TalkrundeDISKUSSIONPOLITISCHE PARTIZIPATION AUF UNTERSCHIEDLICHEN EBENENReferent_innen des 1. Tages im Gesprächmit dem Publikum• Prof. Dr. Iman Attia• Marianne Ballé Moudoumbou• Ergun Can• Dr. Karamba DiabyModeration: Prof. Dr. Siglinde NaumannProf. Dr. Siglinde Naumann:Ich möchte Sie um ein kurzes Statementzu der Frage bitten, welcheRahmenbedingungen nötig sind,damit Migrant_innenorganisationenwirkungsvolle Vertreter ihrer Mitgliedersein können.Prof. Dr. Iman Attia:Ich würde gerne den Bogen <strong>von</strong> deranderen Seite her aufspannen: Waskönnen Regeleinrichtungen zur <strong>Partizipation</strong><strong>von</strong> Migrant_innen, Postmigrant_innen,People-of-coulourusw. beitragen? Um diese Fragebeantworten zu können, solltenRegeleinrichtungen in diesem Zusammenhangüber den Punkt Personalpolitiknachdenken. Der zweitePunkt bezieht sich auf die interkulturelleAkzentuierung des Angebotes,Richtlinien und deren Umsetzung,die im Zusammenhang mit Diskriminierungund Antidiskriminierungstehen. Inbegriffen sind die beidenAspekte Interkulturalität und Rassismus.<strong>Ein</strong> weiterer Punkt, welchermir als besonders wichtig erscheint,ist, dass Regeleinrichtungen benennensollten, für wen sie ihr Angebotmachen. Dies hat auf der einen Seiteden Effekt, sich zu positionieren,und auf der anderen Seite, den MOzu ermöglichen, in diesen Bereichentatsächlich Anträge zu stellen undgefördert zu werden. Der vorletzteAspekt bezieht sich darauf, dassRegeleinrichtungen entscheiden, inwelchen Bereichen sie tatsächlichPrivilegien abgeben. Hierbei wäreBündnispolitik das Stichwort. Meinletzter Punkt ist das Ziel, zu einer Haltungzu gelangen, die eine Interessenvertretungund den Menscheneine selbstbestimmte Positionierungermöglicht.Prof. Dr. Siglinde Naumann:Frau Ballé Moudoumbou, was bedarfes aus Ihrer Sicht, damit Menschenmit einer Migrationsgeschichte undMO hörbarer werden?Marianne Ballé Moudoumbou:Der erste Schritt wäre meiner Meinungnach, die eigene Organisationzu stärken. Ebenso ist es wichtig,alle Möglichkeiten des Engagementszu nutzen, um einen positiven<strong>Beitrag</strong> leisten zu können. Außerdemist die Sprache elementarund stellt einen Türöffner zu eineranderen Welt dar.Prof. Dr. Siglinde Naumann:Herr Diaby, Sie verfolgen bereitsseit langem ein vielfältiges Engagementin Migrant_innenorganisationenund Sie engagieren sich aufder politischen Ebene. Wo gibt esda Ergänzungen und Überschneidungen?Dr. Karamba Diaby:Meiner Meinung nach passen beideEngagementbereiche zusammen.Mein Engagement ist keinZufall. 42 Prozent der Menschen,die in Deutschland Mandatsträgersind, haben ihre Vorgänger in denAusländerbeiräten, diese Tatsachehat mich motiviert, dies zu tun.Ich sehe bei meinem Engagementauf beiden Ebenen keinen Widerspruch.Ich finde es wichtig, sicheinerseits in Organisationen zuengagieren, in welchen man seineeigenen Wurzeln ergründen kann,aber ebenso das Engagement in Organisationender „neuen Heimat“.Das Wesentliche ist, dass mandie Überzeugung hat: Wenn mannichts tut, wird sich auch nichts ändern.Ob dies nun im Kindergartenoder der Schule der eigenen Kinderist oder in der Gemeinde, in der ichwohne – man kann überall etwastun. Das ist meine Überzeugung.Prof. Dr. Siglinde Naumann:Herr Can, welche Bedeutung hat indiesem Zusammenhang das Netzwerkfür türkeistämmige Mandatsträgerund Mandatsträger_innen?Ergun Can:Das Netzwerk türkeistämmiger Mandatsträger_innenwurde 2004 <strong>von</strong>der Körber-Stiftung in Hamburg ins18 | Dokumentation | <strong>Inklusion</strong> <strong>durch</strong> <strong>Partizipation</strong>
TalkrundeLeben gerufen. Die Körber-Stiftunghat sehr viele Projekte mit Migrant_innen<strong>durch</strong>geführt, unteranderem auch mit Menschen mittürkischem Migrationshintergrund.Dabei kam die Frage auf, ob esauch politische Akteure mit einemtürkischen Migrationshintergrundgibt. Seither kommen die Mitgliederzweimal im Jahr zusammen. DieMitglieder sind Vertreter_innen ausallen Parteien, hierbei gibt es einesehr große Spannbreite. Die zentraleFragestellung war zunächst: Beiwelcher Schnittstelle kommen wirzusammen und können uns bündeln?Dieser Prozess hat fast überzwei Jahre gedauert.Die zentralen Elemente sind nun dieThemen Bildung, politische Teilhabe,Pflege oder Religionsunterricht.Wir können natürlich nicht die gesamteBandbreite der Politik diskutieren,sondern haben uns auf dieThemen beschränkt, bei welchenwir eine Überschneidung feststellenkonnten. Im Mittelpunkt stehtdie Vernetzung untereinander, aberauch die Möglichkeit, Gesprächemit entsprechenden Personen aufunterschiedlichen Ebenen der politischenEntscheidungsträger zuführen, um diese zu sensibilisieren.Das Max-Planck-Institut hat in einerStudie ermittelt, dass <strong>von</strong> über4.000 Mandatsträger_innen in allenStädten Deutschlands, welche mehrals 100.000 <strong>Ein</strong>wohner haben, nur187 mit einem Migrationshintergrundals Stadträt_innen aktivsind. Da<strong>von</strong> sind mehr als die Hälftetürkischer Herkunft. Wenn dieseMenschen sich politisch engagieren,dann ist dies ein Zeichen dafür,dass sie sich integrieren möchten.Durch dieses Netzwerk haben wirdie Möglichkeit, über die Parteigrenzenhinaus gemeinsam Forderungenzu stellen.Prof. Dr. Siglinde Naumann:Das Plenum hat nun die MöglichkeitFragen, direkt an unsere Podiumsgästezu richten.Dorota Szymanska (Region Hannover- Koordinierungsstelle für Integration):Es ist schön, bei dieser Tagungdie Möglichkeit zu haben, überdie Themen rund um <strong>Partizipation</strong>zu sprechen. Allerdings istdies gleichzeitig das Problem, wasbereits seit Jahren besteht. Dennalle Themen und alle Inhalte, diewir an dieser Stelle ansprechen,sind den hier Anwesenden gutbekannt. Eigentlich sollten wirmit anderen darüber sprechen,denn diese Diskussionen bestehenschon seit vielen Jahren und dieEntwicklung geht nicht sehr weitvoran. Wir stoßen ständig an unsereGrenzen, die wiederum mitdem Thema Macht zu tun haben.Diese Grenzen der Macht sind aufallen Ebenen vorhanden, ob essich um die politische, die öffentlicheoder die gesetzliche Ebenehandelt. Wir versuchen dies <strong>durch</strong>die politische <strong>Partizipation</strong> zu verändern,aber es ist nicht leicht,,weiter voran zu kommen. Wirmüssen uns ständig behaupten,damit wir weiter kommen.Über den strukturellen Rassismus,den Sie heute angesprochen haben,der in allen Ebenen fest verankertist, darüber wird nicht diskutiert.Mein Anliegen ist, dass wir darübermit Menschen aus anderen Kontextenins Gespräch kommen.Marianne Ballé Moudoumbou:Wir müssen versuchen zu verstehen,wie „die andere Seite“ spricht.Beispielsweise haben wir vor einigerZeit ein Afrikawirtschaftsforum insLeben gerufen, um neben dem kulturellenBereich die Aufmerksamkeitauch für einen anderen Bereichzu wecken. Durch solche „Türöffner“kann es gelingen, den Zugang zu anderenBereichen zu erhalten. Es istein langer Atem nötig, damit etwaspassiert. <strong>Ein</strong>e Person alleine kannnichts bewegen. Selbst eine Gruppealleine kann wenig bewegen. Wirmüssen gemeinsam Strategien verfolgen,wie man an welchen Stellenbestimmte Hebel umlegen kann.Dies gilt ebenso für Machtstrukturen.Hierbei muss man ebenso mitder geeigneten Strategie versuchendie entsprechenden Personen zuerreichen. Wenig sinnvoll ist dabeider Kampf an mehreren Fronten, dadiese möglicherweise gegensätzlicharbeiten. Folglich sind viele <strong>Ein</strong>zelstrategienzusammengefasst untereiner Gesamtstrategie notwendig.Nana Verkhviashvili (kargah e.V.):Ich habe zwei Fragen an HerrnCan. Es ist bekannt, dass für einepolitische <strong>Partizipation</strong> bestimmterechtliche Rahmenbedingungen nötigsind, die in Deutschland eigentlichnicht vorhanden sind, wennman die deutsche Staatsbürgerschaftnicht besitzt. Ihre politischeKarriere war nur möglich, da Sie diedeutsche Staatsbürgerschaft besitzen.Ich möchte gerne <strong>von</strong> Ihnenwissen, welche Schritte Sie in dieserRichtung planen, um diese Missständezu beheben, zum Beispiel,dass die Menschen mit Migrationshintergrundkein Wahlrecht haben,weder auf Kommunal-, noch aufLandes-, noch auf Bundesebene.Meine zweite Frage bezieht sich aufdas Thema der interkulturellen Öffnung.Was ist Ihrer Ansicht nach nötig,damit sich beispielsweise Gremien,Verwaltungen oder Parteienin Deutschland auf interkulturellerEbene öffnen?Ergun Can:Ihre erste Frage muss man zweigeteiltsehen. EU-Bürger_innen habenauf zwei Ebenen die Möglichkeitzu wählen. Dies bezieht sichauf den kommunalen Bereich, alsoBürgermeister, Gemeinde- oderStadträte sowie das EuropäischeParlament. Wir versuchen innerhalbunseres Netzwerkes, über Parteigrenzenhinweg Anträge zu formulieren,welche in Parteigremienauf unterschiedlichen Ebenen eingebrachtwerden. Hierbei hängt esdann da<strong>von</strong> ab, welche politischeDokumentation | <strong>Inklusion</strong> <strong>durch</strong> <strong>Partizipation</strong> | 19