Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche
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Schrö<strong>der</strong>s Entschlussfreudigkeit lobt und <strong>in</strong> dessen<br />
„Basta“-Stil, se<strong>in</strong>er „Do or Die“-Philosophie, e<strong>in</strong>en<br />
Kontrapunkt zur Abwägungspolitik Angela Merkels<br />
sieht. Aus dem Bundeskanzleramt wurde uns mitgeteilt,<br />
dass man es bedaure, dass die differenzierten<br />
Stellungnahmen von Frau Merkel mit fehlen<strong>der</strong> Entschlussfreudigkeit<br />
gleichgesetzt würden. Als Ostdeutsche<br />
sei sie es gewohnt gewesen, zwischen den<br />
Zeilen zu lesen, und habe als Regierungschef<strong>in</strong> erst<br />
lernen müssen, dass dies im heutigen Politgeschäft<br />
nicht mehr funktioniere, weil sich niemand mehr<br />
dafür Zeit nehme. Dass Merkel <strong>in</strong> <strong>der</strong> DDR aufgewachsen<br />
und zur Zeit des Mauerfalls schon Mitte 30<br />
war, wird neben ihrer Ausbildung zur Naturwissenschaftler<strong>in</strong><br />
als schlagendes Argument für ihre eher<br />
zurückhaltenden Umgang mit Journalisten angeführt.<br />
Richard Meng, ehemaliger stellvertreten<strong>der</strong><br />
Chefredakteur und Leiter <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Redaktion <strong>der</strong><br />
Frankfurter Rundschau und seit 1. Dezember 2007<br />
Staatssekretär und Sprecher des Senats von Berl<strong>in</strong>,<br />
hält darüber h<strong>in</strong>aus allerd<strong>in</strong>gs auch Merkels fehlende<br />
Sozialisierung <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Partei für entscheidend:<br />
„Die zurückhaltende, wenn man so möchte ‚höflichere’<br />
Haltung Merkels hängt me<strong>in</strong>er Ansicht nach aber<br />
eher damit zusammen, dass sie – genauso übrigens<br />
wie Matthias Platzeck – bereits 35 Jahre alt war, als<br />
die Mauer fiel. Beiden fehlen die 20 Jahre, die Roland<br />
Koch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Jungen Union zugebracht hat. Die<br />
haben ihn <strong>in</strong> gewisser Weise zwar qualifiziert, aber<br />
auch geprägt als e<strong>in</strong>en knallharten Kampagnenpolitiker.<br />
Daraus, dass Merkel und Platzeck diese Parteischule<br />
fehlt, resultiert e<strong>in</strong>e Unvore<strong>in</strong>genommenheit<br />
und e<strong>in</strong>e Direktheit und Normalität, die ungewöhnlich<br />
ist und eben all den an<strong>der</strong>en fehlt, die sich partei<strong>in</strong>tern<br />
jahrzehntelang haben durchboxen müssen.“<br />
(Richard Meng, Senatssprecher Berl<strong>in</strong>)<br />
Merkels Unverbrauchtheit im persönlichen Umgang<br />
mit den Medienvertretern empf<strong>in</strong>det Meng als angenehm,<br />
und diese dürfe nicht mit Naivität verwechselt<br />
werden: „Das br<strong>in</strong>gt Merkel mit, und das ist natürlich<br />
bei e<strong>in</strong>em wie Schrö<strong>der</strong>, <strong>der</strong> 30 Jahre lang auf <strong>der</strong><br />
Hühnerleiter hochgelaufen ist, nicht mehr da.“ Die<br />
von Schwennicke apostrophierte gesunde „Äquidistanz“<br />
<strong>der</strong> Bundeskanzler<strong>in</strong> schwankt <strong>in</strong> den Augen<br />
<strong>der</strong> Hauptstadtjournalisten <strong>in</strong>des stark, nämlich zwischen<br />
„höfisch“ (Deppendorf) und „höflich“ (Meng),<br />
zwischen „Machtbewusstse<strong>in</strong>“ und „guter Erziehung“<br />
(Schmale). Während ihr im Vergleich zum Amtsvorgänger<br />
von e<strong>in</strong>er Seite Professionalität abgesprochen<br />
wird (Wittke), wird ihr von an<strong>der</strong>er mehr Sachkompetenz<br />
attestiert (Kröter). Unbestritten ist jedoch,<br />
dass sie die tatsächliche ‚Medienkanzler<strong>in</strong>’ ist,<br />
weil sie ke<strong>in</strong>e Rücksichten auf gewachsene Freundschaften<br />
mit Journalisten nehmen muss und deshalb<br />
e<strong>in</strong>e generalstabsmäßige Medien- und Kommunikationsstrategie<br />
verfolgen kann:<br />
„Merkel ist die Perfektionierung von Schrö<strong>der</strong>s Versuch,<br />
e<strong>in</strong> Medienkanzler zu se<strong>in</strong>. Merkel macht das<br />
perfekt mit dieser Mischung aus Naivität, die sie<br />
bisweilen zeigt, weil sie ja eigentlich <strong>der</strong> Anti-<br />
Medien-Typ ist. Aber ich kenne kaum e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en<br />
Politiker, <strong>der</strong> so gezielt den Blick e<strong>in</strong>setzt gegenüber<br />
Journalisten und genau weiß, wie sie sich wann<br />
verhalten muss, damit das richtige Foto entsteht und<br />
<strong>der</strong> richtige Blick im Film. Sie spielt perfekt mit den<br />
Medien, weil sie auch ke<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Medienvergangenheit<br />
hat. Schrö<strong>der</strong> hatte mit vielen Journalisten<br />
e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Vergangenheit. Insofern haben<br />
sich oft Bekannte wie<strong>der</strong> getroffen. Merkel war<br />
e<strong>in</strong>e Quere<strong>in</strong>steiger<strong>in</strong>, hat von außen gemerkt, was<br />
man machen muss, um nach oben zu kommen und<br />
hat ke<strong>in</strong>erlei Rücksicht zu nehmen und ke<strong>in</strong>erlei<br />
Freundschaften aufzukündigen. Sie hatte ja ke<strong>in</strong>e<br />
Freunde, son<strong>der</strong>n hat sich alles erarbeitet auf ihrem<br />
Weg nach oben. Daher geht Frau Merkel auch <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er brutal ausnutzenden Form mit den Medien um.<br />
Sie schuldet ihnen nichts.“ (Dieter Wonka, Leipziger<br />
Volkszeitung)<br />
Den eher jungenhaften Charme, <strong>der</strong> Angela Merkel<br />
<strong>in</strong> ihrer Abgeordneten- und M<strong>in</strong>isterzeit unter Helmut<br />
Kohl zueigen war, hat sie schon kurz nach Beg<strong>in</strong>n<br />
ihrer Amtszeit als Bundeskanzler<strong>in</strong> abgelegt und<br />
<strong>in</strong>szeniert bei Auslandsbesuchen neuerd<strong>in</strong>gs selbstbewusst<br />
ihre Weiblichkeit. Von <strong>der</strong> Boulevard- und<br />
People-Presse wird sie dafür beklatscht. Ohneh<strong>in</strong><br />
fänden sich <strong>in</strong> Titeln wie Bunte die besten Interviews<br />
zur Person Merkel, f<strong>in</strong>det Margaret Heckel (Die<br />
Welt). In Talkshows im Fernsehen geht sie aber<br />
deshalb nicht häufiger, son<strong>der</strong>n macht sich rar – e<strong>in</strong><br />
dem Amt geschuldetes Privileg <strong>der</strong> Zurückhaltung,<br />
wie aus dem Kanzleramt mitgeteilt wird. Es gebe, so<br />
e<strong>in</strong>e Mitarbeiter<strong>in</strong>, ohneh<strong>in</strong> zu wenig E<strong>in</strong>zelformate,<br />
<strong>in</strong> denen ausführlich Position bezogen werden könne.<br />
Auch dürfe man es mit <strong>der</strong>lei Auftritten nicht<br />
übertreiben. Aus Sicht e<strong>in</strong>iger Journalisten genießt<br />
<strong>der</strong> Kanzlerstab allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>en eher zweifelhaften<br />
Ruf: Nach Vermutung <strong>der</strong> Befragten wird im Kanzleramt<br />
e<strong>in</strong> strenges, teils Furcht e<strong>in</strong>flößendes Regiment<br />
geführt; geduzt wird sich nicht. Auch beklagt<br />
Bunte-Kolumnist Graf Nayhauß, dass sich die Top-<br />
Down-Hierarchie <strong>in</strong> Merkels Zuständigkeit offenbar<br />
noch verschärft habe:<br />
„Im Kanzleramt dagegen ist es schwierig, wenn<br />
nicht gar unmöglich, engen Kontakt zu den Mitarbeitern<br />
von Frau Merkel zu knüpfen. Die leben <strong>in</strong> Furcht<br />
vor ihrer Herr<strong>in</strong>. Es war früher ke<strong>in</strong> Problem, zu<br />
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