Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche
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Journalisten. E<strong>in</strong> guter Journalist hat stets mehr als<br />
e<strong>in</strong>e Quelle.“ (Jürgen Hogrefe, EnBW)<br />
Ungeachtet dessen, dass die Dienste <strong>der</strong> Pressestellen<br />
mitunter nicht ohne weiteres als <strong>Recherche</strong>ersatz<br />
angenommen werden, ist das persönliche Verhältnis<br />
zwischen Journalisten und Pressesprechern überraschen<strong>der</strong>weise<br />
durch professionelle Wertschätzung<br />
und Vertrauen charakterisiert. E<strong>in</strong>e Ursache hierfür<br />
liegt sicherlich dar<strong>in</strong>, dass manche Korrespondenten<br />
befürchten, von den Informationskanälen <strong>der</strong> Pressestellen<br />
irgendwann abgeschnitten zu werden und<br />
dadurch ihre zeitnahe Berichterstattung gefährden,<br />
sobald es um dr<strong>in</strong>gende Anfragen an M<strong>in</strong>isterien und<br />
Regierung geht. Für Pressesprecher, <strong>der</strong>en Erfolg<br />
ihrer politischen Öffentlichkeitsarbeit sich an e<strong>in</strong>em<br />
reibungslosen Umgang mit <strong>der</strong> Presse bemisst, ergibt<br />
sich daraus e<strong>in</strong> Dilemma, sagt Iris Bethge (Bundesm<strong>in</strong>isterium<br />
für Soziales, Familie, Frauen und<br />
Jugend):<br />
„Das Hauptproblem ist, dass für die Medien <strong>der</strong><br />
Druck sehr hoch ist, immer wie<strong>der</strong> neue Nachrichten<br />
mit <strong>in</strong> die Redaktion zu br<strong>in</strong>gen. Vieles wird angespitzt.<br />
In Gesprächen kommt es oft darauf an, jedes<br />
Wort abzuwägen, e<strong>in</strong>e Schere im Kopf zu haben und<br />
mitzudenken, was davon über den Ticker gehen<br />
könnte. Ich höre oft: Das Interview lohnt sich für<br />
uns als Blatt nur, wenn wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> die Tagesschau<br />
zitiert werden. Das ist schade, weil dann vieles verloren<br />
geht. Denn bei jedem Satz, muss man überlegen,<br />
ob das nicht schon die Schlagzeile ist.“ (Iris<br />
Bethge, Pressesprecher<strong>in</strong> Bundesm<strong>in</strong>isterium für<br />
Soziales, Familie, Frauen und Jugend)<br />
Die Kollegialität setzt somit die ‚natürliche’ Rollendistanz<br />
zwischen Hauptstadtjournalisten und Presseleuten<br />
außer Kraft. Die Wahrnehmung ihrer wichtigen<br />
journalistischen Kontrollfunktion wird dadurch möglicherweise<br />
verwässert, wenn nicht unmöglich gemacht<br />
– auch durch die Furcht vor Sanktionierungen<br />
bei allzu for<strong>der</strong>ndem Auftreten, die vor allem freie<br />
Journalisten und Korrespondenten regionaler Zeitungen<br />
vor große Herausfor<strong>der</strong>ungen stellen.<br />
4.4.3.2. <strong>Recherche</strong>angebote <strong>der</strong> Politik<br />
Die Grundidee für die E<strong>in</strong>richtung <strong>der</strong> Bundespressekonferenz<br />
(BPK) im Jahr 1949 war, möglichst<br />
schnell, unmittelbar und mit <strong>der</strong> Möglichkeit des<br />
kritischen Nachfragens objektive Informationen aus<br />
<strong>der</strong> Bundespolitik zu beziehen. Laut Satzung ist es<br />
ihr Zweck, „Mitglie<strong>der</strong>n Möglichkeiten e<strong>in</strong>er umfassenden<br />
Unterrichtung <strong>der</strong> Öffentlichkeit zu verschaf-<br />
fen“. 5 Längst aber ist diese Unterrichtung nicht mehr<br />
exklusiv den Journalisten vorbehalten. Wurden Fernsehkameras<br />
erst im späten Verlauf <strong>der</strong> 1960er Jahre<br />
zugelassen, werden die Konferenzen heute regelmäßig<br />
auf Spartensen<strong>der</strong>n wie Phoenix live und ausschnittsweise<br />
<strong>in</strong> den Nachrichten <strong>der</strong> Vollprogramme<br />
übertragen. Das hat zum e<strong>in</strong>en zu e<strong>in</strong>er Attraktionssteigerung<br />
<strong>der</strong> BPK für Politiker geführt, da sie aufgrund<br />
<strong>der</strong> Kamerapräsenz e<strong>in</strong>e breitere Öffentlichkeit<br />
erreichen, zum an<strong>der</strong>en zu e<strong>in</strong>er drastischen<br />
Verr<strong>in</strong>gerung <strong>der</strong> Teilnahmezahlen von Journalisten.<br />
Schon zu ihrem 50-jährigen Bestehen 1989 wurde<br />
kritisiert, dass angesichts <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong>zahlen die<br />
Vermutung nahe liege, „dass das Platzangebot bei<br />
weitem unzureichend ist“. Dies sei <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis<br />
„aber nur ausnahmsweise <strong>der</strong> Fall: bei Pressekonferenzen<br />
des Bundeskanzlers o<strong>der</strong> aus Anlass des<br />
Auftritts prom<strong>in</strong>enter ausländischer Politiker“. 6 Die<br />
journalistische Absenz hat sich heute noch um e<strong>in</strong>iges<br />
verstärkt. Auf die Frage h<strong>in</strong>, welche Bedeutung<br />
die Berl<strong>in</strong>er BPK habe, antwortet Holger Schmale<br />
von <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Zeitung:<br />
„Da hat die Qualität und die Bedeutung <strong>der</strong> BPK,<br />
was den Alltag angeht, gegenüber Bonn sehr verloren.<br />
Das liegt auch an den Wegen: In Bonn war man<br />
e<strong>in</strong>fach schnell zu Fuß <strong>in</strong> <strong>der</strong> BPK, und es gab damals<br />
nur e<strong>in</strong>e Ton-, nicht aber e<strong>in</strong>e Videoübertragung.<br />
Jetzt s<strong>in</strong>d über das Fernsehen alle Hauptstadtredaktionen<br />
zugeschaltet <strong>in</strong> die BPK, und das nutzen<br />
auch wir rege, weil wir noch weiter als an<strong>der</strong>e vom<br />
Pressehaus entfernt sitzen. Das hat natürlich unmittelbare<br />
Folgen für die Fragestellungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> BPK,<br />
weil e<strong>in</strong>fach viel weniger Kollegen dort s<strong>in</strong>d.“ (Holger<br />
Schmale, Berl<strong>in</strong>er Zeitung)<br />
Obwohl im Mai 2008 925 Journalisten <strong>in</strong> <strong>der</strong> BPK<br />
akkreditiert waren, hat ihre Relevanz nach E<strong>in</strong>schätzung<br />
<strong>der</strong> Befragten wesentlich abgenommen. Sie gilt<br />
längst nicht mehr als <strong>der</strong> Ort, an dem – wie noch zu<br />
Konrad Adenauers Zeiten – politische und publizistische<br />
Konflikte ausgetragen wurden. 7 Die Telepräsenz<br />
weckt den Schlendrian im Journalisten, <strong>der</strong> sich<br />
darauf verlässt, dass die (wenigen) anwesenden<br />
Kollegen die richtigen Fragen stellen und damit se<strong>in</strong>e<br />
Arbeit erledigen. Bei ausgedünnter Teilnehmerzahl<br />
s<strong>in</strong>kt auch die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, dass von Journalistenseite<br />
überhaupt (kritische) Nachfragen gestellt<br />
5 Abzurufen unter:<br />
http://www.bundespressekonferenz.de/content-details.php?105<br />
6 Martenson, Sten (1989): Parlament, Öffentlichkeit und Medien.<br />
In: Schnei<strong>der</strong>, Hans-Peter/Zeh, Wolfgang (Hg.) (1989): Parlamentsrecht<br />
und Parlamentspraxis <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland.<br />
E<strong>in</strong> Handbuch. Berl<strong>in</strong>: Walter de Gruyter, 261-288, hier:<br />
276.<br />
7 Vgl. Krüger, Gunnar 2005: „Wir s<strong>in</strong>d doch ke<strong>in</strong> exklusiver Club!“<br />
Die Bundespressekonferenz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ära Adenauer. Münster: Lit.<br />
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