</strong>en ließ; hier trafen außerdem erstmals<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> bundesrepublikanischen Geschichte die<br />
kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Eliten an<br />
e<strong>in</strong>em Ort zusammen, <strong>in</strong> dessen Dunstkreis auch<br />
Journalisten e<strong>in</strong>en Geltungszuwachs wittern“ (Weichert/<br />
Zabel 2007, 23f.). Diese Orte, die <strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ungselite<br />
als Drehscheiben ihrer Selbst<strong>in</strong>szenierungen<br />
dienen, tragen so wohlkl<strong>in</strong>gende Namen wie<br />
Café E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong> Unter den L<strong>in</strong>den, Borchardt, Grill<br />
Royal und Bocca di Bacco: Hier können sich diejenigen,<br />
die sonst nur still vor sich h<strong>in</strong> <strong>in</strong> den Redaktionsstuben<br />
leitartikeln o<strong>der</strong> <strong>in</strong> Sonntagsreden beim<br />
TV-Presseclub vor den Kameras ihre Me<strong>in</strong>ungen<br />
ventilieren, öffentlich beweisen, wie eng die Tuchfühlung<br />
mit dem Objekt ihrer politischen Berichterstattung<br />
tatsächlich ist. Doch wer als publizistischer<br />
Wortführer des Öfteren <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>s Nobelgastronomie<br />
so e<strong>in</strong>trächtig mit <strong>der</strong> Spitzenpolitik verkehrt, darf<br />
sich nicht wun<strong>der</strong>n, wenn er unweigerlich <strong>in</strong> den<br />
Strudel e<strong>in</strong>es Klüngels h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gezogen wird, <strong>der</strong> Spitzenpolitiker,<br />
Lobbyisten und Journalisten mitunter<br />
Zweckbeziehungen und Notgeme<strong>in</strong>schaften e<strong>in</strong>gehen<br />
lässt:<br />
„Politik und <strong>Journalismus</strong> s<strong>in</strong>d sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er<br />
<strong>Republik</strong> auf seltsame Weise verfallen, so sehr, dass<br />
es beiden Teilklassen schon unheimlich wird und sie<br />
öfter mal wie<strong>der</strong> getrennte Wege gehen möchten.<br />
E<strong>in</strong>e Zeitlang erschienen Politiker und Kommentatoren<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> neuen Hauptstadt als e<strong>in</strong>e homogene<br />
Gruppe von Party- und Salonlöwen, ane<strong>in</strong>an<strong>der</strong>gekettet<br />
durch irrlichternde Medienauftritte, dauerbeobachtet<br />
von Kameras wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em endlosen sozialpsychologischen<br />
Experiment. Es ist frappierend, dass<br />
Politiker wie auch Journalisten, wenn man sie be-<br />
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