Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche
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4.2. Agenda Sett<strong>in</strong>g <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundeshauptstadt<br />
4.2.1. Determ<strong>in</strong>anten des Agenda Sett<strong>in</strong>g<br />
Das Agenda Sett<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> ist <strong>der</strong> Befragung zufolge<br />
bestimmt durch e<strong>in</strong>e Reihe von Rahmenbed<strong>in</strong>gungen,<br />
von denen die wichtigsten – Beschleunigung,<br />
Schweigespiralen-Effekt, Selbstreferentialität,<br />
Boulevardisierung – im Folgenden ausführlicher<br />
beschrieben werden.<br />
4.2.1.1. Unkontrollierte Beschleunigung<br />
Trotz se<strong>in</strong>es hohen Ansehens <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Medienlandschaft<br />
wird <strong>der</strong> Deutschlandfunk zum Kristallisationspunkt<br />
e<strong>in</strong>es grundlegenden Mangels <strong>der</strong> Berichterstattung<br />
über den Politikbetrieb <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hauptstadt:<br />
Büroleiter<strong>in</strong> Sab<strong>in</strong>e Adler besche<strong>in</strong>igt nicht nur<br />
dem Radio, son<strong>der</strong>n generell den elektronischen<br />
Medien e<strong>in</strong>e Unfähigkeit, ihren Arbeitsalltag zu entschleunigen.<br />
Die zunehmende Atemlosigkeit sei<br />
symptomatisch für den heutigen Hauptstadtjournalismus:<br />
„Sie resultiert aus den technischen Hilfsmitteln, die<br />
es uns ermöglichen, gar nicht mehr vor Ort se<strong>in</strong> zu<br />
müssen, um berichten zu können. Wir schreiben<br />
bereits unsere Texte, da ist die Veranstaltung noch<br />
<strong>in</strong> vollem Gange. Nicht selten verlassen wir sie, bevor<br />
sie zu Ende ist. Wir selbst können das nicht<br />
steuern, es entzieht sich unserer Kontrolle.“ (Sab<strong>in</strong>e<br />
Adler, Deutschlandfunk)<br />
Glaubt man <strong>der</strong> Mehrheit <strong>der</strong> Befragten, hat die<br />
publizistische Expansion des Internet nicht nur zu<br />
e<strong>in</strong>em höheren Tempo <strong>der</strong> Themenverbreitung geführt,<br />
son<strong>der</strong>n auch zu e<strong>in</strong>er Art S<strong>in</strong>nkrise <strong>in</strong> den<br />
Medienunternehmen. Onl<strong>in</strong>e-Medien „zw<strong>in</strong>gen speziell<br />
die Hauptstadtkorrespondenten noch mehr <strong>in</strong>s<br />
Laufrad, so dass langfristige Themen kaum zur Geltung<br />
kommen“ (Richard Meng, Senatssprecher Berl<strong>in</strong>).<br />
Die eigene Themensetzung käme immer weniger<br />
zur Geltung, sagt Gunter Hofmann (Die Zeit),<br />
obwohl genau das notwendig sei, um im „Plural-<br />
Dauerpräsenten“ wahrnehmbar zu bleiben: „Wer<br />
gibt <strong>in</strong> dieser permanenten Vielfalt den Ton an?<br />
Gleichzeitig werden wir auch noch mit <strong>der</strong> ideologischen<br />
Botschaft bombardiert, dass angeblich alle<br />
Stimmen gleich seien. Das ist die Tücke <strong>der</strong> liberalen<br />
Demokratie: Je<strong>der</strong> zählt gleich viel.“ Für Hofmann ist<br />
es zugleich e<strong>in</strong>e traurige Tatsache, dass die Politikberichterstattung<br />
heute ausschließlich e<strong>in</strong>er zweifelhaften<br />
Ökonomie <strong>der</strong> Aufmerksamkeit gehorche:<br />
„Wir sollten lieber öfter wie<strong>der</strong> unauffälligen Spuren<br />
nachgehen und daraus eigene Geschichten machen.<br />
Und auch wenn es morgen noch nicht gleich e<strong>in</strong>e<br />
Schlagzeile ist – vielleicht ist es <strong>in</strong> drei Monaten<br />
e<strong>in</strong>e. Von <strong>der</strong> Intelligenz und dem handwerklichen<br />
Können her s<strong>in</strong>d viele junge Journalisten ja zweifelsohne<br />
dazu <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage. Aber was ihnen fehlt, ist<br />
das Selbstvertrauen, genauso wie es auch an Chefredakteuren<br />
o<strong>der</strong> Ressortleitern fehlt, die diesen<br />
jungen Journalisten eben dieses Vertrauen vermitteln,<br />
eigene Themen zu setzen, statt je<strong>der</strong> Sau h<strong>in</strong>terherzulaufen,<br />
die gerade durchs Dorf getrieben<br />
wird.“ (Gunter Hofmann, Die Zeit)<br />
Unter dem neuen Aufmerksamkeitsdiktat wird es aus<br />
Sicht <strong>der</strong> Befragten gerade für regionale Medien <strong>in</strong><br />
Berl<strong>in</strong> zunehmend schwierig, den Überblick über die<br />
schnellen Themenwechsel zu behalten, geschweige<br />
denn selbst zum Zug zu kommen. Über die Relevanz<br />
e<strong>in</strong>es Mediums entscheiden offenbar immer häufiger<br />
Exklusivitäts- und Geschw<strong>in</strong>digkeitskriterien: Je<br />
mehr kostenlose redaktionell aufbereitete Informationen<br />
onl<strong>in</strong>e verfügbar s<strong>in</strong>d, desto höher ist <strong>der</strong><br />
Druck auf die traditionellen Medienmarken, sich zu<br />
profilieren – so <strong>der</strong> E<strong>in</strong>druck von Peter Frey (ZDF).<br />
Regierungssprecher Thomas Steg sieht dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />
grundlegendes Strukturproblem:<br />
„Dadurch haben wir e<strong>in</strong>e verschärfte Konkurrenz, die<br />
sich <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e im Pr<strong>in</strong>tbereich durch den erhöhten<br />
Wettbewerbsdruck ausgebildet hat, <strong>der</strong> wie<strong>der</strong>um<br />
aufgrund von Konzentrationsprozessen und <strong>der</strong><br />
Jagd nach exklusiven Meldungen zugenommen hat.<br />
Und wenn Zeitungen dann auch noch Onl<strong>in</strong>e-<br />
Angebote machen, dann haben Sie automatisch die<br />
Situation, dass ke<strong>in</strong>e Nachricht wirklich ‚reifen’ o<strong>der</strong><br />
aufwändig recherchiert werden kann, son<strong>der</strong>n dass<br />
die Feststellung: ,Medien haben ke<strong>in</strong>e Zeit, Medien<br />
kennen ke<strong>in</strong>e Zeit‘ <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat zutrifft.“ (Thomas Steg,<br />
stellv. Regierungssprecher)<br />
Die Befragten s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> punkto Beschleunigung e<strong>in</strong>helliger<br />
Me<strong>in</strong>ung: Die Agenda <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> wird heute von<br />
e<strong>in</strong>er solchen Flut an Medien und Akteuren geprägt,<br />
dass sich die Themenkonjunkturen zwangsläufig<br />
beschleunigen und die Berichterstattung oft zusammenhanglos<br />
wirkt: „Bloß ke<strong>in</strong> Thema von gestern,<br />
immer was Neues. Der Hauptstadtjournalismus wie<br />
auch die Medienlandschaft und <strong>der</strong> Nachrichtenum-<br />
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