Journalismus in der Berliner Republik - Netzwerk Recherche
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Mobiltelefon zur Verfügung steht. Auch Angela Merkel<br />
benutzt die drahtlose Textkommunikation rege,<br />
aber nicht mit Medienvertretern. Aus dem Kanzleramt<br />
heißt es: „Wie viele Journalisten Frau Merkels<br />
Handy-Nummer besitzen, weiß ich nicht. Das s<strong>in</strong>d<br />
mit Sicherheit sehr wenige, wenn überhaupt.“<br />
4.4.4. H<strong>in</strong>tergrundkreise<br />
Nur wenige Hauptstadtjournalisten unterhalten persönliche<br />
Kontakte zu Politikern, geschweige denn<br />
leitenden Abgeordneten, M<strong>in</strong>istern o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kanzler<strong>in</strong><br />
selbst. Also bündeln sie ihre Interessen und versuchen<br />
<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>samer Anstrengung, die politische<br />
Prom<strong>in</strong>enz abseits <strong>der</strong> Pflichtterm<strong>in</strong>e zum Gespräch<br />
e<strong>in</strong>zuladen. Schon <strong>in</strong> Bonn gab es e<strong>in</strong>e Reihe weniger,<br />
aber e<strong>in</strong>flussreicher H<strong>in</strong>tergrundkreise, die bei<br />
Politikern beliebt waren, um ihre Sicht <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge im<br />
lockeren Rahmen darzustellen, ohne auf druckreife<br />
Formulierungen achten zu müssen. Doch die vertrauliche<br />
Atmosphäre wurde bald zum Anlass für<br />
argwöhnischen Gemunkel all jener, die nicht e<strong>in</strong>geladen<br />
wurden; denn was h<strong>in</strong>ter geschlossenen Türen<br />
tatsächlich besprochen wurde, bleibt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel<br />
geheim. In Berl<strong>in</strong> ist die Zahl <strong>der</strong> H<strong>in</strong>tergrundkreise<br />
förmlich explodiert: Im Rahmen <strong>der</strong> vorliegenden<br />
Studie konnten 27 <strong>der</strong> öffentlichkeitsscheuen Runden<br />
identifiziert werden, vermutlich s<strong>in</strong>d es aber<br />
weitaus mehr. Sie heißen „Weißblauer Stammtisch“,<br />
„Ru<strong>der</strong>club“, „Millionäre“, „Enklave“ o<strong>der</strong> schlicht<br />
„Presseclub“ und haben sich jeweils entwe<strong>der</strong> nach<br />
Fachgebiet, politischer Ges<strong>in</strong>nung o<strong>der</strong> Medientypus<br />
organisiert 8 . Die vielseitigen Zirkel bieten ihren jour-<br />
8 E<strong>in</strong>e vollständige Auflistung aller H<strong>in</strong>tergrundkreise <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />
kann im Rahmen dieser Studie nicht geleistet werden. Die Nennung<br />
<strong>der</strong> folgenden Runden soll jedoch ihre Vielfalt dokumentieren:<br />
Brückenkreis (konservativ, CDU/ FDP-nah), Weißblauer<br />
Stammtisch (CSU-nah), Ru<strong>der</strong>club (konservative Büroleiter und<br />
Chefredakteure), Millionäre (auflagenstarke Regionalzeitungen),<br />
Das Kartell (Wirtschaftsjournalisten), Koko (Korrespondentenkollektiv),<br />
Büroleiterkreis (50 bis 70 Journalisten zu Gast im Kanzleramt),<br />
Deutscher Presseclub (alter Zusammenschluss von Journalisten<br />
und Pressereferenten aus Bonner Tagen), Berl<strong>in</strong>er Presseclub<br />
(ebenso weite Aufnahmekriterien wie beim Deutschen Presseclub,<br />
alte West-Berl<strong>in</strong>er Institution, mit Deutschem Presseclub<br />
zerstritten, Fusionsverhandlungen nach Regierungsumzug gescheitert),<br />
Adlerkreis/ Vier-Sterne-Kreis (Militärfachjournalisten),<br />
Prov<strong>in</strong>zkreis (25 bis 30 Korrespondenten aus <strong>der</strong> Regionalpresse);<br />
Das Rote Tuch (Frauen); Antenne (Rundfunkjournalisten); U 30<br />
(Mitglie<strong>der</strong> unter 30 Jahre alt), Dresslerkreis (benannt nach dem<br />
Lokal „Dressler“ unter den L<strong>in</strong>den), V<strong>in</strong>o Rosso (gemischt aus<br />
ausländischen und e<strong>in</strong>heimischen Journalisten), Tacheles (Regionaljournalisten),<br />
Scholzrunde (benannt nach ehem. parlamentarischer<br />
Geschäftsführer <strong>der</strong> SPD-Fraktion), Das Ohr (20 Journalisten,<br />
u. a. Thomas Wittke vom Bonner General-Anzeiger, Nikolaus<br />
Blome von Bild und Thomas Kröter von <strong>der</strong> Frankfurter Rundschau),<br />
Außenverteidiger (Verteidigungspolitik), Betonköpfe<br />
nalistischen Mitglie<strong>der</strong>n <strong>Recherche</strong>möglichkeiten <strong>in</strong><br />
<strong>in</strong>stitutionalisierter Gemütlichkeit – <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hoffnung,<br />
dass auch <strong>der</strong> politische Gast lockerer wird und sich<br />
<strong>in</strong> aller Ehrlichkeit öffnet und äußert.<br />
Wenn Richard Meng, <strong>in</strong>zwischen Staatssekretär und<br />
Sprecher des Berl<strong>in</strong>er Senats, auf se<strong>in</strong>e journalistische<br />
Karriere zurückblickt, dann wun<strong>der</strong>t ihn vor<br />
allem e<strong>in</strong>es: Wie es möglich war, dass die harmlosen<br />
Treffen, bei denen er alle paar Wochen geme<strong>in</strong>sam<br />
mit e<strong>in</strong>igen Kollegen Politiker e<strong>in</strong>lud, <strong>in</strong> den Augen<br />
<strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Öffentlichkeit zu e<strong>in</strong>em verschwörerischen<br />
Stelldiche<strong>in</strong> zwischen Medien und Politik<br />
werden konnten. H<strong>in</strong>tergrundkreise gelten aus se<strong>in</strong>er<br />
Sicht völlig zu Unrecht als Orte <strong>der</strong> Konspiration,<br />
wo logenartig Brü<strong>der</strong>schaft getrunken und e<strong>in</strong> Pakt<br />
gegen die Aufklärung geschmiedet wird. Solche<br />
H<strong>in</strong>tergrundkreise seien „im Grunde etwas sehr<br />
Harmloses“, so Meng. Man komme wöchentlich o<strong>der</strong><br />
monatlich zusammen und bespreche e<strong>in</strong> aktuelles<br />
Thema mit e<strong>in</strong>em Gast aus <strong>der</strong> Politik. Die Runden<br />
gleichen <strong>in</strong> <strong>der</strong> überwiegenden Zahl „Herrenclubs“,<br />
wie Jens König (ehem. taz) kritisiert, weil Frauen<br />
unterrepräsentiert seien. Zurückgeführt wird <strong>der</strong><br />
Frauenmangel <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrundkreisen darauf,<br />
dass es nur wenige Redaktionsleiter<strong>in</strong>nen und Korrespondent<strong>in</strong>nen<br />
<strong>in</strong> verantwortlichen Positionen <strong>in</strong><br />
den Hauptstadtbüros von Presse und Rundfunk gibt,<br />
wie auch an <strong>der</strong> Auswahl <strong>der</strong> Befragten zu dieser<br />
Studie nachzuvollziehen ist (s. Kapitel 3. Methoden).<br />
E<strong>in</strong>er <strong>der</strong> ältesten H<strong>in</strong>tergrundkreise ist die „Gelbe<br />
Karte“, <strong>der</strong> bereits 1971 von Uwe-Karsten Heye<br />
(damals Süddeutsche Zeitung), Helmut Hohrmann<br />
(RIAS) und Holger Quir<strong>in</strong>g (dpa) mit l<strong>in</strong>ksliberaler<br />
Ausrichtung gegründet wurde und heute als rotgrün-nah<br />
gilt. Derzeitige Sprecher<strong>in</strong> ist Tissy Bruns<br />
vom Tagesspiegel (vorher: Hartmut Palmer, Der<br />
Spiegel). Mitglie<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d unter an<strong>der</strong>em Nico Fried<br />
(SZ) und Jens König (heute Stern, ehem. taz). Der<br />
Name des Kreises wurde dem Gründungskongress<br />
<strong>der</strong> SPD-Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft für Arbeitnehmerfragen<br />
entlehnt, bei dem die Journalisten gelbe Akkreditierungskarten<br />
bekamen. Doch mittlerweile hat die<br />
symbolische Bedeutung mehr Aussagekraft erhalten:<br />
Bei Vertrauensbruch wird dem betreffenden Mitglied<br />
die rote Karte gezeigt. Beson<strong>der</strong>s geheimnisvoll ersche<strong>in</strong>t<br />
<strong>der</strong> so genannte „Wohnzimmerkreis“, <strong>in</strong> dem<br />
die leitenden Berl<strong>in</strong>er Redakteure <strong>der</strong> größten<br />
Hauptstadtmedien vertreten s<strong>in</strong>d. Der Kreis gilt als<br />
SPD-nah und wird geleitet von FAZ-Büroleiter Günter<br />
Bannas. Mitglie<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d unter an<strong>der</strong>em Sab<strong>in</strong>e Adler<br />
(Deutschlandfunk) als Nachfolger<strong>in</strong> von Richard<br />
Meng (ehem. Frankfurter Rundschau), Nico Fried<br />
(SZ), Tissy Bruns (Der Tagesspiegel) und Christoph<br />
Schwennicke (Der Spiegel, ehem. SZ). E<strong>in</strong>mal im<br />
(sozialpolitische Themen wie Tarifpolitik, Rente und Krankenversicherung)<br />
sowie Enklave, Berl<strong>in</strong>er Zimmer und Salon Wissen.<br />
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