AG 6: <strong>Partizipation</strong> <strong>durch</strong> Kultur und politische BildungInput: Empowerment alsGrundlage für politische<strong>Partizipation</strong>Sebastian Fleary (BildungswerkstattMigration & Gesellschaft)HintergründeRahmenbedingung für die Bedeutung<strong>von</strong> pädagogischen Empowerment-Räumenin Deutschland ist,dass die Auseinandersetzung mitMigration und Rassismus großteiligin Zusammenhängen stattfindet,die <strong>von</strong> Angehörigen der weißenMehrheitsgesellschaft und ihrenPerspektiven dominiert wird. Zubeobachten und festzustellen ist,dass oftmals in „offenen“ und meist<strong>von</strong> weißen Personen dominiertenRäumen die Frage nach Macht, dereigenen Position und der eigenenPrivilegiertheit nicht ausreichendreflektiert bzw. völlig ausgeblendetwird. Somit besteht die Gefahr,dass rassistisch geprägte DenkundHandlungsmuster in diesenKontext hinein getragen werden.In der Konsequenz kann es passierenbzw. ist es in der Vergangenheitoftmals passiert, dass es zu wiederholtenMarginalisierungen und zurVerletzung des Denkens, Fühlensund Wollens <strong>von</strong> People of Color indiesen Räumen kommt. Empowerment-Räumewollen dieser (strukturellen)Schieflage begegnen.Es geht um die Herstellung einesSchutzraumes vor rassistischenAlltagsverhältnissen, die demzufolgeverstanden werden können als„wichtige Zentren der Begegnung,des Erfahrungs- und Wissensaustauschesund der gegenseitigenStärkung gegen Diskriminierungund Rassismus <strong>von</strong> und für PoC“(Yiğit/Can 2006, 168f).Die zentrale Prämisse lautet daher,dass Empowerment im Sinneeiner Dekolonisierung bzw. Selbstermächtigunggegen Rassismusnur <strong>von</strong> People of Color selbst undim gegenseitigen Austausch undHandeln erfolgen kann. Es ist hierbei<strong>von</strong> zentraler Bedeutung, dassdie pädagogischen Begleiter_innen<strong>von</strong> Empowerment-Prozessenebenfalls People of Color sind undin Bezug auf Rassismus ebenfallsDiskriminierungserfahrungen gemachthaben/machen. Durch diesenSchutzraum wird es möglich,sich mit anderen offen und respektvollauch über sehr schmerzhafteErlebnisse auszutauschenund sich somit gegenseitig zu stärken(vgl. Yiğit/Can 2006, 168 ff).Haltungen aus der Empowerment-PraxisDas offene GeheimnisDas Konzept des pädagogischenEmpowerment-Raumes zielt nichtdarauf ab, die Reflexionen, Prozesseund Bewegungen, die hier stattfinden,„geheim“ zu halten bzw.nicht nach außen zu kommunizieren.Vielmehr trägt es der TatsacheRechnung, dass die Anwesenheitweißer Personen die Dynamik, denFokus und damit den Prozess derAuseinandersetzung verändern, daunterschiedlichen Perspektiven undgesellschaftliche Machtpositionenin Bezug auf Rassismus vorhandensind. Aus diesen unterschiedlichengesellschaftlichen Positionierungenergeben sich somit erstmal auchunterschiedliche zu bearbeitendeThemen und Bedürfnisse. Es gehtdaher hierbei um den Fokus und diePerspektiven auf die Auseinandersetzung.Schutzraum?Bei diesen Empowerment-Räumenwird landläufig <strong>von</strong> „Schutzräumen“gesprochen. Hierbei handeltes sich auch um ein Konstrukt, dadiese Räume nicht Schutz vor allenVerletzungsrisiken bieten (können)– da sie bspw. niemals homogenund die Menschen darin immerunterschiedlich reflektiert, positioniertund sensibilisiert sind.Es geht daher lediglich um einenSchutzraum in Bezug auf Rassismus.So ist ein Empowerment-Raum nicht selbstverständlich einsicherer Raum, bspw. vor sexistischenoder homophoben Aussagenund Verletzungen. Somit gehtes bereits im Ansatz darum, derKomplexität <strong>von</strong> Machtverhältnissengerecht zu werden und ledig-54 | Dokumentation | <strong>Inklusion</strong> <strong>durch</strong> <strong>Partizipation</strong>
AG 6 | <strong>Partizipation</strong> <strong>durch</strong> Kultur und politische Bildunglich den Fokus in der Arbeit aufRassismus(erfahrungen) für einegewisse Zeit zu setzen. Es solltedeutlich geklärt sein, dass wir in einerinterdependenten Gesellschaftleben, wo Herrschaftsverhältnissesich wechselseitig bedingen unddiese miteinander verflochten sind.Daher geht es grundlegend darum,einen reflexiven, bewussten, behutsamenund kritischen Umgangmit diesen Verhältnissen zu entwickelnund zu praktizieren (vgl. Yiğit/Can 2006, 175f; Arapi 2008, 25ff).AbschließendesDer Austausch über das Erlebte, welcheEmpfindungen und Reaktionendies mit sich brachte, welche Strategiendie <strong>Ein</strong>zelnen im Umgang damitentwickelt haben und welche neuenWiderstands- und Handlungsstrategieneinzelne Personen in Bezug aufRassismus in ihrem Alltag und Lebenentwickeln (können), ist ein bedeutsamerFaktor, der diese Schutzräumein allen gesellschaftlichen Bereichenin Migrationsgesellschaften absolutnotwendig macht.Parallel dazu ist es wichtig, dass diePeople of Color-Perspektive undEmpowerment-Arbeit im Allgemeinenin dem etablierten Mainstreamder interkulturellen Arbeit <strong>Ein</strong>gangfindet, um damit Empowermentauf breiter gesellschaftlicher Ebenevoranzutreiben.In diesem Zusammenhang möchteich pädagogische Empowerment-Räume als Instrument umreißen,deren Ziel es ist, gesellschaftlicheUngleichheit abzubauen und gesellschaftlicheUmverteilung anzustreben.LiteraturGüler Arapi: Rassismuserfahrungenund Handlungsfähigkeit, UniversitätBielefeld, 2008.Nuran Yiğit/Halil Can: PolitischeBildungs- und Empowerment-Arbeitgegen Rassismus in People ofColor-Räumen – das Beispiel derProjektinitiative HAKRA in: Elverich/Kalpaka/Reindlmeier(Hrsg.)Spurensicherung – Reflexion <strong>von</strong> Bildungsarbeitin der <strong>Ein</strong>wanderungsgesellschaft,IKO-Verlag für InterkulturelleKommunikation, 2006Input: Die Initiative Grenzen-Los: Ansatz + MethodeAhmet Shah (Initiative Grenzen-Los! e.V.) und KulTür Auf: Baut dieZugangsbarrieren ab!Das Brennpunkt-Manifest„Wir wissen, wie es ist. Wir wissen,wie es sein kann[…]. Wir sind die,über die ihr immer redet[…]. WIRsind die Problemfälle, die Euch dasLeben erschweren[…]. Ihr werdetnie den passenden Titel oder dasrichtige Bild für uns finden! [...]Wir lassen uns nicht länger bevormunden[...]nirgendwo![…]Wirfordern[...]eine große Bühne füruns und unsere Themen! [...] Wirfordern Zugang. Schaut auf unsereFähigkeiten, macht die Schubladenzu! […] KulTür auf!“ (Auszüge ausdem „Brennpunkt-Manifest“ derJugendlichen des Jugendtheater-Büro Berlin)ZugangsbarrierenDie Gesellschaft ist im Wandel,aber die Institutionen sind erstarrt– ein Widerspruch, der zu Blockadenoder ‚Zugangsbarrieren’ führt.Für Jugendliche aus den so genannten‚Brennpunkten’ bedeutet dasunter anderem einen erschwertenZugang zu Bildung, Arbeitsweltund Kultur und da<strong>durch</strong> zum Diskursder Zivilgesellschaft. Das sindechte Hindernisse für die erstrebte<strong>Inklusion</strong> <strong>durch</strong> <strong>Partizipation</strong>, die inzahlreichen Studien formuliert undauf etlichen Fachtagungen diskutiertwerden. Jede und jeder, die/der heute in der Jugendkulturarbeittätig ist, bekommt das deutlichzu spüren. Die ökonomischenZwänge <strong>durch</strong> Sparmaßnahmen,Privatisierung und Kommerzialisierungin den Bereichen Jugend,Kultur und Soziales und die ideologischenOffensiven à la Sarrazingegen sozial schwache und Menschenmit insbesondere muslimischenHintergrund verschärfendiese Konflikte. Wir betrachten diegemeinsame Auseinandersetzungunserer Mitarbeiter_innen und unserenJugendlichen mit diesen Zugangsbarrierenals einen zentralenTeil der Jugendkulturarbeit heute.Kampf um AnerkennungDie Zugangsbarrieren im Kulturbetriebsind vielfältig. Damit meinenwir nicht nur die finanziellen oderdie bildungspolitischen Hürden.Wir beschäftigen uns nicht hauptsächlichmit den Zugangsbarrierenfür Zuschauer_innen und Konsument_innen.Es ist bekannt, dassdie meisten Besucher_innen derKulturbetriebe aus bestimmten‚bildungsnahen’ sozialen Schichtenkommen. Uns interessiert vielmehr,wer die Kulturproduzent_innensind, und die Frage, warumunsere Jugendlichen nicht auchselber diese Rollen und Berufeübernehmen können. Uns interessiert,warum unsere Jugendlichennicht als Künstler_innen, unsereProdukte nicht als Kunst und unsere<strong>Ein</strong>richtungen nicht als kulturelleInstitutionen anerkannt werden.Der selbstverwaltete alternativeJugendtheaterbetriebJammern wollten wir jedoch nicht,sondern haben uns entschieden,uns aktiv einzumischen und daswirkliche Leben der Jugendlichen,ihre Sehnsüchte und Ängste in dengesellschaftlichen Diskurs hineinzutragen.Unser erster Schritt dahinwar der Aufbau eines selbstverwaltetenJugendtheaterbetriebs.Damit wollten wir unseren eigenenDokumentation | <strong>Inklusion</strong> <strong>durch</strong> <strong>Partizipation</strong> | 55